© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Was Regierungsberater über das TTIP-Handelsabkommen wissen
Hörensagen und Gerüchte
Bruno Hollnagel

Große und kleine Anfragen können erhellend sein. So weiß der deutsche Wähler durch eine Grünen-Anfrage (18/3610), daß „seit langem keine Zuflüsse zum Goldbestand“ der Bundesbank mehr stattfinden und „auch keine Käufe“ beabsichtigt seien. Zudem lägen der Bundesregierung „keine Informationen vor, aus welchen Minen oder Ländern die deutschen Goldreserven stammen“.

Selbst eine kurze schriftliche Anfrage kann tief blicken lassen. So wollte der Linke Roland Claus unter der Nummer 179 wissen: Auf welchem Wege haben die Mitglieder des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung die erforderliche Kenntnis bezüglich des Inhaltes der geheimen TTIP-Unterlagen erlangt, die sie in die Lage versetzt hat, in ihrem Jahresgutachten (18/6740) die Aussage zu treffen, daß von TTIP positive Effekte zu erwarten sind?

Eine knifflige Frage, denn das Gutachten spricht nicht nur verheißungsvoll von produktivitätssteigernden Effekten, sondern auch vom enormen Potential für Kostenreduktionen (Randziffer 73). Wie können die Gutachter das bloß wissen, da der Vertrag geheim, nur für einen begrenzten Personenkreis in einem gesonderten TTIP-Lesezimmer einsichtig und es verboten ist, über Vertragsinhalte zu sprechen oder Aufzeichnungen zu machen? Zu dem erlauchten Kreis der Leseberechtigten gehören nämlich keine Mitglieder des Sachverständigenrates.

Kein Problem, meinte Iris Gleicke (SPD), parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium: „Der Sachverständigenrat hat in Ziffer 72 ff. seines letzten Jahresgutachtens eine nachvollziehbare und begründete Argumentation zu einem möglichen Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen vorgelegt. Die Aussagen des Sachverständigenrates setzen nach Auffassung der Bundesregierung keine Kenntnis der TTIP-Verhandlungsdokumente voraus.“

Von Bürokraten- in verständliches Deutsch übersetzt bedeutet das: Nach der Auffassung der Bundesregierung bedarf die Beurteilung der Folgen eines Vertrages keiner Kenntnisse über den Inhalt des Vertrages. Hörensagen und vage Gerüchte reichen den Topökonomen Christoph Schmidt, Peter Bofinger, Lars Feld, Isabel Schnabel und Volker Wieland offenbar aus, um das Corpus delicti gutachterlich für die Regierung beurteilen zu können.

„Keine Kenntnis der TTIP-Verhandlungsdokumente“ – ein erhellender Satz. Nimmt man ihn ernst, dann wird deutlich: Der eigentliche Grund für die katastrophale Politik der Bundesregierung ist nicht etwa mangelnde Intelligenz oder gar Unfähigkeit, sondern ganz etwas anderes: der vorsätzliche Verzicht auf Sachkenntnisse. Dabei heißt es sogar in der aktuellen TTIP-Werbebroschüre des Wirtschaftsministeriums: „Um über die Vor- und Nachteile von TTIP diskutieren zu können, braucht es eine klare Faktenbasis.“