© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

Still, verträumt, friedvoll
Brandenburg: Eine Reise durch die Landschaft und Städte der Uckermark
Wiebke Dethlefs

Irgendwie scheint sie ein ungeliebtes Stiefgeschwister der märkischen Landschaften zu sein. In den Buchhandlungen ist Schrifttum über die Uckermark rar, als Ausflugsziel ist sie den Berlinern weitaus weniger vertraut als andere brandenburgische Landstriche wie das Ruppiner Land, Havel-, Spree- und Oderland. Und auch Fontane widmete ihr vor knapp 150 Jahren in seinen „Wanderungen“ keine Aufmerksamkeit. Dabei ist das Gebiet nordöstlich von Berlin, zwischen Schorfheide und Odertal, landschaftlich ausgesprochen reizvoll und keineswegs nur eine „dürre Heide“, wie es in einem Preußen-Buch von 1868 heißt.

Der heutige Kreis Uckermark mit seiner Fläche von 3.000 Quadratkilometern deckt sich im wesentlichen mit der alten kulturhistorischen Region, wenngleich diese bezüglich ihrer Grenzen nie ganz exakt definiert war. Lychen ist das westliche Eingangstor zur Uckermark, die hier, im Westen und Südwesten, dichte Kiefernwaldbestände aufweist, die mit Buchenmischwald abwechseln. In den dichten Waldgebieten südlich Lychens befand sich von 1967 bis 1990 das „Sonderwaffenlager Himmelpfort“, eines der beiden Kernwaffendepots der Sowjets in der DDR. Einige Bunker können noch aufgesucht werden (gute Wanderkarte nötig).

Lychen selbst liegt über die Maßen hübsch zwischen sieben Seen eingebettet. Die Seen bieten alle Möglichkeiten des Wasserwanderns, und um sie herum wie auch im Waldgebiet der Hohen Heide finden sich schönste und abwechslungsreichste Fußwanderwege. Das Tal des Küstrinchenbachs östlich der Stadt ist kaum bekannt, in seiner urwaldartigen Erlenbruchlandschaft ist es aber ein Kleinod besonderen Rangs. Wie alle uckermärkischen Städtchen hat Lychen 1945 sehr gelitten, die Zeiten unbeschädigt überstanden hat aber das Sanatorium Hohenlychen. Erbaut 1902 als Tuberkulose-Heilanstalt, während der NS-Zeit als SS-Krankenhaus genutzt und nach dem Krieg bis zum Abzug der sowjetischen Streitkräfte ein Militärspital, dämmert es seit 1993 einer ungewissen Zukunft entgegen. Aktuell soll ein nobler Ferienwohnungskomplex entstehen, doch läßt der Gebäudezustand daran zweifeln.

Viele Städte erlitten 1945 gründliche Zerstörungen

Zwanzig Kilometer südöstlich von Lychen liegt die 16.000-Einwohner-Stadt Templin. Auch hier zeigen zahlreiche Baulücken in der Innenstadt die Zerstörungen von 1945 noch an. Templin lohnt aber den Besuch schon wegen seiner vollständig erhaltenen, 1.800 Meter langen Stadtmauer sowie einigen erhaltenen Fachwerkhäusern und dem spätbarocken Rathaus. In einem bescheidenen Backsteinhaus neben der Pfarrkirche verbrachte Angela Merkel (geb. Kasner) ab ihrem dritten Lebensjahr seit 1957 ihre Kindheit. Von 1961 bis 1973 war sie Zögling der lokalen Polytechnischen und Erweiterten Oberschule (bisher ohne Gedenktafeln). 

Gut vierzig Kilometer südöstlich von Templin, und schon der Oder sehr nahe, liegt die 13.000-Seelen-Stadt Angermünde. Sie blieb 1945 unzerstört und konnte den Charme eines preußischen Ackerbürgerstädtchens durch die Zeiten bewahren. Getrübt wird der Aufenthalt in Angermünde jedoch durch die örtlichen Bierpreise: Obwohl nur von mittlerem Charme, glaubt ein Gasthaus in der Rosenstraße für den halben Liter 4,80 Euro verlangen zu können. Dafür entschädigt in der nahen Umgebung wunderbare Natur.

Kaum bekannt ist, daß sich nur etwa sieben Kilometer südwestlich mit den Buchenwäldern von Grumsin eine Unesco-Weltnaturerbestätte befindet.  Östlich von Angermünde senkt sich die Grundmoränenlandschaft teils steil zur Oder hinab, wo man das Südende des Nationalparks Unteres Odertal erreicht, der sich bis kurz vor Stettin erstreckt. Das Nationalpark-Besucherzentrum in Criewen ist in den Wirtschaftsgebäuden des klassizistischen Schlosses untergebracht. Das Schloß gehört neben Boitzenburg und Zichow zu den wenigen größeren Adelssitzen der Uckermark. Alle drei sind alte Arnimsche Güter – wie fast die ganze Uckermark die Zeitläufte hindurch sich in Arnimschen Besitz befand.

Von Criewen ist es nicht weit nach Schwedt/Oder. Doch liegt die Stadt heute genaugenommen nicht an der Oder, sondern an der Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße. Die allerdings entstand erst in den 1920er Jahren aus der Westoder, da diese zu oft Niedrigwasser führte und so für die Schiffahrt nicht genutzt werden konnte. Die Westoder gibt es immer noch, allerdings beginnt sie heute erst am Ende der erwähnten Wasserstraße.

Jüdisches Ritualbad ist

ein einzigartiges Zeugnis

Zu DDR-Zeiten war Schwedt jedem ein wohlbekannter Ort. In erster Linie wegen des gigantischen, viele tausend Menschen beschäftigenden Chemiewerks, dem Petrolchemischen Kombinat Schwedt (PCK), und in zweiter Linie besonders den Jüngeren und ehemaligen Volksarmee-Angehörigen wegen des berüchtigten Militärgefängnisses. Dazu kam der allerdings ziemlich negative Ruf einer gesichtslosen Stadt ausschließlich aus Plattenbauten; die Kämpfe um die Oder hatten im März 1945 von dem alten Residenzstädtchen, das nicht zuletzt durch den heute noch bestehenden Tabakanbau in der Umgebung bedeutend war, fast nichts übriggelassen.

Längst jedoch ist Schwedt (30.000 Einwohner) besser als sein Ruf. Es ist ein gepflegter Ort mit viel Grün, es existieren noch Reste der historischen Altstadt, und als besondere Sehenswürdigkeit findet man in der Gartenstraße das alte Ritualbad der einstigen Jüdischen Gemeinde. Diese „Mikwa“ mit Rundkuppel und Tempeldienergebäude ist einzigartig in Brandenburg. Zusammen mit den Oderwiesen,- auen und -sümpfen im nahen Nationalpark ist Schwedt ein zwar noch nicht populäres, aber doch lohnendes Reiseziel. Seit 2008 trägt es offiziell den Titel „Nationalparkstadt“.

An der Straße nach Prenzlau liegt der gewaltige Komplex der erwähnten Raffinerie PCK, wo Rohöl aus Rußland verarbeitet wird. Das Werk beschäftigt heute etwa 1.200 Mitarbeiter, zudem arbeiten auf dem viereinhalb mal zwei Kilometer großen Gelände zahlreiche Fremdfirmen. Über die B 166 erreicht man nach vierzig Kilometern Prenzlau, Sitz der Verwaltung des Kreises Uckermark. Die B 109, die von Berlin über Templin, Prenzlau, Pasewalk nach Anklam führt, war in DDR-Zeiten die wichtigste Verbindung von Ost-Berlin mit Rügen und Usedom. Alle Ostseeurlauber durften somit Prenzlau kennenlernen, das damals zumindest im Sommer unter den durchflutenden Trabant- und Wartburgwogen litt.

Prenzlau erlitt Ende April 1945 so gründliche Zerstörungen, daß innerhalb des großenteils noch vorhandenen Stadtmauerrings bis auf die Kirchen und das Dominikanerkloster kein Gebäude aus der Vorkriegszeit stehenblieb. Aufgehübschte, jedoch architektonisch fade Wohnblocks aus den sechziger Jahren haben dann Fachwerk- und gründerzeitliche Bürgerhäuser ersetzt. Doch es gibt eine nette kleine Fußgängerzone mit einer Nachbildung der alten Rolandsstatue, und vor allem gibt es den himmelstürmend aufragenden Bau der Marienkirche mit ihrem kunstvollen Rosetten- und Fialenwerk des grandiosen Ostgiebels – kein Buch über Backsteingotik verzichtet bis heute auf eine Darstellung.

Etwa zehn Kilometer südlich von Prenzlau liegt Potzlow. Dort befindet sich der einzige hölzerne Roland Europas. Der Sage nach wurde der originale Stein-Roland irgendwann im 17. Jahrhundert von den Prenzlauern geraubt und 1727 durch einen hölzernen ersetzt. Dieser zerfiel, künstlerisch höchst einfach gearbeitet, nach und nach und wurde 1991 durch eine Replik ersetzt.

Zum Ende der Reise bleibt von der Uckermark der Eindruck einer stillen, verträumten, friedvollen, weltfernen, zuweilen sogar verwunschenen Landschaft, die vielerorts Zeugnisse einer bewegten Geschichte aufweist. Nur die allzu vielen Windräder machen dem Wanderer bewußt, sich in der Jetztzeit und nicht in längst entschwundenen Epochen zu befinden.


Weitere Informationen über den Landkreis Uckermark im Internet unter

 www.uckermark.de