© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/16 / 01. April 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Brandenburg als Vorbild
Marcus Schmidt

Auf den ersten Blick schien es so, als komme Volker Beck noch einmal davon. Nachdem der Bundestagsabgeordnete der Grünen Anfang März in Berlin von der Polizei mit Drogen erwischt worden war, lehnte es der Bundestag zunächst ab, Becks Immunität aufzuheben. Schnell tauchte in den sozialen Medien der Verdacht auf, Beck genieße eine Sonderbehandlung.

Doch es gab eine einfache Erklärung: Der entsprechende Antrag der Berliner Staatsanwaltschaft enthielt einen Formfehler. Statt von einem Ermittlungsverfahren gegen Beck hatte die Behörde in ihrem Schreiben an das Parlament lediglich von einem Prüfvorgang geschrieben. Das reichte dem Immunitätsausschuß des Bundestages nicht. Das Gremium muß vor der  Strafverfolgung eines Abgeordneten sein Einverständnis geben. Denn Artikel 46 Absatz 2 des Grundgesetzes legt fest, daß Abgeordnete „wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung“ nur mit Genehmigung des Parlamentes zur Verantwortung gezogen oder gar verhaftet werden dürfen. Einzige Ausnahme: Der Parlamentarier wird auf frischer Tat erwischt oder im Laufe des folgendes Tages festgenommen. Doch wenn der Bundestag dies fordert, ist auch dann der Abgeordnete sofort freizulassen, beziehungsweise sind die Ermittlungen umgehend einzustellen.

Diese Regelung, in der manche einen Beleg dafür sehen, daß für die Berliner Abgeordneten anders als für Otto Normalbürger das Strafrecht nur eingeschränkt gilt, ist durchaus sinnvoll. Durch die Immunität der Abgeordneten soll verhindern, daß etwa im Extremfall die Handlungsfähigkleit des Parlamentes durch gezielte, willkürliche Verhaftungen von Abgeordneten gefährdet werden könnte.

Dennoch ist der pauschale Schutz der Abgeordneten gegen Ermittlungen nun in die Diskussion geraten. „Immunität wird in der Öffentlichkeit häufig als Privileg der Abgeordneten angesehen, ist in Wirklichkeit aber eher eine Belastung, da ein Immunitätsverfahren immer mit erheblicher Publizität verbunden ist, die schnell auch den Charakter einer Vorverurteilung annehmen kann“, sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) mit Blick auf den Fall Beck dem Tagesspiegel. Lammert schlug vor, sich künftig an der Regelung in Brandenburg zu orientieren. Dort sind Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Landtagsabgeordnete wie bei jedem anderen Bürger bei Verdacht jederzeit möglich. Das Parlament hat jedoch ein Votumsrecht. Laut Verfassung muß auf Verlangen des Landtages jede Strafverfolgung eines Abgeordneten, „jede Haft und jede sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit“ ausgesetzt werden, „wenn durch sie die parlamentarische Arbeit des Landtages beeinträchtigt wird“.

Unter den Bundestagsabgeordneten dürften Lammerts Änderungsvorschläge nicht durchweg auf Ablehnung stoßen. Denn sie können darauf spekulieren, daß künftig nicht jedes Ermittlungsverfahren gegen einen Parlamentarier gleich an die Öffentlichkeit gelangt. Denn genau dafür sorgt bislang die öffentlichkeitswirksame Aufhebung der Immunität.