© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Nachdem Frau Käßmann mit ihrem Angebot keinen Zuspruch fand, den Afghanistankonflikt durch persönlichen Einsatz beim Teetrinken mit Talibanführern zu beenden, jetzt also die Idee, den islamischen Terroristen in Liebe zu begegnen.

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Die Überlegung, die CSU bundesweit auszudehnen, kann nur Ausdruck politischer Verzweiflung sein. Als die Verhältnisse noch ganz andere waren – in der alten Bundesrepublik –, die CSU einen charismatischen Vorsitzenden hatte und in der CDU ein erhebliches Potential an Sympathisanten für die Schwesterpartei vermutet werden durfte, ist die Sache immer wieder erwogen und dann doch verworfen worden. Dafür gab es gute Gründe. Der beste war, daß eine bundesweit antretende CSU viel vom spezifisch Bayerischen hätte ablegen müssen. Armin Mohler, ein intimer Kenner der Vorgänge in München, meinte sogar, daß eine Umbenennung nötig sei. Und die „Nationale Volkspartei“, die ihm vorschwebte, die kann die CSU von heute beim besten Willen nicht werden, weil deren Nukleus längst existiert und kaum mehr aus der Welt zu schaffen ist.

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Katechontisch: In den Bahnlinien Dublins wird man regelmäßig per Lautsprecherdurchsage aufgefordert, nicht die Füße auf die Sitzbänke zu legen.

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Identität A: Der Historiker Michael Wood hat vorgeschlagen, den Streit um die Rhodes-Statue in Oxford dadurch beizulegen, daß man nicht nur eine erklärende Plakette anbringt, sondern auch noch ein anderes – komplementäres und kontradiktorisches – Monument errichtet. Ihm schwebt das Bild Lobengulas, eines Matabelekönigs, oder der Nehanda, einer Schamanin der Shona, vor. Beide gehörten zu den Opfern von Rhodes Aggressionspolitik im südlichen Afrika. Die Idee hat ihren Reiz. Den bezieht sie aber nur aus ähnlichen Vorgehensweisen im Rahmen des europäischen Völkerfrühlings. Da sollte allerdings eine Einheit wieder ins Gedächtnis gerufen werden, deren Bestand vorausgesetzt werden konnte. Hier soll eine Einheit konstruiert werden, die niemals Bestand hatte und auch keinen gewinnen wird.

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Identität B: Was an den Feierlichkeiten zur Erinnerung an den irischen Osteraufstand von 1916 besonders beeindruckte, war die Einhelligkeit des Gedenkens. Es geht tatsächlich um einen Mythos im Sinn der „Schlachtenbilder“, von denen Sorel gesprochen hat: eine begeisternde Vorstellung vom „Wir“ gegen „Die“. In Dublin fand sich jedenfalls kein Zeichen der Opposition gegen die Vorstellung, daß durch die gescheiterte Rebellion vor hundert Jahren die Grundlage des freien Irland von heute geschaffen wurde. Auch die Privathäuser waren mit den Nationalfarben dekoriert, überall sah man die alten Symbole, von der Lilie, dem Sinnbild der Auferstehung, bis zu den Abzeichen der Rebellen. Bemängelt wurde allenfalls die Schwäche des „Wiedervereinigungswillens“, wenn es um den Anschluß Nordirlands ging. Die große Ausstellung des Nationalmuseums ist überlaufen, und der volkspädagogische Impetus scheint niemand zu stören, sowenig wie die Verteilung eines Faksimiles der Unabhängigkeitserklärung und einer Kopie der Fahne, die über dem Hauptquartier der Rebellen wehte, an jede Schule des Landes. Angesichts dessen war es nur konsequent, daß die Regierung den Plan, ein Mitglied der britischen Königsfamilie zur großen Militärparade am Ostersonntag einzuladen, nach massiven Protesten fallengelassen hat.

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Um eine Vorstellung von dem zu bekommen, was der Economist als „Europas neue Normalität“ bezeichnet, stehe man am Flughafen in einer Warteschlange, es folge der Knall einer polizeilichen Leersprengung des verdächtigen Gepäckstücks, dann die Schrecksekunde, und es wandern die Blicke zur Nachbarreihe vor dem Schalter von Emirates.

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„Man darf nicht alles durchgehen lassen. Nicht einmal heutzutage.“ (Hieronymus „Harry“ Bosch)

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Bildungsbericht in loser Folge LXXXVII: Nun hat die Konrad-Adenauer-Stiftung also festgestellt, daß die wachsende Zahl der Abiturienten mit einer dramatischen Senkung der Anforderungen erreicht wurde, daß die Bestnoteninflation keiner Begabungshausse entspricht, daß Kompetenzorientierung des Unterrichts nichts mit der Fähigkeit zu abstraktem Denken, sinnentnehmendem Lesen und dem Umgang mit mathematischen Grundlagen zu tun hat, und daß der ganze Schlamassel genügt, die hohe Zahl von Studienabbrechern und gelösten Ausbildungsverträgen zu erklären. Nichts davon ist neu, alles war absehbar, und selbstverständlich hat es immer wieder einzelne gegeben, die nicht müde wurden, auf das Absehbare hinzuweisen. Was allerdings neu ist, und davon sprechen die Autoren der Studie nicht, das ist der notwendige Zweifel daran, daß es überhaupt noch das Personal in Politik, Wirtschaft, Hochschule und Schule gibt, um gegenzusteuern.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 29. April in der JF-Ausgabe 18/16.