© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Terrorverdacht auf der Baustelle
NSU: Recherchen der „Welt“ legen den Verdacht nahe, daß Uwe Mundlos nach dem Untertauchen zeitweilig in der Firma eines V-Mannes beschäftigt war
Marcus Schmidt

Was wußten die „Dienste“? Je weiter die Aufklärung der dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zugeschriebenen Mordserie voranschreitet, desto mehr rückt die Frage nach der Rolle des Verfassungsschutzes von Bund und Ländern in den Fokus. Was wußten die Geheimdienste über den NSU und noch wichtiger: Wie dicht waren sie ihm auf den Fersen? 

Recherchen der Welt unter Federführung ihres Chefredakteurs Stefan Aust, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurden, lassen diese Fragen nun noch drängender erscheinen. Das brisante Ergebnis der Nachforschungen: Uwe Mundlos war möglicherweise zwischen 2000 und 2002, also bereits nach dem Abtauchen des mutmaßlichen NSU-Trios aus Mundlos, Uwe Böhnhardt und der in München vor Gericht stehenden Beate Zschäpe, in der Baufirma eine V-Manns des Verfassungsschutzes beschäftigt. Mehr noch: Während dieser Zeit wurden die ersten Morde begangen, die dem NSU von der Bundesanwaltschaft zugeschrieben werden. 

Bei dem V-Mann handelt es sich laut Aust und Co-Autor Dirk Laabs, die seit ihrem 2014 erschienenen Buch „Heimatschutz“ (JF 41/14) als ausgewiesene NSU-Experten gelten, um den Rechtsextremisten Ralf Marschner (Deckname „Primus“). 

Thema im Untersuchungsausschuß

Dieser sei zwischen 1992 und 2002 bezahlter Spitzel des Bundesamtes für Verfassungsschutz gewesen und habe in dieser Zeit mehrere Firmen betrieben. In einem dieser Unternehmen („Marsch-ners Bauservice“) sei Mundlos unter der Identität des Rechtsextremisten Max-Florian Burkhardt beschäftigt gewesen. Dieser ist für die Ermittler kein Unbekannter: Nachdem das Trio 1998 abgetaucht war, hatte es ein halbes Jahr in dessen Wohnung in Chemnitz Unterschlupf gefunden.

Diese Behauptungen, für die Aust und sein Team unter anderem Verhörprotokolle Marschners sowie Zeugenaussagen präsentieren, werfen neue Fragen auf: Wußte Marschner, wen er da beschäftigte? Und wenn ja, hat er sein Wissen an den Verfassungsschutz weitergeleitet? Die erste Frage hat Marschner, der heute in der Schweiz lebt, laut Welt beantwortet. Auf die Frage „Haben Sie Uwe Mundlos beschäftigt“ habe Marschner mit „Nein, habe ich nicht“ geantwortet. Auch behauptet er, dem Trio niemals begegnet zu sein. Doch es spricht einiges dafür, daß es sich zumindest hierbei um eine Schutzbehauptung handelt. Zu tief waren sowohl Marschner als auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in die rechtsextremistische Szene in der Region verstrickt.

Angenommen, Marschner wußte, daß Uwe Mundlos unter falschem Namen auf seiner Baustelle beschäftigt war, bedeutet dies allerdings nicht automatisch, daß er davon auch seinen V-Mann-Führer informiert hat. Die mangelnde „Quellen-ehrlichkeit“ von V-Leuten aus der rechten Szene ist ein immer wiederkehrendes Problem des Verfassungsschutzes. 

Es gibt zudem mittlerweile auch sachliche Zweifel an den Recherchen der Welt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung vermutet, daß Aust die Verhörprotokolle Marschners falsch interpretiert haben könnte. Demnach habe der V-Mann gar nicht Burkhardt, sondern eine andere Person erwähnt. Diese wiederum habe keinen Kontakt zum NSU gehabt. Auch die Bundesanwaltschaft sieht ungeachtet der Aust-Recherche keine Anhaltspunkte dafür, daß Mundlos bei Marschner angestellt war. Zudem erscheine es Ermittlern als unwahrscheinlich, daß Mundlos ausgerechnet als Vorarbeiter tätig gewesen sein soll, obwohl das Trio nach dem Untertauchen ansonsten alles unternommen habe, um nicht aufzufallen. Also doch alles falscher Alarm?

Der Ende vergangenen Jahres eingesetzte zweite NSU-Untersuchungsausschuß des Bundestages wird sich mit den Vorwürfen gegen den Verfassungsschutz auf jeden Fall beschäftigen. „Der Verdacht, Uwe Mundlos habe beim damaligen V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Ralf Marschner, in Lohn und Brot gestanden, wiegt schwer.  Sollte er sich bewahrheiten, wäre das BfV näher am Trio dran gewesen, als es bislang schien“, sagte der Obmann der SPD im Ausschuß, Uli Grötsch.