© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/16 / 01. April 2016

Wegbereiter der Moderne
Tagung: Der Freundeskreis der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger wandelt sich zur wissenschaftlichen Gesellschaft
Sebastian Hennig

Die Menschen seien hier noch einigermaßen in Ordnung, ließ Ernst Jünger aus seiner oberschwäbischen Wahlheimat verlauten. Unter dieser Voraussetzung fand sich ganz natürlich ein postumer Freundeskreis der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger zusammen. Das lebendige Andenken in freundschaftlicher Verbundenheit zu erhalten, wurde über fünfzehn Jahre keinen ernsthaften Anfechtungen ausgesetzt. In dieser Zeit entfaltete die Fachliteratur ein differenziertes Bild des „Kriegsschriftstellers“.

Völlig gegenläufig zur allgemeinen Entgiftung der Diskussion kramte 2014 ein Provinzredakteur das Zerrbild vom jugendgefährdenden Militaristen wieder hervor. Dergleichen kann zwar die Klärung durch Historiker und Philologen nicht aufhalten. Dagegen vermag es den Burgfrieden in einem Landkreis wie Biberach und einer Kleinstadt wie Riedlingen empfindlich zu stören. Nachdem der langjährige Vorsitzende und Initiator des Freundeskreises, Schulleiter des Kreisgymnasiums Riedlingen, Studiendirektor Georg Knapp, im Januar 2015 zurückgetat, „um Schaden von der Schule abzuwenden“, war das Symposium nach Heidelberg ausgewichen.

Üppige Streitsucht in der Zwischenkriegszeit

Dieses Jahr nun trafen sich die Mitglieder des Freundeskreises vom 18. bis 20. März wieder am vertrauten Ort im Kloster Heiligkreuztal. Doch neben Georg Knapp suchte man auch manche anderen altvertrauten Teilnehmer vergeblich. Menschen, denen Jüngers Werk in seelischer Bedrängnis Orientierung gab, werden nun abgelöst von jenen, denen es unerschöpflichen Stoff für Publikationen, Projekte und Personalstellen spendet. Der Freundeskreis zum ehrenden Andenken wandelt sich in eine historisch-kritische Literaturgesellschaft. Das ist wohl der Lauf der Dinge und birgt auch einen Triumph in sich.

Nüchtern betrachtet umfaßt das Tagungsthema „Ernst Jünger und das Judentum“ eine Fundgrube. Der Titel erhält aber auch einen drohenden Unterton, sobald er mit dem forcierten Entsetzen über Martin Heideggers vermeintlichen Antisemitismus zusammengedacht wird, das an Äußerungen aus dessen „Schwarzen Heften“ mutwillig entzündet wurde.

Der neue Vorstand und wissenschaftliche Beirat kann freilich kein Interesse daran haben, den Gegenstand seiner Betrachtung grundsätzlich für zweifelhaft zu befinden. In seiner Begrüßung verheißt darum Alexander Pschera, die Besucher würden nach der Tagung ein anderes Jüngerbild mit nach Hause nehmen. Man verfüge über sehr gute Argumente, um Jünger „proaktiv“ vom Vorwurf der Wegbereitung des Faschismus zu entlasten und ihn dagegen als Wegbereiter der Moderne neben Broch, Brecht und Benjamin kenntlich werden zu lassen. Wie man die Pole auch auflädt, Wegbereiter bleibt eben Wegbereiter. Als ein Gegengift zu Heideggers Notizen pries Pschera die ungefähr zeitgleich angelegten Pariser Aufzeichnungen von Jünger als dessen „Weiße Hefte“ an. 

Im folgenden Einführungsvortrag bohrte der Jünger-Biograph Helmuth Kiesel zielstrebig und nüchtern einen Tunnel durch das Massiv der Vorurteile und Vorverurteilungen, indem er einen sachlichen Überblick über die dürren Fakten und die üppig wuchernde Streitsucht der Zwischenkriegszeit gab. Der auf Einladung des jüdischen Herausgebers Paul Cossmann für dessen Süddeutsche Monatshefte verfaßte Aufsatz über „Nationalismus und Judentum“ (1930) stellt dabei eine Ausnahme unter den 130 Beiträgen der politischen Publizistik Jüngers dar. Von dessen Feindschaft gegen die Bourgeoisie bekommen die deutschen Staatsbürger mit jüdischen Wurzeln einen guten Teil ab, in ihrer Eigenschaft als liberale Modernisierungselite. Kiesels Fazit daraus lautete, Jüngers Denken habe zwar antisemitische Implikationen, sei aber intentional keineswegs antisemitisch.

Forschungsprojekt zu Jüngers Korrespondenz

Peter Trawnys gezielte Auslieferung Martin Heideggers an eine philosophisch unmusikalische Meinungspolizei hat unlängst einen Schlagabtausch mit Siegfried Gerlich gezeitigt, der sich über drei Ausgaben der Vierteljahresschrift Tumult hingezogen hat. In Heiligkreuztal betonte Trawny, er wolle zwar die Diagnose eines „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“ bei Heidegger nicht zurücknehmen, aber um eine Lesart erweitern. Die vielen Gänsefüßchen, die er dazu mit den Fingern immer wieder in die Luft zeichnete, verwischten jedoch jede möglichen Lesart bis zur Unkenntlichkeit.

Der Carl-Schmitt-Biograph Reinhard Mehring (Heidelberg) ging mit Humor zur Sache, als er ankündigte, der Betrachtung den dritten bösen Buben hinzufügen zu wollen. In seinem Vortrag „Der konkrete Feind und der Übermensch“ referierte er über Judentum und Antisemitismus bei Schmitt, Jünger und Heidegger.

Der Germanist und Literaturprofessor Detlev Schöttker leitet seit einem Jahr das monumentale Forschungsprojekt zu Jüngers Korrespondenz. Diese umfasse den umfangreichsten Briefwechsel überhaupt und enthalte mehr Briefe als jene von Goethe oder Leibniz. Allein Regesten des Bestandes zu erstellen würde zehn Mitarbeiter dreißig Jahre lang beschäftigen. Die Edition sei eine Jahrhundertaufgabe. Zwei Ausschnitte gab es vorab zu kosten: Schöttker beleuchtete das Verhältnis zu Sophie Ravoux und Joseph Breitbach im besetzten Paris. Und der Burgschauspieler Michael König trug in der Abendveranstaltung brillant einen Auszug aus der teilweise tragikomischen Korrespondenz mit dem jüdischen Historiker Joseph Wulf vor. Der 1912 in Chemnitz geborene Wulf war ein Auschwitz-Überlebender, der in den sechziger Jahren in seiner mehrbändigen Reihe über Kultur im Dritten Reich Ernst Jünger als Prototyp der inneren Emigration installierte, was damals schon auf Kosten Heideggers geschehen ist, dem Wulf das Niveau eines kleinstädtischen NS-Propagandisten zuweist. Da schließt sich der taktische Kreis zum 17. Jünger-Symposium.

Angenehm sachbezogen blieben die Erläuterungen von Thomas Schmidt und Jens Kloster zur musealen Gestaltung in der Wilflinger Oberförsterei, die im Juni eröffnet werden soll. Einzelne Objekte aus dem Wohnraum werden dort durch Platzhalter ersetzt und in den drei Erdgeschoßräumen mit Erläuterungen und Medienstationen ausgestellt.

Die Intentionen der langen Gespräche des Boulevardjournalisten André Müller mit Ernst Jünger zerpflückte deren Herausgeber Christoph Fricker mit ungerührter Gründlichkeit. Seine Feststellung, Müllers Fragen wären dessen Antworten auf Jüngers Text, ist ein erhellender Gedanke, der zugleich die meisten Beiträge des diesjährigen Symposiums zutreffend beschreibt.

Wolfgang M. Schmitt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Germanistik der Universität Trier, stieg tief in die verworrenen Affekte der antideutschen Linken auf die Jünger-Begeisterung von Heiner Müller und dessen Kollegen ein. Ilai Rowner aus Tel Aviv stellte zuletzt den Deserteur Louis Ferdinand Céline in einem englischsprachigen Vortrag dem Offizier Ernst Jünger gegenüber. Er konstatierte zwei unterschiedliche Haltungen im Umgang mit dem Krieg. Jünger wählte die Identifikation, während Céline die Distanz suchte.

Über der negativen Witterung nach antisemitischen Spuren in Jüngers Denken blieb der poetische und ästhetische Widerschein des Judentums in seinem Werk weitgehend unterbelichtet. Von Friedrich Georg Jünger war dieses Jahr gar nicht die Rede. Als nächstes Vorhaben wurde eine Überarbeitung der seit Jahren eingefrorenen Netzpräsenz von Freundeskreis und Jünger-Haus beschlossen.