© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/16 / 15. April 2016

Kiwi-Bündnis sorgt für Unruhe
Baden-Württemberg: CDU-Basis darf nicht über Grün-Schwarz abstimmen
Michael Paulwitz

Um den eigenen Mitgliedern Grün-Schwarz schmackhaft zu machen, zitiert Baden-Württembergs CDU-Chef Thomas 

Strobl derzeit gerne Erwin Teufel. „Erst das Land, dann die Partei, dann die Personen.“ An der Basis der einst stolzen Südwest-Union, die sich nach fünf dürren Oppositionsjahren zum Juniorpartner der Grünen degradiert hat, hegen viele den Verdacht, die Reihenfolge sei eher umgekehrt – und das Wohl der eigenen Partei stehe gar an letzter Stelle.

Darüber, was dem Land unter grün-schwarzer Führung bevorstehen könnte, dringt bislang kaum etwas aus den Koalitionsrunden nach draußen. Um so eifriger spricht Strobl über Personalien, vor allem über die eigene: Kabinettsmitglied und Vize-Ministerpräsident will er werden, in welchem Ressort, ist noch offen. Und der glücklose Spitzenkandidat Guido Wolf, der nach dem Wahldesaster nicht etwa die Verantwortung übernahm, sondern sich nur ein paar Tage später sofort als Chef der Landtagsfraktion wiederwählen ließ, solle ebenfalls ein „wichtiges Amt“ in der Landesregierung übernehmen.

Damit wäre zumindest ein möglicher Widersacher ruhiggestellt, der auch in der eigenen, um ein Drittel geschrumpften Fraktion nicht unumstritten ist. Eine Woche vor dem Wahltag hatte Wolf noch kategorisch ausgeschlossen, als „Juniorpartner“ der Grünen zu regieren. Doch wenn es um die Macht geht, scheinen die Schwüre der CDU-Granden allemal elastisch, auch wenn nicht jeder das Regieren um jeden Preis so unbekümmert zelebriert wie Landeschef Thomas Strobl.

Zumindest für ihn bietet ausgerechnet der historische Absturz der Südwest-CDU die Chance, eine doppelte Niederlage zum persönlichen Erfolg zu wenden. Daß die Mitglieder im Herbst 2014 statt seiner den damaligen Landtagspräsidenten Guido Wolf zum Spitzenkandidaten machten, erweist sich dabei nachgerade als Glücksfall: So hat er die zweite, die Wahlniederlage, die wesentlich von der Berliner Asylpolitik verschärft worden war, nur mittelbar zu verantworten. 

Ein herausgehobenes Amt in der ersten grün-schwarzen Koalition der Republik böte Strobl nicht nur die persönliche Genugtuung, wieder unumstrittener „Leitwolf“ der Landes-CDU zu sein, sie stabilisierte auch seine Position als Merkel-Vize. Und nicht zuletzt könnte er doch noch seine Regierungstauglichkeit demonstrieren und sich dadurch für höhere Berliner Aufgaben empfehlen.

Die Union, die er wendig als Trittbrett seiner Karriere einsetzt, treiben derweil ernste Zukunftssorgen um. Viel Profil wird sie in den Koalitionsvertrag kaum einbringen können; zu verteilen gibt es kaum etwas, Grün-Rot hat geplünderte Kassen hinterlassen. Die Hoffnung auf mehr Spielraum durch sinkende Asylbewerberzahlen ist angesichts der ungelösten Probleme mehr als vage. „Beide Seiten werden abspecken müssen“, sagt Grünen-Landeschefin Thekla Wagner und meint damit vor allem die andere. 

Grüne wollen Verankerung ausbauen

Gegen die Hauptforderung der CDU, den Ausbau der „Gemeinschaftsschulen“ zu stoppen und das dreigliedrige Schulsystem zu stärken, machen die Landeselternvertreter als verläßliche Grünen-Verbündete bereits mobil. Und den Frühsexualisierungs-„Bildungsplan“ hat der abgewählte SPD-Kultusminister Andreas Stoch als eine seiner letzten Amtshandlungen noch in Kraft gesetzt und damit weitere Fakten geschaffen.

Entsprechend grummelt es an der CDU-Basis. Der Rems-Murr-Kreisvorsitzende Joachim Pfeiffer spricht für viele, wenn er die geplante „Kiwi-Koalition“ – grün mit schwarzen Einsprengseln – als „Zwangsehe“ bezeichnet, die bei 90 Prozent seiner Mitglieder eher Sorgen und Bedenken als Begeisterung auslöse. Die Forderung nach einem Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag hat deshalb keine Chance: Ein Parteitag soll ihn statt dessen absegnen.

Sorgen, ihre Handschrift könnte zu kurz kommen, haben die Grünen keine. Vertreter aller Strömungen und selbst von der ihr Radikalinski-Image kultivierenden Grünen Jugend applaudieren dem Bündnis mit der Union ebenso wie zwei Dutzend einflußreiche CDU-Oberbürgermeister. Die Grünen, die der Union zahlreiche Direktmandate abgenommen haben, hoffen in einer zweiten Regierungsperiode auch ihre kommunale Verankerung im Land auszubauen. Als Partei des öffentlichen Dienstes sind sie drauf und dran, die CDU als „Baden-Württemberg-Partei“ abzulösen. 

Der baden-württembergische Realo-Veteran Rezzo Schlauch, die Hamburger Zweite Bürgermeisterin und frühere Chefin der Landesgrünen Katharina Fegebank und der CDU-Altlinke Heiner Geißler preisen Grün-Schwarz als „Test“ und „Zukunftsmodell“ für den Bund. Grünen-Chef Cem Özdemir und Ole von Beust, einst Chef der ersten schwarz-grünen Länderregierung in Hamburg, sind vorsichtiger. Die CDU müsse erst mal ihre Rolle als Juniorpartner annehmen; wenn man zu früh über Schwarz-Grün im Bund spekuliere, werde die AfD noch stärker, warnt von Beust.

Neuwahlen hätten denselben Effekt; durch ihre Abgrenzungspolitik hat sich die CDU selbst zur Unterordnung unter die Grünen verdammt und wird sich von der AfD, als drittstärkste Kraft Oppositionsführer im Landtag, vor sich hertreiben lassen müssen. Egal, welchem Rat – harmonisch mitlaufen oder die Differenzen in der Koalition betonen – die Union folgt: Die Gefahr, zwischen dem grünen Original und der AfD als Alternative für frustrierte Stammwähler zerrieben zu werden und der SPD auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit zu folgen, schwebt als Damoklesschwert über ihrer Juniorpartnerschaft.

Foto: Verhandlungspartner Strobl, Kretschmann und Wolf (v.l.n.r):  „Beide Seiten müssen abspecken“