© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/16 / 22. April 2016

Der Renten-Schwindel
Das System unserer Alterssicherung funktioniert nur, wenn auch die Leistung von Eltern honoriert würde
Konrad Adam

Erinnern Sie sich noch an das Cappuccino-Modell der Rente? Es ist noch gar nicht lange her, daß es uns als der große Wurf im Kampf gegen die Altersarmut empfohlen wurde. Es bestand aus drei Elementen: zunächst dem Kaffee, der für den gesetzlichen Rentenanspruch stand. Darüber dann, als Sahnehäubchen, eine Betriebsrente. Zum Schluß eine Prise Kakao, die Privatvorsorge für das Alter. 

Heute sind von dem schönen Modell nur noch Trümmer übrig, und die Reform muß abermals reformiert werden. Das Absinken des staatlich garantieren Rentenniveaus von ehemals 60 auf demnächst 43 Prozent des Durchschnittslohns ist längst beschlossene Sache. Norbert Blüms großspuriges Versprechen, eines sei sicher, die Rente, galt eben nur für seine eigenen Altersbezüge; die sind tatsächlich sicher, und wie! Hoch sind sie auch, weil er sie sich als Abgeordneter selbst garantieren konnte.

Das zweite Element, die Betriebsrente, ist ein Relikt aus der guten alten Zeit, in der Rücklagen noch etwas brachten. Seit Mario Draghis Nullzinspolitik ist diese Zeit jedoch vorbei, so daß der Anspruch auf eine halbwegs auskömmliche Betriebsrente zum Privileg der Älteren geworden ist. Da immer mehr Betriebe sich weigern, Rentenansprüche aufzubauen, gehen die Jüngeren oft leer aus. Schließlich die Riester-Rente. Daß dieser Versuch, der privaten Vorsorge durch Zuschüsse aus Steuermitteln aufzuhelfen und so das Cappuccino-Modell doch noch zu retten, ein Reinfall war, scheint sich inzwischen auch unter Sozialpolitikern herumgesprochen zu haben. Horst Seehofer wiederholte jedenfalls nur, was die meisten Rentner ohnehin schon wußten, als er verriet, daß die Riester-Rente gescheitert sei.

Insgesamt eine traurige Bilanz. Nur nicht für den Erfinder des Riesterns, Walter Riester selbst. Als zuständiger Minister hatte er das nach ihm benannte Renten-Modell so kompliziert entworfen, daß es kein Mensch mehr verstand. Für Riester hatte das die angenehme Folge, daß er nach seinem Ausscheiden aus dem Amt als Abgeordneter des Deutschen Bundestages zum meistgesuchten Berater wurde. Jahrelang stand sein Name an erster Stelle auf der Liste, mit der die Volksvertreter Auskunft geben über Zahl und Wert ihrer Nebentätigkeiten.

Mit dieser Art von Selbstbegünstigung steht Riester nicht allein. Unter den zahlreichen Privilegien, die sich die Abgeordneten selbst zugeschanzt haben, dürfte der Anspruch auf eine gut dotierte Altersversorgung, zu der sie selbst jedoch, anders als wir, das dumme Volk, keine eigenen Beiträge zahlen müssen, das mit Abstand wertvollste sein. Eben deshalb wird es so zäh verteidigt. Alle Versuche, das Ärgernis zu beseitigen, sind am Widerstand der politischen Klasse gescheitert.

Stattdessen wenden sich die Abgeordneten den Wählern zu und stellen ihnen ein neues Modell, die Lebensleistungsrente, in Aussicht. Als relevante Größen werden dabei Arbeitsleistung und Beitragszahlung berücksichtigt, nur eines fehlt: der Beitrag, den Eltern dadurch leisten, daß sie Kinder in die Welt setzen und großziehen. Und damit, technisch gesprochen, das Grundkapital bereitstellen, ohne das der Riesenbau der staatlichen Versicherungsindustrie wie ein Kartenhaus zusammenstürzen würde. 

Wer Schweine mästet, gilt als nützliches, wer Kinder großzieht, als unnützes Mitglied der Gesellschaft, hatte Friedrich List, der große Ökonom, einmal gespottet. Er hatte das ironisch gemeint, aber die Sozialapostel von heute, Unternehmer und Gewerkschafter, Makro- und Mikroökonomen, nehmen das ernst. Und die Politiker handeln danach. 

Sie machen es wie die berühmte Marquise de Pompadour, die nach der für Frankreich verlustreichen Schlacht von Roßbach gerufen haben soll: Nach uns die Sintflut! Die in Gestalt der Französischen Revolution dann auch kam – leider zu spät, um auch die Pompadour noch aufs Schafott zu bringen.  

Daß das Rentensystem im Umlageverfahren, wie es seit mehr als einem halben Jahrhundert in Deutschland praktiziert wird, nicht nur auf einer, sondern auf zwei Säulen ruht, auf der Beitragskraft der aktiven und der Kopfstärke der nächsten Generation, weiß jedes Kind. Wer es noch nicht weiß, kann es im Parteiprogramm der CDU oder in zahlreichen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts nachlesen. Wetterfest ist ein solches System nur dann, wenn es beide Säulen berücksichtigt, neben der bezahlten also auch die unbezahlte Arbeit belohnt, die Eltern einfach dadurch leisten, daß sie Kinder haben.

Gelernte Sozialpolitiker wollen davon nichts hören. Bis heute nennen Blüm und seine Nachfolger im Amt die Rente leistungsgerecht und beitragsbezogen: was auf nichts anderes hinausläuft als die unverschämte Behauptung, daß Mütter keinen Beitrag zahlen und keine Leistung erbringen, die mit mehr zu belohnen wäre als einem Hungerlohn im Alter.

Jetzt fliegt der Schwindel auf. Die Kosten werden alle treffen, am härtesten die armen Kinder, die neben ihren Eltern auch noch die große und schnell wachsende Zahl derjenigen versorgen sollen, die den Witz des Systems kapiert und in der Gewißheit, im Alter von Kindern versorgt zu werden, für die sie selbst nichts getan hatten, auf Nachwuchs verzichtet haben. In Deutschland lebt man eben gut von Kindern, die man selbst nicht hatte. Jeder soll leben, wie er will, er soll dann aber auch die Folgen tragen. Dazu ist die Masse der kinderlosen Doppelverdiener noch nie bereit gewesen. Wenn sie für ihre halbe Leistung doppelten Lohn verlangen, berufen sie sich auf den Generationenvertrag; zu Unrecht allerdings. Denn halten kann so ein Vertrag nur dann, wenn er gerecht ist. Das war er nie, und deshalb ist er auch zerbrochen.