© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

Auf die Freiheit hoffen
Teuflische Rache an wehrlosen Opfern: Der deutsch-dänische Spielfilm „Unter dem Sand“ beleuchtet ein dunkles Kapitel der Nachkriegsgeschichte
Sebastian Hennig

Mit zwei Millionen Sprengsätzen sollte die Landung der Alliierten an der Westküste Dänemarks aufgehalten werden. Zu Kriegsende waren längs der Nordsee in Jütland mehr Minen verborgen als im gesamten restlichen Europa. Die britischen Besetzer schlugen vor, sie durch deutsche Kriegsgefangene beseitigen zu lassen; die Dänen hatten sich mit den Verhältnissen arrangiert und standen unter dem Anpassungsdruck an die Sieger. Kurzerhand wurden die Kriegsgefangenen zum „Freiwilligen Personal des Feindes“ erklärt, um das Zwangsarbeitsverbot der Genfer Konvention zu umgehen. Über zweitausend Gefangene, zumeist zwischen 15 und 18 Jahren jung, entfernten zwischen Mai und Oktober 1945 in Dänemark anderthalb Millionen Minen. Dabei ereigneten sich mehr Todesfälle in Dänemark als durch die gesamten Kriegshandlungen.

Bis heute ist das ein historisches Tabu, und es wird hartnäckig an der Lesart eines Freiwilligendienstes festgehalten. Nun hat der dänische Regisseur Martin Zandvliet mit „Unter dem Sand“ den undurchsichtigen Stoff zu einem kristallklaren und spannenden Film werden lassen. 

Der unerträgliche Druck, der auf den jungen Deutschen lastet, teilt sich während der ganzen Zeit mit. Sie dürfen nur dann auf ihre Freiheit hoffen, wenn sie alle Minen entschärft haben. Erst in der zwanzigsten Minute des Films beginnt ein Gespräch zwischen den vierzehn Mitgliedern des Räumkommandos, von denen nur vier überleben werden. Weitere vierzig Minuten vergehen, ehe der Unteroffizier Carl Rasmussen (Roland Møller) ein menschliches Wort an einen von ihnen richtet. Sein Hund Otto ist die einzige Kreatur, mit der er etwas anderes als Kommandos austauscht.

Zu Beginn des Films wird er selbst als harter Hund eingeführt. Der Fallschirmjäger rast im Geländewagen am endlosen Zug der Kriegsgefangenen vorbei. Als er bei einem den Dannebrog sieht, hält er an, entreißt ihm die Fahne und schlägt dem Wehrlosen das Gesicht blutig. Wie ein Höllenhund wütet er unter den Gefangenen, tritt nach ihnen und brüllt, sie sollten gehen, das sei sein Land. Mit soldatischer Härte setzt er seine Befehle durch.

Dem 16jährigen Sebastian (Louis Hofmann) gelingt es mit Besonnenheit, zu Rasmussen durchzudringen, dem es immer mehr zu schaffen macht, daß er unreife und unterernährte Knaben in die Hoffnungslosigkeit führen soll. Er gebietet dem Sadismus einer englischen Soldateska Einhalt.

Als er sich für die unerlaubte Beschaffung von Nahrungsmitteln verantworten soll, hält ihm der Hauptmann Ebbe Jensen (Mikkel Boe Følsgard) entgegen: „Wer alt genug ist, in den Krieg zu ziehen, ist auch alt genug, danach aufzuräumen.“ Damit wird die teuflische Rache gerade an den wehrlosesten Opfern des Gegners vollstreckt und der von deutscher Seite begonnene Mißbrauch der minderjährigen Jugend auf die Spitze getrieben. Mit der Begründung „Sie sind Deutsche, Carl“ wiegelt Jensen jeden Einwand ab.

Regisseur Zandvliet hegte schon immer Zweifel am bereinigten Geschichtsbild, welches die Dänen als Widerständler und Opfer hinstellt. Zuerst hatte Helge Hageman 1998 in seinem Buch „Unter Zwang“ auf die Ereignisse hingewiesen. Seinen eigenen Vater, der als dänischer Major die Räumungen leitete, bezeichnet er als einen Kriegsverbrecher. Die entfernten Minen wurden genauer gezählt als die eingesetzten Personen.

Als am 22. Juli 1945 unweit der dänischen Hafenstadt Esbjerg bei einem Räumungsversuch 480 untereinander verbundene Minen mit einem Mal hochgingen, starben fünf Soldaten sofort, zwei weitere erlagen ihren Verletzungen. Allein aus Esbjerg existiert eine Aufstellung von 878 deutschen Beerdigungen. Dieses Ereignis fand in veränderter Form Aufnahme in den Film, ebenso wie der Umstand, daß die Gefangenen vor ihrer Freilassung noch zum Durchmarsch geräumter Felder gezwungen wurden. Das garantierte Gründlichkeit bei der Minenentfernung ebenso wie sie weitere Verluste wahrscheinlich machte.

Es gibt Anhaltspunkte, daß die Räumungen bis ins Jahr 1946 fortgesetzt und dazu nicht nur auf dem Territorium von Dänemark die deutschen Pioniere herangezogen, sondern auch Kriegsgefangene aus Deutschland geholt wurden.

Dem Regisseur geht es nach eigener Aussage nicht allein darum, der „Verherrlichung des dänischen Verhaltens während des Krieges und dem daraus resultierenden Selbstverständnis“ entgegenzutreten; er wollte erforschen, „was mit einem Menschen passiert, der zwar sein Land liebt, aber mit einer Aufgabe betraut wird, die nicht im Einklang mit den Werten steht, von denen er glaubte, daß sie sein Land repräsentieren“.

Dem Drama gelingt, was im unmittelbaren Kriegsfilm häufig zur Farce entartet. Von seiner Peripherie her entsteht ein plausibles Bild des Krieges. Ähnlich wie 2014 in „Wolfskinder“ (JF 36/14) wird hier ein weiteres dunkles Kapitel der jüngeren europäischen Geschichte ans Licht gehoben.