© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Wie modern ist die moderne Familienpolitik?
Von Sparta, Marx und Lenin
Hanne K. Götze

Neulich erzählte mir eine junge Mutter, die gerade wieder angefangen hatte, erwerbstätig zu sein: „Ich habe gekündigt.“ Sie hatte ihr eineinhalb Jahre altes Kind drei Wochen lang in der Krippe. „Ich habe es einfach nicht ausgehalten. Diesen Streß für mich und mein Kind! Ich weiß nicht, wie man das überhaupt aushalten kann. Aber nun habe ich mich endgültig ins soziale Abseits gebracht. Keine meiner Freundinnen, die Kinder im gleichen Alter haben, versteht mich. Manche reden nicht mehr mit mir.“ Muttersein als einsamer Weg: mit dem Gefühl, daß das Kind einen brauchte, falschzuliegen, alleine dazustehen und ein Relikt aus alter Zeit zu sein.

Die flächendeckende mediale Berieselung verfehlt ihre Wirkung nicht. Krippen und Ganztagsbetreuung werden uns als Heilsweg für die Lösung gesamtwirtschaftlicher Probleme präsentiert, aber auch unserer persönlichen. Der kleinste Zweifel wird vom Tisch gewischt. Wer diesen noch hegt, ist von vorgestern und rückwärtsgewandt. Er stellt sich der Moderne in den Weg. Die traditionelle Familie habe ausgedient. Die Familienpolitik müsse modern sein, um zeitgemäße Bedingungen für die moderne Familie nach modernen Lebensentwürfen zu schaffen. „Modern“ also als Gütesiegel?

Im Jahre 2007 bekam ich aus dem Familienministerium auf eine Petition hin folgende Antwort: „Gerade junge Frauen wollen heute ganz selbstverständlich, was für Männer schon immer möglich war, nämlich ihre berufliche Qualifikation nutzen, finanziell unabhängig bleiben und trotzdem nicht auf Familie verzichten (...) Kindertagesstätten bieten ein komplementäres – und bei problembelasteten Familien ein kompensatorisches – Angebot zur Erziehung und Bildung in der Familie.“

Was unter Ursula von der Leyen (CDU) im selben Jahr mit dem Kinderförderungsgesetz – dem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab der Einjährigkeit ab 2013 – angebahnt wurde, drückt die derzeitige Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) jetzt mit Volldampf durch. Geld spielt keine Rolle. Es sollen 100 Millionen Euro pro Jahr für den weiteren Ausbau des Betreuungssystems in Richtung 24-Stunden-Kita bereitgestellt werden.

Ist aber der dahinterstehende Grundgedanke wirklich modern? In einer Säuglingsfibel aus der DDR von 1972 heißt es: „Für die volle Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frau haben unsere Kindereinrichtungen einen wesentlichen Beitrag zu liefern, weil sie der Mutter weitgehend die Ausübung ihres Berufes, ihre berufliche und kulturelle Qualifizierung und ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Die Tages- und Wochenkrippen für Kinder der ersten drei Lebensjahre dienen nicht allein der Entlastung unserer Mütter, sondern stellen eine wertvolle und wirksame Ergänzung der Familienerziehung dar.“ Das war Marxismus-Leninismus pur.

Und Lenin sagte 1918 auf dem I. Gesamtrussischen Arbeiterinnenkongreß: „Die Regierung der proletarischen Diktatur bietet alles auf, um die rückständige Auffassung der Männer und Frauen zu überwinden. Eine Selbstverständlichkeit ist die volle Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Gesetzgebung. Wir gliedern die Frauen in die soziale Wirtschaft, Verwaltung, Gesetzgebung und Regierung ein. Wir gründen Gemeinschaftsküchen und öffentliche Speisehäuser, Wasch- und Reparaturanstalten, Krippen, Kindergärten, Kinderheime, Erziehungsinstitute verschiedener Art. Dadurch wird die Frau von der alten Haussklaverei und jeder Abhängigkeit vom Mann erlöst. Die Kinder erhalten günstigere Entwicklungsmöglichkeiten als daheim.“

Der Griff nach den Kindern scheint totalitären Entwicklungen zu jeder Zeit wesensimmanent zu sein. Wir finden diesen Ansatz nicht nur in sozialistischen Systemen, sondern auch im Nationalsozialismus. Da wurde die empathische Mütterlichkeit als Affenliebe bezeichnet.

Lenins Vordenker Karl Marx schrieb 1848 im „Manifest der Kommunistischen Partei“:

„Aufhebung der Familie! ... Aber, ihr sagt, wir heben die trautesten Verhältnisse auf, indem wir an die Stelle der häuslichen Erziehung die gesellschaftliche setzen … öffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder ... Vereinigung der Erziehung mit der materiellen Produktion.“ (Kapitel 4)

19. Jahrhundert – ist das nicht die Zeit, in welcher unsere heutigen politischen Eliten das „traditionelle Familienmodell“ und die „überkommene Mutterrolle“ als nicht mehr zeitgemäß verorten?

Wer jedoch die Marxschen Ideen zur Moderne zählt, der möge seinen Blick in die Antike, nach Sparta, richten. Bis heute steht es sprichwörtlich für Härte gegen sich und andere. Friedrich Schiller, seines Zeichens auch Historiker, beschrieb Sparta in der „Gesetzgebung des Lykurgus“ als perfekt totalitäres System mit den typischen Symptomen: Beseitigung privaten Eigentums, Auflösung familiärer Bindungen, Gleichmacherei sowie Gleichschaltung jeder menschlichen Regung: „Diesem künstlichen Triebe wurden die natürlichsten, schönsten Gefühle der Menschheit zum Opfer gebracht. (...) In Sparta gab es keine eheliche Liebe, keine Mutterliebe, keine kindliche Liebe, keine Freundschaft. (...) Sobald das Kind geboren war, gehörte es dem Staat – Vater und Mutter hatten es verloren. Es wurde von den Ältesten besichtigt; wenn es stark und wohlgebildet war, übergab man es einer Wärterin; war es schwächlich und mißgestaltet, so warf man es in einen Abgrund an dem Berge Taygetus. Die spartanischen Wärterinnen wurden wegen der harten Erziehung, die sie den Kindern gaben, in ganz Griechenland berühmt. Sobald ein Knabe das siebente Jahr erreicht hatte, wurde er mit Kindern seines Alters gemeinschaftlich erzogen, ernährt und unterrichtet.“ Wer so groß wurde, war zu allem fähig. Die Bluttaten im Namen Spartas sprachen Bände. „Die Erziehung war ein wichtiges Werk des Staats, und der Staat ein fortdauerndes Werk dieser Erziehung“, faßte Schiller zusammen.

Es gibt also nichts Neues unter der Sonne. Der Griff nach den Kindern scheint totalitären Entwicklungen zu jeder Zeit wesensimmanent zu sein. Wir finden diesen Ansatz nicht nur in sozialistischen Systemen, sondern auch im Nationalsozialismus. Da wurde zwar die Geburtenrate per Mutterkreuz gefördert, aber die empathische Mütterlichkeit als Affenliebe bezeichnet.

Schreienlassen war das Erziehungsprogramm für einen Säugling, nachzulesen im von Johanna Haarer 1934 veröffentlichten und flächendeckend verbreiteten Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“. Sie verstand sich als ausgesprochen modern, denn sie argumentiert zum Beispiel gegen die damaligen Großmütter, die „stets von neuem empört (sind) über die ‘herzlose, moderne’ Mutter“, die nicht auf das Schreien eingeht“. Und sie macht keinen Hehl aus dem dahinterstehenden ideologischen Ziel: „Vorüber sind die Zeiten, wo es erstes und oberstes Ziel aller Erziehung war, nur die Eigenpersönlichkeit im Kind zu vervollkommnen und zu fördern. Eins tut heute vor allem not, nämlich daß jeder junge Staatsbürger zum nützlichen Gliede der Volksgemeinschaft werde“, was hieß, bedingungslos dem Nationalsozialismus zu folgen. Das marxistische Pendant war die „allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeit“ beziehungsweise der „kommunistische Mensch“, der dem Sozialismus dient. Immer geht es irgendwie um die Schaffung eines neuen Menschen, im Dienst einer neuen Sache.

Nichts steht einem totalitären System dabei mehr im Wege als eine sichere Bindung – als die Liebe zwischen Eltern und Kindern, wodurch sie zu seelisch stabilen Persönlichkeiten mit Herzensbildung und tragfähigen Werten heranwachsen können. Die Bindung muß daher – je früher, um so wirksamer – gestört werden, denn instabile Persönlichkeiten mit unsicheren Bindungsmustern beziehungsweise neurotischen Zügen sind um so leichter zu manipulieren, zu ideologisieren und zu pervertieren.

Es ist die Tragik unserer Zeit, daß unsere politischen Eliten hoffnungslos veralteten Betreuungsmodellen anhängen, obwohl sie auf die modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Bindungs- und Hirnforschung zugreifen könnten.

Daß unsere jetzige Familienpolitik etwa Anleihen aus totalitären Ideologien nähme, ruft erfahrungsgemäß bei den heutigen Vertretern der Ganztagsbetreuung gereizte Reaktionen hervor. Als eigentliches Vorbild gilt unseren Politikern das linke Paradies des „schwedischen Wohlfahrtsstaats“. Dessen Vordenker, das sozialdemokratische Ehepaar Alva und Gunnar Myrdal, werden auch als dessen Sozialingenieure bezeichnet. In den 1930er Jahren postulierte Alva Myrdal, daß Kleinkinder nicht in die modernen Industriegesellschaften paßten, weil sie die Ehen mit Konflikten belasteten und die Mütter „um ihr Recht auf Erwerbstätigkeit“ brächten.

Sie sah es als Aufgabe des Staates an, die Eltern von der Bürde ihrer Kinder zu befreien, zum Beispiel in Krippen. Umgekehrt seien auch die Eltern ein Problem für die Kinder. Schließlich sei die Erziehung in Familien „durch emotionale Faktoren kontaminiert“. In der Kinderkrippe finde dagegen eine „demokratische Erziehung“ statt: „durch den unpersönlichen Charakter allgemeiner Regeln“.

Myrdal strebte mit diesem Erziehungsmodell Kinder an, die „sich geschmeidig und ohne pochenden Egoismus, aber doch mit Selbstvertrauen in das Arbeits- und Gesellschaftsleben einfügen“, und zwar „ohne verzehrende Konflikte“. So zitiert sie der Journalist Rainer Stadler in seinem Buch „Vater, Mutter, Staat“.

Die Parallelen zu unserer bundesdeutschen Realität drängen sich auf. Im Grundgesetz ist – auch als Kontrapunkt zur NS-Zeit – das Elternrecht an der Erziehung der Kinder fest verankert. Andererseits wird dieses Recht immer mehr ausgehöhlt, damit sich Mütter nicht allzu lange bei ihren kleinen Kindern aufhalten: Der finanzielle Druck auf die Familien nimmt zu durch familienungerechte Steuern und Sozialabgaben an den Staat. Das Elterngeld wurde gekürzt, das Betreuungsgeld gekippt. Politisches Ziel ist es, den „modernen“ Menschen zu schaffen, der sich ohne „störende“ Familienbindung „geschmeidig“ an die moderne Wirtschaft anpaßt.

Je mehr Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt drängen – eben auch die jungen Mütter –, desto mehr können Arbeitgeber das Lohnniveau drücken. Desto mehr können junge Absolventen mit schlechtbezahlten Praktika und befristeten Stellen abgespeist werden. Die linken Gender-Propagandisten liefern dem sonst so verhaßten „Kapital“ dafür wohlklingende Begriffe, um ihre ideologischen Ziele zu verfolgen: „Vereinbarkeit“, „Gleichstellung“ und „frühkindliche Bildung in der Krippe“.

Man wolle „die Lufthoheit über den Kinderbetten erobern“, wie der damalige SPD-Generalsekretär Olaf Scholz 2002 entlarvend direkt formulierte. Um mittels Bindungsstörung und Frühsexualisierung der Kinder den geschlechtsneutralen, gendergerechten Menschen von morgen zu schaffen?

Inzwischen haben wir ein Klima, in dem man unter Druck kommt, wenn man als Mutter sein kleines Kind wenigstens drei Jahre selbst betreuen möchte. Ein Klima, in dem es als einfach „modern“ und „angesagt“ gilt, wenn man sein Kind beizeiten in die Krippe bringt. Eine Eiszeit für die Mutter-Kind-Bindung und die Familie!

Es ist die Tragik unserer Zeit, daß unsere politischen Eliten hoffnungslos veralteten Betreuungsmodellen anhängen, obwohl sie auf die tatsächlich modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Bindungs- und Hirnforschung zugreifen könnten. Bindung ist der Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält und trägt. Bindung ist zeitlos modern. Wirtschaft und Staat leben davon, ohne sie selbst erzeugen zu können. Bröckelt dieser Kitt, ist eine gute Zukunft in Gefahr. 






Hanne K. Götze, Jahrgang 1960, arbeitet seit vielen Jahren auf den Gebieten der Mütter- und Familienberatung. Die verheiratete Mutter von vier Kindern stammt aus Thüringen und ist gelernte Diplom-Bibliothekarin. Sie engagiert sich in diversen Familienverbänden wie Kaleb, dem CVJM und anderen. Götze veröffentlichte das Buch „Kinder brauchen Mütter. Die Risiken der Krippenbetreuung“, Ares-Verlag, Graz 2011. Auf dem Forum schrieb sie zuletzt über die Erwartungen des Kleinkindes („Frühe Wunde, später Schmerz“, JF 27/15).

Foto: Erzieherinnen mit Krippenkindern in speziellen Kinderwagen 1979 in Neubrandenburg, damals DDR: Was uns heute als zeitgemäße Familien­politik angedient wird, ist ein Griff in die sozialistische Motten­kiste, ist tiefstes 19. Jahrhundert und nimmt sogar Anleihen beim antiken Sparta