© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

„Furor teutonicus“ im Erbgut des Schäferhunds
Eine Köpenickiade blamiert den Wissenschaftsbetrieb: Frei erfundene Forschung über das Tierisch-Böse im Deutschen
Thorsten Hinz

Der deutsch-deutsche Schäferhund – Ein Beitrag zur Gewaltgeschichte des Jahrhunderts der Extreme“ war der Aufsatz überschrieben, den die Zeitschrift Totalitarismus und Demokratie (ehemals Jahrbuch für Extremismus & Demokratie) des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts im Dezember 2015 abdruckte. 

Die Verfasserin, die junge Doktorandin „Christiane Schulte“, gab sich bescheiden und doch selbstbewußt ob ihres kühnen historiographischen Zugriffs: „Die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung aus dem Blickwinkel des Schäferhundes zu betrachten, ist nicht selbstverständlich.“ Nämlich: „Die Einengung von Haus-, Nutz- und Zootieren wirkt nichtig angesichts der Ideologie des ‘Neuen Menschen’, mit der die SED ihre Bevölkerung umerziehen wollte.“ Doch dürften wir darüber vergessen, daß das erste Maueropfer ein Schäferhund der West-Berliner Schutzpolizei war, der auf den Namen Rex hörte? Bereits am 14. August 1961 war er den Schergen des Ulbricht-Regimes in der Bernauer Straße zum Opfer gefallen. „Christiane Schulte“ brachte die Gleichgültigkeit gegenüber dem tierischen Leid mit der rhetorischen Frage auf den Punkt: „Ein toter Hund – was war das schon angesichts des ungeheuren Leids, das die Mauer auf beiden Seiten verursachte?“

Spätestens an dieser Stelle hätten sprachliches Ungeschick und Betroffenheits-Tremolo bei der Redaktion für Mißtrauen sorgen müssen. Natürlich gibt es keine Doktorandin, die „Christiane Schulte“ heißt und die Geschichte aus der Perspektive des Schäferhundes aufarbeitet. Der Text ist eine Satire, verfaßt von einem Autorenkollektiv „Christiane Schulte & Freund_innen“, wie das Internetportal Telepolis im Februar 2016 mitteilte. Doch weil die Betroffenheit den Grundton der politischen Berichterstattung, des kultur- und geisteswissenschaftlichen Betriebs bildet und der Text sämtliche Klischeebausteine enthielt, die man bei der Aufarbeitung der „deutschen Geschichte“ erwartet, durfte „Christiane“ anderthalb Jahre lang vermeintliches wissenschaftliches Neuland beackern.

Ihren ersten Auftritt erlebte sie im Juli 2014 auf einer wissenschaftlichen Tagung zum Thema „Tiere unserer Heimat“, die vom „Center for Metropolitan Studies“ an der Technischen Universität Berlin veranstaltet wurde, um die „Auswirkungen der SED-Ideologie auf gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnisse in der DDR“ zu diskutieren. Die Veranstaltung war Teil der „Human-Animal Studies“ (HAS), die „sich als interdisziplinäres Forschungsfeld mit den vielfältigen Beziehungen zwischen Menschen und Tieren (beschäftigen), ohne dabei gängige Deutungsmuster zu bedienen“.

Ein Tagungsbericht erschien in H-Soz-Kult (Humanities – Sozial- und Kulturgeschichte), dem Fachforum für Historiker, das der Berliner Humboldt-Universität angeschlossen ist. Den Abschnitt, der „Christianes“ Auftritt gewidmet ist, muß der Leser unverdünnt genießen: „CHRISTIANE SCHULTE (Bochum) berichtete aus ihrem Forschungsprojekt über den deutsch-deutschen Schäferhund im 20. Jahrhundert. Der Schäferhund spielte einerseits als Projektionsfläche menschlicher Staatsgewalt und andeerrseits als ‘Nutztier’ diktatorischer Regime eine Rolle. Schulte deckte dabei weitreichende Kontinuitäten, sowohl was die Funktion der Hunde als Instrumente totalitärer Staatsgewalt als auch die züchterische Generationsfolge betrifft, auf. Schwerpunkt ihres Vortrages waren die über 5.000 Hunde der DDR-Grenztruppen und hier vor allem die Hunde an den Laufleinen, die als ‘lebende Grenzsicherungsobjekte’ die Unüberwindbarkeit der innerdeutschen Grenze sicherstellen sollten. (...) Peters und Schulte stießen anschließend eine Debatte über die DDR-Gedenkkultur an. So gibt es in Berlin etwa einen Erinnerungsort für die Grenzkaninchen. Die zahlreichen Grenzhunde haben hingegen (noch) keinen Eingang in eine umfassende Erinnerungskultur der innerdeutschen Grenze gefunden. Daran schloß sich eine eingehende Diskussion über Schäferhunde als ‘Mittäter’ an (...).“

Schäferhund als Waffe in KZs und an Zonengrenze

H-Soz-Kult verfügt immerhin über genügend Souveränität und den Humor, um ihren Reinfall auf „Schultes“ Köpenickiade weiterhin zu archivieren. Man begnügt sich mit einer Fußnote, in der mitgeteilt wird, daß der Text als „satirische Intervention in das Feld der Geisteswissenschaften“ gemeint und wie die Referentin „komplett erfunden“ war. 

Die Zeitschrift Totalitarismus und Demokratie hingegen hat den Text kommentarlos aus dem Netz genommen. „Schulte & Freund_innen“ hatten darin noch einen draufgesetzt. Die „Staatswerdung des Schäferhundes“ wird auf die Reichsgründung 1871 datiert. Ab dem Zeitpunkt sei der Schäferhund zum „tierischen Teil einer imaginären nationalen Gemeinschaft“ erhoben worden. Es folgt der Hinweis auf Blondi, „einen weiblichen Schäferhund im persönlichen Besitz Adolf Hitlers“. Biopolitisch hochgezüchtete Exemplare kamen in KZs und anschließend in sowjetischen Speziallagern und an der Mauer zum Einsatz. Ihre latente Aggressionsbereitschaft unterschied sie von den defensiv gestimmten Hunden des Bundesgrenzschutzes. Nach 1989 kamen die meisten DDR-Grenzhunde in „westdeutsche Pflegefamilien“ und fielen in der neuen Freiheit durch ängstliches Verhalten auf. Doch das deutsch-totalitäre Verhängnis ist damit nicht an sein Ende gekommen. Der furor teutonicus im Erbgut des Schäferhundes tue nämlich heute Dienst an den Außengrenzen der EU!

Was sagt man dazu? Ganz einfach: Danke, Christiane & Freund_innen! Das war genial! Überzeugender als jede wissenschaftliche Analyse habt ihr uns gezeigt, was von 95 Prozent unserer Gewalt-, Extremismus-, Konflikt-, Faschismus-, Migrations-, Frauenforscher etc. pp. zu halten ist.