© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

Seeheld und Selbstvermarkter
Vor fünfzig Jahren starb Felix Graf von Luckner / Vortragsreisender mit umstrittenem Privatleben
Jan von Flocken

Der deutsche Vizeadmiral a.D. Hermann Kirchhoff schrieb 1916: „Der Kreuzerkrieg geht fort und läßt noch manche frische Tat unserer wenigen Auslandskreuzer erwarten. Das stark zusammengeschmolzene Häuflein bleibt emsig weiter an der ihr zugeteilten Arbeit tätig, unbekümmert, wie, wo und wann auch seine Schicksalsstunde schlagen würde.“ Auf den Weltmeeren operierten während des Ersten Weltkriegs insgesamt zwölf aktive Hilfskreuzer der Kaiserlichen Marine. Es handelte sich um Frachtschiffe, die kriegsmäßig umgerüstet wurden und den Nachschub zur See vor allem für Großbritannien beeinträchtigen sollten. Sehr erfolgreich agierten hier Hilfskreuzer wie „Wolf“, „Kronprinz Wilhelm“ und vor allem die „Möve“ unter dem Kommando von Korvettenkapitän Nikolaus Graf zu Dohna, der 42 Handelsschiffe im Atlantik versenken konnte.

Am populärsten wurde indes ein anderer Graf, der alle Künste der Selbstdarstellung mit bemerkenswerter Virtuosität beherrschte. Der 1881 geborene Felix Graf von Luckner stammte wie viele leidenschaftliche Seemänner aus dem Binnenland, der sächsischen Hauptstadt Dresden. Kaum 13 Jahre alt, heuerte er unter falschem Namen auf einem russischen Segelschiff an. Danach erwarb er Patente als Steuermann sowie Kapitän und wurde 1910 in den aktiven Dienst der Kaiserlichen Kriegsmarine übernommen. Die siegreiche Seeschlacht vom Skagerrak Anfang Juni 1916 focht er als Artillerieoffizier des Linienschiffes „Kronprinz“ durch. Zum Kapitänleutnant befördert, übernahm Luckner das Kommando des Hilfskreuzers „Seeadler“ und legte damit den Grundstein für seinen legendären Ruf.

Der Dreimaster „Seeadler“, ein recht betagtes US-Segelschiff von 1.570 Bruttoregistertonnen (BRT) aus dem Jahr 1878, war als „Pass of Balmaha“ vom deutschen Unterseeboot U 36 aufgebracht worden. Danach wurde er mit Hilfsmaschinen versehen und mit zwei 10,5 Zentimeter-Schnellfeuergeschützen ausgerüstet. Am 2. Dezember 1916 stach das Schiff unter Luckners Kommando nebst 64 Mann Besatzung in See.

Während der folgenden acht Monate konnte die „Seeadler“ 14 Schiffe mit knapp 30.000 BRT versenken und lag damit über dem Durchschnitt der Hilfskreuzerbilanz. Größter Erfolg war die Vernichtung des britischen Frachters „Horngarth“ mit 3.600 BRT im März 1917. An Bord des Hilfskreuzers befanden sich bereits 263 Gefangene. Sie wurden sehr rücksichtsvoll behandelt, bekamen die gleiche Verpflegung wie die deutschen Besatzungsmitglieder. Kapitäne und Offiziere der versenkten Schiffe saßen am selben Tisch wie Graf Luckner. Schließlich wurden sie alle mit dem gekaperten französischen Segler „Cambronne“ nach Rio de Janeiro geschickt, wo sie sicher anlangten.

Die weitere Route führte Luckner über den Atlantik um Kap Hoorn in den Pazifischen Ozean. Hier ereilte den „Seeadler“ am 2. August 1917 sein Mißgeschick. Das Schiff zerschellte an einem Riff des Atolls Maupihaa, das zu Französisch-Polynesien gehörte. Danach unternahm Luckner eine abenteuerliche Fahrt, die sehr an die nautische Glanzleistung des Kapitäns William Bligh der „Bounty“ erinnert. In einem nur sechs Meter langen offenen Beiboot, man taufte es patriotisch „Kronprinzesin Cecilie“, segelte Luckner mit einem Leutnant und vier Matrosen binnen vier Wochen etwa 2.300 Seemeilen durch den Pazifik. Über die Cook-Inseln erreichten sie die Fidschi-Insel Wakaya, wo sie von den mit Großbritannien verbündeten Neuseeländern interniert wurden.

Doch schon wenige Tage später konnten die Deutschen auf der gekaperten Motoryacht des Inselkommandanten „Pearl“ fliehen. Danach besetzten sie den Segelschoner „Moa“ und schlugen sich bis zur unbewohnten Macauley-Insel durch. Hier gerieten sie wieder in Gefangenschaft. Luckner und seine Männer wurden nach Kriegsende entlassen.

In Deutschland, wo er im Juli 1919 eintraf, empfing man den Kommandanten des „Seeadler“ als bejubelten Helden. Sein selbstgewählter Beiname „Seeteufel“ war bald in aller Munde, wobei es sich eigentlich um einen extrem häßlichen Knochenfisch (Lophius piscatorius) handelte. Ein Buch gleichen Namens erreichte eine Auflage von mehr als 600.000 Exemplaren. Das Erzählen und Ausschmücken seiner Geschichte wurde für den Grafen bald wichtiger als der Verbleib in Deutschlands erheblich reduzierter Kriegsmarine, und so schied er 1922 aus dem Dienst.

1945 rettete er Halle an der Saale vor der Zerstörung

Triumphe feierte Luckner vor allem in den USA, wo während der zwanziger Jahre ein immenses Interesse an den deutschen Jagdfliegern, U-Bootfahrern und Kreuzerkommandanten des Weltkrieges bestand. Daß er hier häufig seine Ruhmestaten mit einer gehörigen Portion Seemannsgarn umwob, verwundert nicht bei einem Mann, dem schon seine Marine-Vorgesetzten Eitelkeit und Geltungsbedürfnis bescheinigt hatten.

1997 veröffentlichte der Journalist Norbert von Frankenstein ein Buch, in dem das Denkmal des am 13. April 1966  gestorbenen Luckner gestürzt werden sollte. Angeblich habe er inzestuösen Geschlechtsverkehr mit seiner Tochter gehabt, „wahrscheinlich im Jahre 1936“. Da war die Tochter 23 Jahre alt. Obwohl Luckner weder von einem Strafgericht verurteilt noch von einem 1939 eingesetzten Ehrengericht für schuldig befunden wurde, hinderte das den Spiegel nicht, ihn 1998 als „Kinderschänder“, „Lügner“ und „der geile Graf“ zu diffamieren. Als Tatsache sei erwähnt, daß Graf Luckner 1953 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen wurde. Seine guten Kontakte zu den Amerikanern hatten im April 1945 dazu beigetragen, daß Luckners temporäre Heimatstadt Halle/Saale nicht bombardiert, sondern nach Verhandlungen mit der 104. US-Infanteriedivision kampflos übergeben wurde.