© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

Ein Reich der Mittelstandsfalle
Der Brüsseler Politikwissenschaftler Jonathan Holslag über Chinas konfliktreiche Perspektiven
Peter Seidel

Der Untertitel von „Frieden auf chinesisch“ ist dramatisch: „Warum in Asien Krieg droht“. Der Autor, der Belgier Jonathan Holslag, hat dabei allerdings selbst Zweifel, auch wenn er „weniger reißerische Alternativen“ dann doch verworfen hat. Und, geben wir es ruhig zu, so mancher hätte das Buch vielleicht nicht gekauft, wäre der Titel weniger alarmistisch. Doch auch seine Folgerung, ein Krieg in Asien sei wahrscheinlich, aber nicht unausweichlich, sollte Interesse wecken. 

Wachstum mit friedlichen Mitteln nicht mehr möglich 

Der Brüsseler Professor für internationale Politik ist in Deutschland bisher relativ unbekannt. Er berichtet regelmäßig für internationale Medien über das Geschehen in Fernost, gerade auch in Wirtschaftsfragen, und berät die königlich-belgische Militärakademie. Im Mittelpunkt steht bei ihm das, was er „Asiens China-Dilemma“ nennt, also daß Chinas strategische Ziele mit denen seiner Nachbarn und der USA als pazifischer Macht „nicht zu vereinbaren sind“. Das ist grundsätzlich auch schon mit der Position des Deutschen Kaiserreiches Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa verglichen worden, nur ist das kommende China im Unterschied zu Deutschland eben nicht für die Hegemonie zu schwach und für das Gleichgewicht zu stark.

Problematisch könnte für China die sogenannte „Mittelstandsfalle“ werden, für die es derzeit nicht nur an den Börsen ernste Anzeichen gibt: Gemeint ist damit, in den Worten Holslags, daß „Chinas Aufstieg (...) einen kritischen Punkt überschreiten (wird), von dem aus weiteres Wachstum mit friedlichen Mitteln nicht mehr möglich ist“. Dies bedeutet, daß es ein zwar erfolgreiches Schwellenland ist, aber dies eben auch bleiben könnte, wenn es ihm nicht gelingt, in die Spitzengruppe der am höchsten entwickelten Industrieländer aufzusteigen, mit allen Folgen gerade auch im wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Für das schon heute mächtigste Schwellenland hätte dies sicher die gravierendsten  Auswirkungen aller Schwellenländer. 

Das Buch gliedert sich in neun Kapitel, von denen das erste sich grundsätzlich mit Asiens China-Dilemma beschäftigt, während die folgenden vier sich mit der Entwicklung Chinas seit der Gründung der Volksrepublik befassen. Von der aktuellen Situation handeln dann die nachfolgenden vier Kapitel, insbesondere von der wirtschaftlichen Entwicklung, dem „Wettstreit um den Pazifik“ sowie „einer weiteren Großmachttragödie“. Der Autor zählt sich zur realistischen Schule der Politikwissenschaft, er ist kein „blutendes Herz“ und keine „reine Seele“, wie sie in Deutschland derzeit die internationale Politik bestimmen.

Doch so wie der Autor nicht immer stringent genug zwischen Einfluß und Macht unterscheidet, so erschließt sich dem Leser seine zentrale These von der Kriegsgefahr nicht konkret, allen aufgeführten Spannungsfeldern zum Trotz. Unzweifelhaft richtig ist aber nach heutiger Sicht, daß es in Asien erneut zu kriegerischen Handlungen wie Grenzscharmützeln oder Inselstreitigkeiten kommen dürfte, wie dies auch schon in den letzten sechzig Jahren der Fall war, als China längst noch nicht so bedeutend war wie heute und auch noch keine Gegenmachtbildungen entstanden, wie sie sich seit einigen Jahren zusammen mit der stärker pazifischen Ausrichtung der USA langsam entwickeln. Allerdings wächst in ganz Asien der Nationalismus, nicht nur in China. Dies auszubalancieren dürfte nicht einfach werden.

Für in Deutschland erscheinende Bücher leider üblich ist, daß die im Buch veröffentlichten vier Landkarten lieblos auf zwei Seiten zusammengedrängt wurden, was nicht nur angesichts des dargestellten großen Raums unpassend ist. Auch die Erläuterungen der Karten hätten ausführlicher ausfallen sollen. So bleibt insbesondere die sogenannte „Zweite Inselkette“, die China zu seinem weiteren Vorfeld rechnet und die weit in den Pazifik hineinreicht, so gut wie gar nicht erläutert. Dies gilt auch für die Karte, die Chinas Interessen im rohstoffreichen Zentralasien behandelt.

Holslags China-Buch beinhaltet viele interessante, aktuelle Informationen, doch gemessen an seiner Hauptthese fehlt es doch an geostrategischer Durchdringung. Da ist es gut, daß im November ein Buch neu erschienen ist, das davon mehr als genug hat: Zbigniew Brzezinskis „Die einzige Weltmacht“, dessen China-Kapitel nach wie vor sehr lesenswert sind, was durch zahlreiche Karten gut veranschaulicht wird. Zusammen ergeben beide Bücher einen eindringlichen Blick auf den Aufstieg Chinas in Asien – unabhängig davon, wie hoch man die Kriegsgefahr dort auch einschätzen mag.

Jonathan Holslag: Frieden auf chinesisch. Warum in Asien Krieg droht. Edition Körber- Stiftung, Hamburg 2015, broschiert, 300 Seiten, 17 Euro