© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/16 / 01. April 2016

Das 32-Millionen-Euro-Projekt
Bildungspolitik: Aus der Berliner Rütli-Schule, die vor zehn Jahren deutschlandweit für Schlagzeilen gesorgt hatte, ist eine Vorzeigelehranstalt geworden
Christian Schreiber

Cordula Heckmann ist in diesen Tagen eine gefragte Frau. Die Pädagogin ist Leiterin der Berliner Rütli-Schule, die vor zehn Jahren deutschlandweit Schlagzeilen machte. Damals wandte sie ihre Vorgängerin mit einem öffentlich gemachten Hilferuf an den zuständigen Schulsenator. 

Darin beklagte sie, daß ein geordneter Unterricht an der Schule in Neukölln nicht mehr möglich sei. Die Stimmung sei geprägt von Zerstörung, Gewalt und menschenverachtendem Verhalten. Lehrer würden völlig ignoriert und zum Teil attackiert; in bestimmte Klassen gingen sie nur noch mit Handys, um Hilfe holen zu können, hieß es in dem Brief. Die Belastung sei unerträglich geworden, die Schule am Ende der Sackgasse angekommen. An der Schule waren zu diesem Zeitpunkt weniger als 20 Prozent der Schüler deutscher Herkunft. Was danach folgte, war ein öffentlicher Spießrutenlauf, bei dem auch Medienvertreter eine unrühmliche Rolle spielten. Teilweise sei Schülern Geld geboten worden, damit sie Gewaltszenen nachstellten. Wochenlang lungerten Kamerateams vor den Toren der Schule, eine Lehrerin berichtete von einem öffentlichen Interesse „wie bei einer Oscar-Verleihung.“ 

Zehn Jahre später empfängt Cordula Heckmann wieder Journalisten, doch mittlerweile ist sie geübt darin, positive Nachrichten zu verkaufen. Ein großes Nachrichtenmagazin schrieb neulich sogar von einer „Bildungs-Idylle“. Heckmann sind solche Beschreibungen peinlich. „Auch bei uns gibt es Probleme,  auch wir schwimmen nicht im Geld.“  Der bundesweit bekannt gewordene ehemalige Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) hatte die enorme Summe von 32 Millionen Euro aufgetrieben, um die Schule salonfähig zu machen. Die Lehranstalt heißt mittlerweile „Gemeinschaftsschule auf dem Campus Rütli“. Das hört sich modern an und soll verdeutlichen, daß nichts mehr so ist wie vor zehn Jahren. Damals war Rütli eine Hauptschule mit sehr hohem Migrantenanteil. „Wer damals hier landete, war mutig – oder uninformiert“, sagte Heckmann der Nachrichtenagentur dpa. Es habe ein Umschwung stattgefunden. Die berüchtigte Schule wurde mit der benachbarten Grund- und Realschule zusammengelegt. 

Die bundesweite Aufmerksamkeit ist dank der Millionen und neuen pädagogischen Konzepten erfolgreich umgemünzt worden: Inzwischen bewerben sich Lehrer gezielt am neuen „Campus Rütli“: „Die Entscheidung, den alten Namen zu behalten, ist bewußt getroffen worden, sagt Schulleiterin Heckmann. Der Berliner Senat hatte damals keine andere Möglichkeit, die Schule ins Programm zu nehmen, als sie sich 2008 um das Modellprojekt Gemeinschaftsschule bewarb. 27 Millionen Euro investierte das Land auf Betreiben Buschkowskys. Ein weiterer großer Geldgeber ist der Verbund „Ein Quadratkilometer Bildung“, ein Zusammenschluß mehrerer Stiftungen. Insgesamt fünf Millionen Euro an Spenden und Fördermitteln auf diese Weise dazugekommen. Es gibt Kritiker, die von Effekthascherei sprechen, darauf verweisen, daß andere Schulen in der Umgebung weitaus weniger Fördermittel und damit verbunden viel größere Probleme hätten. 

Früher sagten Kinder, die angesprochen wurden: „Ich bin nicht Rütli“, heute gilt es als schick, „Rütli zu sein.“ Christina Rau, die Witwe des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes, ist Schirmherrin des Fördervereins, auch Buschkowsky läßt immer noch seine Kontakte spielen. Kulturelle Vielfalt und Mehrsprachigkeit sei als Chance begriffen und entwickelt worden, erklärt die Schulleiterin. 

Türkische und arabische Pädagogen

Schon am Schuleingang wird der Besucher in 13 Sprachen willkommen geheißen, an der Wand hängen zweisprachige Infos: Türkisch-Unterricht für Kinder, Deutschkurse für Eltern. „Wir versuchen die Eltern miteinzubeziehen. Wir haben es immer noch mit der Situation zu tun, daß die Kinder häufig aus Familien stammen, die als bildungsfern beschrieben werden“, sagt Heckmann. 

Der Alltag in der Schule habe sich geändert, das Kollegium sei jünger, erzählte eine Lehrerin der Zeit. Es seien türkisch- und arabischsprachige Sozialpädagogen eingestellt worden. Das helfe enorm, um mit den Eltern zu kommunizieren. „Es sind noch die gleichen Schüler, aber sie haben ganz andere Perspektiven.“ Mittlerweile haben die ersten Jahrgänge ihr Abitur abgelegt, es sind Jugendliche ins Studium gegangen, deren Eltern bis heute nicht richtig lesen und schreiben können, heißt es.  

Doch es gibt auch Schattenseiten. Der Spiegel verwies schon vor einigen Jahren darauf, daß sich im Umfeld des Rütli-Campus mehrere Schulen befinden, deren Situation gar nicht gut sei. „Als Neuköllner Schule kann man nur eines kriegen: Mitleid“, wurde ein Schulleiter zitiert. Ein anderer mokierte sich über die Tatsache, daß das Rütli-Orchester 20.000 Euro für Instrumente bekommen habe: „Von so etwas können wir nur träumen.“  Cordula Heckmann genießt jedenfalls den neu gewonnenen Ruf ihrer Schule: „Vielleicht sind wir zur Elite geworden, wenn ich in Rente gehe.“