© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/16 / 08. April 2016

Paul Scheffer. Der Sozialdemokrat gehört zu den Kritikern der Willkommenskultur
Der Warner
Wolfgang Kaufmann

So klingt Klartext: Der deutschen Politik fehle jedes Gespür für Dimension und Konsequenzen der Flüchtlingskrise – letzlich habe Berlin 2015 einfach die Grenzen geöffnet und die Augen geschlossen. Doch mit dieser Art realitätsblinder Willkommenskultur werde die Bundesrepublik kaum weit kommen, denn es gebe nun einmal Obergrenzen für die Zahl der Einwanderer, die ein Land tatsächlich integrieren könne. Das müsse auch Kanzlerin Merkel begreifen, deren befremdliche Alleingänge in der Flüchtlingsfrage mittlerweile in ganz Europa auf Widerstand stießen und den Fortbestand der EU gefährdeten. Womit sie das genaue Gegenteil dessen erreiche, wofür sie sich jahrelang eingesetzt und unzählige Milliarden deutscher Steuergelder aufgewendet habe.

Das behauptet weder ein AfD-Funktionär noch ein Politiker aus Osteuropa, sondern Paul Scheffer, einer der international angesehensten Experten zum Thema Migration und Integration. Dabei ist der Kritiker, 1954 im niederländischen Nimwegen geboren und derzeit Inhaber von zwei Lehrstühlen für European Studies an den Universitäten Tilburg und Amsterdam, als Mitglied der Partij van de Arbeid eigentlich Sozialdemokrat. Allerdings seziert der Soziologe die Einwanderungspolitik etlicher europäischer Staaten wie der Niederlande, Deutschlands oder Frankreichs nicht erst seit Ausbruch der Asylkrise. Beleg hierfür ist sein immer noch aktueller Essay „Das multikulturelle Drama“ aus dem Jahr 2000, dessen Thesen er 2007 in dem Buch „Das Land der Ankunft“ (deutsch: „Die Eingewanderten“) vertiefte.

Darin heißt es unter anderem, daß Zuwanderung für niemanden ein Gewinn sei – weder für diejenigen, die ihre Heimat und Identität verloren hätten noch für die Aufnahmeländer, welche sich ebenfalls gezwungenermaßen verändern müßten. Oder anders gesagt: Mit den Flüchtlingen aus aller Welt gelange weniger menschliches Kapital als menschliches Leid nach Europa.

Angesichts der aktuellen Entwicklungen ist Scheffers Werk jüngst in einer aktualisierten Neuauflage herausgekommen. Im Vorwort finden sich weitere Rundumschläge gegen die Merkelsche Asylpolitik: Warum könne ein hochentwickeltes Land wie Deutschland, „das seine Bürger Tag und Nacht abhört, seine Grenzen nicht mehr bewachen“? Und woher nehme man den ungeheuren Optimismus, wenn es um das ungleich komplizierte, „gigantische soziale Projekt“ der Integration von Millionen fremdkultureller Flüchtlinge gehe? 

Zwei berechtigte Fragen, die dem sozialdemokratischen Migrationsexperten hierzulande wohl einige Feinde mehr verschaffen werden, auch wenn das Feuilleton derzeit noch mehrheitlich dazu tendiert, Scheffers Kritik als Ausdruck eines „gesunden Realismus“ zu goutieren, weil er seine harten Worte mit vielen, nur zu gern abgedruckten Toleranzfloskeln garniert.