© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

Die Gretchenfrage lautete heute anders
Beschwichtigung: Die Kirchen müssen sich Unschärfen in ihrer Haltung zum Islam vorwerfen lassen
Gernot Facius

Monsignore Fausto Tardelli, Bischof von Pistoia in der Toskana, las jüngst seinen Priestern Massimo Biancalani und Allessandro Carmignani öffentlich die Leviten, er wollte deren besondere Form kirchlicher „Willkommenskultur“ nicht akzeptieren. Die beiden Geistlichen hatten versucht, in ihren Gotteshäusern Plätze für Muslime einzurichten und Gebetsteppiche Richtung Mekka auszulegen. Da ging der Exzellenz die Mitra hoch. Christen, stellte Tardelli klar, seien zwar verpflichtet, in Not geratene Andersgläubige aufzunehmen, aber katholische Kirchen dienten der Feier der Liturgie und der Begegnung der eigenen Gemeinde. Für das Gebet von Muslimen müsse ein anderer, geeigneterer Ort gefunden werden. 

Der am Einspruch des Bischofs gescheiterte Vorstoß der toskanischen Priester steht exemplarisch für die theologischen Verwirrungen und Fehleinschätzungen im interreligiösen Dialog, genauer: im oberflächlichen Reden vom Glauben der monotheistischen Religionen an den „einen Gott“. Katholiken wie Protestanten sind immer wieder in Gefahr, in diese Falle zu tappen.

Nicht unschuldig daran ist das Zweite Vatikanische Konzil (1962–65). Es hatte das Verhältnis Roms zum Islam neu bestimmt und Respekt gegenüber der Religion bekundet, die mit den Christen den Glauben an den einen Gott teile. Der Papst sprach tolerant von jenen, „die Gott in der Form des Monotheismus anbeten. Für alles, was in ihrer Gottesverehrung wahr und gut ist, verdienen sie unsere Achtung.“ Im Verlauf der Konzilsdebatten verwandelten sich die Muslime, gegen die einst Kreuzzüge geführt worden waren, in anerkannte Gläubige, „die einen einzigen persönlichen Gott anbeten und die durch religiösen Sinn und zahlreiche Beziehungen menschlicher Kultur uns nahestehen“. Johannes Paul II. bekräftigte diese Aussagen, als er 1989 in einer Nahost-Friedensbotschaft die Muslime „im Namen desselben Gottes, den wir anbeten und dem zu dienen wir uns bemühen“, um Unterstützung bat.

Muslimische Feier unter christlichem Dach

Es können sich nur noch wenige daran erinnern, was sich am 3. Februar 1965, im Dom zu Köln zugetragen hat. In den nördlichen Seitenschiffen der Kathedrale feierten mehrere hundert Muslime mit „Allahu akbar“-Rufen das Ende des Fastenmonats Ramadan. Auf den Steinfliesen im Schatten der Kruzifixe und anderer christlicher Symbole wurden die Gebetsteppiche ausgebreitet, „an der Stätte, an der 1147 Bernhard von Clairvaux zum zweiten Kreuzzug predigte“, wie die Kölnische Rundschau vermerkte: „Der 3. Februar 1965 war ein Tag, der Religionsgeschichte gemacht hat.“ Köln stand kopf, notierte die Wochenzeitung Die Zeit. Sie meinte nicht den Karneval, der damals seinem Höhepunkt entgegenging, sondern das „besondere Zeichen von Respekt und Toleranz“ (KNA). Denn es war das erste Mal, „daß Mohammedaner ihr höchstes Fest in einer katholischen Kirche feierten. Noch vor einigen Jahren war der Plan, in Aachen eine Moschee für islamische Studenten zu bauen, am Widerstand der katholischen Kirche gescheitert.“ In der Metropole am Rhein war nun auf einmal alles anders. Offenbar hatte ein einzelnes Mitglied des Domkapitels die Genehmigung für die muslimische Feier unter christlichem Dach gegeben; die Entscheidung wurde aber nachträglich von dem Gremium, das die Hausherrenrolle ausübt, gebilligt.

Bis heute muß sich die Kirche den Vorwurf anhören, einer Appeasementpolitik gegenüber einer gewaltbereiten Religion Vorschub geleistet zu haben. Die Rede von einer „Religion des Friedens“ hat zu manchen theologischen Unschärfen im christlich-muslimischen Dialog beigetragen. Es wird nicht immer sauber differenziert zwischen „Gott“ und den „Gottesbildern“.

Daß Islam mit Unterwerfung zu tun hat, wird gern ausgeblendet. Für den württembergischen Kirchenrat i. R. Albrecht Hauser ist es schlicht Wahnsinn zu behaupten, Terror wie in Brüssel oder Paris habe nichts mit dem Islam zu tun. Auch Hauser empfiehlt, zwischen Muslimen als Mitmenschen und dem Islam als religionspolitischer Ideologie zu unterscheiden, setzt aber hinzu: „In der Begegnung mit dem Islam haben wir es eben nicht nur mit Menschen anderen Glaubens zu tun, die sich mit etwas gutem Willen leicht in einer multikulturellen Gesellschaft integrieren lassen würden, sondern auch mit einer Weltanschauung, die diesem Integrationswillen zäh entgegensteht und der freiheitlichen demokratischen Werteordnung westlicher Demokratien die Scharia als letztgültiges Recht entgegenstellt.“

Es gibt wenige Theologen, die sich so entschieden äußern, und sie haben es nicht leicht in ihren jeweiligen Denominationen. Zu diesen Ausnahmen zählt auch der Generalvikar des katholischen Bistums Chur, Martin Grichting. Natürlich dürfe der aktuelle Terror nicht für platte Islamophobie mißbraucht werden, gab er in der Zeitung Blick zu bedenken. Aber es sei auch naiv, solche Wahnsinnstaten auf ein Problem der inneren Sicherheit oder der verpaßten Integration zu reduzieren. Denn es müsse allen klar sein, daß da nicht einfach ein paar durchgeknallte Globalisierungsverlierer am Werk seien. „Wer bereit ist, sich ins Jenseits zu sprengen, den kann man nicht mit Jobs und Handys zum angepaßten Konsumbürger machen.“

Der Religionsgründer ruft zum Töten auf

Natürlich wäre es intellektuell unredlich, Gewalt unter christlichem (oder auch jüdischem) Vorzeichen zu leugnen. Alle drei abrahamitischen Religionen haben theologisch und historisch ein Gewaltproblem. Der Gründer des Christentums hat freilich sein Reich nicht mit Gewalt verbreitet, sondern ist selbst ein Gewaltopfer geworden. Das ist in der Tat der Grund, weshalb Christen sich nicht auf ihren Gründer berufen können, wenn sie religiös motivierte Gewalt üben. Daß sie das getan haben, steht auf einem anderen Blatt. Aber sie haben damit Christus verraten.

Hier findet sich der entscheidende Unterschied zu den Moslems. Wenn sie religiös motivierte Gewalt üben, folgen sie ihrem Religionsgründer, der zum Töten aufgerufen hatte. Muslime haben es deshalb schwerer, die Errungenschaften der Aufklärung anzuerkennen, darunter das Gewaltmonopol des Staates. „Die europäischen Staaten werden deshalb von jedem Angehörigen dieser Religion, der bei uns leben will, ein Bekenntnis zum staatlichen Gewaltmonopol verlangen müssen. Und wer es nicht ablegen will oder dagegen verstößt, kann nicht in Europa bleiben“ (Grichting).

Es gibt diverse Deutungsmuster für das wiedererwachte Interesse an der Religion, aber es hat in Deutschland und Westeuropa selten genuin religiöse Gründe. Die Haltung zum Islam sei eine westliche Glaubensfrage geworden, meint zum Beispiel der jüdische Historiker und Publizist Michael Wolffsohn. „Das religionspolitische Hauptthema Deutschlands ist demnach zugleich ein, nein, das sicherheitspolitische Thema der Nation.“ Schriebe Goethe heute seinen „Faust“, ließe er Gretchen ihren Heinrich nicht danach fragen, wie er es mit der Religion halte, sondern mit dem Islam. „Die Religion birgt das Potential für den nächsten Kulturkampf“ (Wolffsohn).

Nach wie vor ist unter Christen viel Naivität im Spiel. Selbst das als papst- und romtreu firmierende Forum Deutscher Katholiken, das sich des besonderen Wohlwollens von Benedikt XVI. erfreut, würdigte 2009 die Muslime als „natürliche Verbündete“ im Kampf gegen eine „Kultur des Todes“, die von internationaler Geburtenkontrolle, Abtreibung und Gender-Ideologie geprägt sei.

Bei dieser Suche nach Verbündeten haben die Benedikt-Freunde allerdings nicht ganz aufgepaßt. Zumindest die behauptete Übereinstimmung mit den islamischen Gemeinschaften beim Thema Abtreibung steht auf wackeligem Boden. Der Islam hat kein eindeutiges Nein zur Abtreibung. „Sie wird unter Hinweis darauf erlaubt, daß das werdende Kind noch so lange abgetrieben werden kann, bis die Seele in dessen Körper einzieht – über den exakten Zeitpunkt der ‘Beseelung’ (nach dem 40., 80.oder 120. Tag) herrscht Unsicherheit unter Theologen, Rechtsgelehrten und den einzelnen Rechtsschulen“, weiß das Institut für Islamfragen der Evangelischen Allianz. Wer will da noch ernsthaft eine  Übereinstimmung im Kampf gegen eine „Kultur des Todes“ behaupten?