© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/16 / 25. März 2016

Allen Stacheln zum Trotz
Aus der Wildnis gestohlen: In Amerika findet ein schwunghafter Kaktusschmuggel statt
Richard Stoltz

Wenn man der Presse trauen darf, leiden zur Zeit mehrere amerikanische Länder, vor allem die USA, unter einer ganz neuartigen Kriminalität: dem „Kaktusschmuggel“. Viele Kakteenarten, so ist zu lesen, stünden wegen des Treibens brutaler Diebe bereits vor dem Aussterben, so besonders der sogenannte Saguaro, ein – wie schon der lateinische Name carnegiea gigantea sagt – riesenhaftes Gewächs, das auch als Standard-Hintergrund vieler berühmter Westernfilme gedient hat. 

Außer seiner Größe und seiner wehrhaften Stachligkeit zeichnen den Saguaro noch andere interessante Eigenarten aus, die jetzt leider ebenfalls zu seinem Verschwinden beitragen. Die ersten zehn Jahre seines Lebens mißt er nämlich gerade mal einen einzigen Zoll, und es dauert volle 75 Jahre, bis er seine berühmten Arme ausfährt. „Da Hausbesitzer“, lesen wir in der US-Zeitschrift The Atlantic in einem Alarmbericht des engagierten Reporters J. Weston Phippen, „einen stattlichen Saguaro bereits in ihrem Vorgarten stehen haben wollen, bevor sie über 80 Jahre alt sind, stehlen Verbrecher sie aus der Wildnis.“

Was das Schicksal des Saguaros beispielhaft vorführt, steht mittlerweile offenbar stellvertretend für das Schicksal der gesamten Gattung. Es geht den Kaktussen (oder muß man sagen „Kakteen“?) in freier Wildbahn schlecht, dafür um so besser bei privaten Liebhabern und Sammlern, weshalb dann also eine – vielfach ins Kriminelle verrutschte – Umpflanzung aus der öffentlichen Wüste ins private Gewächshaus stattfindet.

Wie heißt es in dem Kabarettsong „Mein kleiner grüner Kaktus“ (1934) der Comedian Harmonists? „Mein kleiner grüner Kaktus steht draußen am Balkon, / Was brauch’ ich rote Rosen, was brauch’ ich roten Mohn,/ Und wenn ein Bösewicht was Ungezog’nes spricht, / dann hol‘ ich meinen Kaktus und der sticht, sticht, sticht.“ Nun, vielleicht hat der Saguaro bisher einfach noch zuwenig gestochen.