© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

Dorn im Auge
Christian Dorn


Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen. An der Litfaßsäule kündet ein Plakat von einem gemeinsamen Konzert mit Falco und Queen. Wahrlich: „It’s a kind of magic“ – bereits am Morgen weckte mich die Stimme Freddie Mercurys. Im Café dann transzendiert der Gesang von Amy Winehouse allen Schmerz und Verlust und verspricht mit „Valerie“ Versöhnung und Zuversicht.


Bevor ich mich von der 2002 erschienenen David-Bowie-CD „Heathen“ trenne, da ich nicht an sein Spätwerk glaube, entscheide ich mich für eine Abhörmaßnahme. Der elegische Ton in den Songs läßt das Album wie ein Präludium zu dem musikalischen Epitaph „Blackstar“ erscheinen. Im „Heathen“-Cover fällt mein Blick auf ein Foto mit in Leder gebundenen Buchrücken: „The General Theory of Relativity“ von Albert Einstein, „The Interpretation of Dreams“ von Sigmund Freud und „The Gay Science“ von Friedrich Nietzsche.


Mit fröhlicher Wissenschaft haben die zudringlichen Musik-Darsteller aus dem Zigeunermilieu, die immer ungenierter die Wagen von S- und U-Bahn entern und den Hauptteil ihrer Musik aus dem Lautsprecher im Trolleykoffer kommen lassen, nichts im Sinn. Sie haben ja auch leichtes Spiel; niemand traut sich, hier überhaupt Unwillen zu äußern. Immerhin haben die Zigeuner nach „When the saints go marchin’ in“ nun auch „Bésame mucho“ im Programm. Das ist echte Willkommenskultur – diesen Kuß der ganzen Welt!


Tatsächlich ist die Musik der toten Popstars viel lebendiger als diese Art von Straßenmusik. Auf dem U-Bahnhof Fehrbelliner Platz, wo „Flüchtlinge“ das Regiment übernommen haben, tanzt mich einer von diesen jugendlichen Typen an, die Frau Merkel eingeladen hat. Als ich auf Abstand gehe, trollt er sich, Flüche und Beleidigungen vor sich hin murmelnd. Als die Gefahr vorüber ist, erklingen in meinem Kopf die Refrainzeilen des langweiligen, aalglatten Popsongs der Band The Killers: „Are we human / or are we dancer“?


Wirklich authentische deutsche Rockmusik hat es dagegen schwer, wie sich am Beispiel von André Herzberg zeigt, der eines der essentiellsten Interviews zur Sarrazin-Debatte gegeben hatte (JF 37/10). Das Fernsehen bringt nun zwei Porträtfilme über das – so einst Rias-Journalist Olaf Leitner – „männliche Pendant zu Nina Hagen“: „André Herzberg. Sänger und Autor“ (21. April, 16.45 Uhr, ARD) sowie „Das Schweigen der Väter“ (25. April, 15 Uhr, BR).