© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

Pulverfaß explodiert
Bergkarabach-Konflikt: Aserbaidschan und Armenien bezichtigen sich gegenseitig der Aggression / Aufrüstungspolitik beider Länder destabilisiert die Region
Christian Junkaris

Es sind erschütternde Bilder, die aus der umkämpften Region von Bergkarabach an die Weltöffentlichkeit drangen: in ihren Schützengräben liegende Leichen junger Soldaten. Brennende Hubschrauber, die auf dem Boden zerschellen. Zerstörte Häuser und fliehende Bauernfamilien. 

Welche der Parteien am vergangenen Freitag den ersten Schuß abgab, ist kaum mehr festzustellen. Sowohl Armenien als auch Aserbaidschan beschuldigen sich gegenseitig, den über einhundert Jahre schwelenden Konflikt um die unwirtliche Grenzregion mit kaum 150.000 Einwohnern entfacht zu haben. 

Baku wird dabei von Eriwan bezichtigt, „auf der gesamten Länge der Frontlinie Nagorny Karabachs“, wie die umstrittene Gegend von den mehrheitlich armenischstämmischen Einwohnern genannt wird, „eine großangelegte Offensive ausgeführt zu haben.“ Nicht nur armenische Verteidigungsstellungen, berichtet das Presseportal Armenpress, seien dabei von Artillerie beschossen worden, sondern auch eine Handvoll von Zivilisten bewohnte Dörfer. Aserbaidschanische Soldaten hätten überdies mehrere Frauen und Kinder verstümmelt und anschließend hingerichtet.

Aserbaidschan wiederum spricht von einer Provokation Armeniens, von 126 Grenzverletzungen armenischer Truppen allein am vergangenen Freitag sowie von über einem Dutzend postum zu Märtyrern deklarierten Gefallenen in den eigenen Reihen. Über 300 Soldaten wurden insgesamt allein bis Montag als gefallen gemeldet. Armenien befindet sich seitdem auf dem Vormarsch und konnte mehrere als strategisch wichtig geltende Hügel unter seine Kontrolle bringen.

Schon einmal eskalierte der Konflikt um Bergkarabach. Während des Zerfalls der Sowjetunion hatte sich diese Region im September 1991 von Aserbaidschan abgespalten. Der folgende Krieg zwischen Armenien und den proarmenischen Truppen der Republik Bergkarabach auf der einen sowie Aserbaidschan auf der anderen Seite sollte bis zum Waffenstillstand von 1994 über 30.000 Menschen das Leben kosten. Bergkarabach erlangte seine De-facto Unabhängigkeit. Völkerrechtlich wird das Gebiet jedoch noch immer Aserbaidschan zugesprochen.

Daß das Pulverfaß um Bergkarabach diesmal ähnlich desaströs explodieren könnte, ist vor allem der massiven Aufrüstungspolitik beider Kaukasusstaaten geschuldet. So verdoppelte Baku seinen Militärhaushalt in den vergangenen fünf Jahren, um modernes Kriegsgerät aus Rußland einkaufen zu können. Moskau wiederum gewährte Eriwan einen Kredit von rund 200 Millionen US-Dollar.

Historisch betrachtet gilt Rußland, das in Armenien rund 5.000 Soldaten stationiert har, ohnehin als Schutzmacht der christlichen Armenier, während die turkstämmigen Aserbaidschaner sich eng an Ankara gebunden haben. Von dort aus erhielt Baku Rückendeckung. „Wir beten dafür, daß unsere aserbaidschanischen Brüder mit den kleinstmöglichen Verlusten die Oberhand in diesen Kämpfen gewinnen“, verkündete der türkische Staatschef Erdogan. 

„Wie ich erfahren habe, ist Aserbaidschan bereit, einen Waffenstillstand zu verkünden“, unterstrich Erdogan dann am vergangenen Sonntag und zeigte so seine Friedensbereitschaft. „Allerdings nur“, wenn Armenien zuerst einen Waffenstillstand verkünde. Am Dienstag einigten sich die Konfliktparteien dann  erst einmal auf eine Feuerpause.