© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/16 / 18. März 2016

Großer Mythos, umstrittene Wirkung
Die billigen, aber militärisch fragwürdigen Faßbomben sind keine Erfindung der Syrer
Heiko Urbanzyk

Seit August 2012 geistern Faßbomben durch westliche Medienberichte. Damals berichtete der britische Telegraph, das syrische Regime habe in Ergänzung zu seinem russischen Waffenarsenal „deadly new home-made weapons“ entwickelt, die gegen die Rebellen eingesetzt würden. Danach geißelte Victoria Nuland, damalige Sprecherin von US-Außenministerin Hillary Clinton, die Faßbomben: sie würden von Baschar al-Assad wahllos eingesetzt, ohne jede Rücksicht auf Zivilisten. Zahlreich sind seither die Fernsehbilder oder Videos auf Youtube, auf denen Hubschrauberbesatzungen die verheerenden Ungetüme abwerfen.

Doch „Assads heimtückische Billig-Waffe“ (n-tv) ist keine syrische Erfindung. Einige Quellen datieren die erstmalige Anwendung von Barrel Bombs auf die Zeit des Krieges jüdischer Aktivisten gegen die britische Mandatsherrschaft in Palästina zurück. Andere behaupten, daß 1968 im Vietnamkrieg erstmals Faßbomben eingesetzt wurden, um flächendeckende Waldbrände im Vietcong-Gebiet zu entflammen. Auch im Bürgerkrieg auf Ceylon (Sri Lanka) und im Sudan oder dem Balkankrieg 1991 bis 1995 sollen Faßbomben zum Einsatz gekommen sein. Nicht nur für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ist der Faßbombeneinsatz völkerrechtswidrig: Mangels Zielgenauigkeit könnten beim Abwurf über bewohnten Gebieten militärische Ziele gar nicht gezielt getroffen werden. Sie seien daher eine klassische Waffe gegen die Zivilbevölkerung.

Teuflisch einfach, technisch geradezu mittelalterlich

Das Prinzip der Faßbombe ist in der Tat teuflisch einfach und waffentechnisch geradezu mittelalterlich: Ein altes Ölfaß wird mit Sprengstoff und Metallteilen gefüllt. Vorne wird ein Zünder angebracht, von dem eine Zündschnur ins Innere des Fasses führt. Um sicherzustellen, daß der Zünder aufschlägt, werden am Heck Flossen angeschweißt. Als sogenannte unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung (USBV) sind der grausamen Phantasie der Erbauer praktisch keine Grenzen gesetzt. Als Korpus in Frage kommen auch Heizkessel oder Töpfe. Als splitternder Inhalt kann jede Art von Metallschrott, Kugellagern oder Glasscherben verwendet werden. Neben TNT kommen als Sprengstoff ein Gemisch aus Düngemitteln (Ammoniumnitrat), aber auch Heizöl und Kerosin in Betracht. Neuere Varianten plazieren eine Bombe in der Faßbombe, die anstelle des Aufschlagzünders die Explosion herbeiführen soll. Der Abwurf erfolgt aus dem Laderaum eines Hubschraubers oder Transportflugzeuges.

Richard M. Lloyd aus Scottsdale (Arizona, USA) analysierte die Funktionsweise der Faßbomben für einen Internet-Blog der syrischen Opposition, nachdem die Assad-Regierung in den Verdacht kam, solche auf die Zivilbevölkerung abzuwerfen. Es ist bis heute einer der meistzitierten Beiträge dazu im anglo-amerikanischen Sprachraum. Lloyd ist Experte für Sprengkopftechnologie bei der Tesla Laboratory Inc., einem Unternehmen, das unter anderem Steuertechnologie für Raketenabwehrsysteme entwickelt. Seiner Meinung nach ranken sich viele Mythen und Falschinformationen um diese Art der Splitterbomben.

So sei die Sprengkraft von Faßbomben weitaus geringer als angenommen, weil diese zu einem erheblichen Teil durch das Verteilen der wahllos zusammengesuchten, teils völlig überdimensionierten Splitterkörper abgedämpft würde. Videos aus Syrien würden häufig den Abwurf und die Explosion alter sowjetischer Fliegerbomben zeigen, die fälschlich zu Faßbomben erklärt würden – während die sichtbare Detonationswucht eigentlich konventioneller russischer Waffentechnik zu verdanken sei.

An letztere reichen die Eigenbaubomben nicht heran. Im US-Magazin Foreign Policy schätzte Lloyd den Preis auf 180 bis 280 Euro pro Faßbombe. Für Pleiteregime wie in Syrien oder dem Sudan, die sich in asymmetrischen Kriegen gegen Rebellengruppen befinden, mache das die Bomben „attraktiv“. Wer wenig bezahle, bekomme aber entsprechende Ware: Lloyd geht in Foreign Policy von einer Blindgängerrate von mehr als der Hälfte aus. Von 55 Faßbomben, die im Dezember 2013 auf das syrische Aleppo geworfen wurden, seien maximal elf Stück beim Aufprall explodiert. Selbst hierbei sei unsicher, wie viele Detonationen eigentlich doch auf russische Bomben zurückgingen. Lloyd geht davon aus, daß in Syrien nur zwölf Prozent aller Faßbomben beim Aufprall zünden.

Ein mangelndes Verständnis von Bombentechnologie führe dazu, daß die syrischen Faßbomben weniger tödlich seien, als sie könnten. Im Abstand von rund 12,5 Metern würde der Treffer eines Metallsplitters zu 96 Prozent tödlich wirken. Da die Wahrscheinlichkeit, überhaupt getroffen zu werden, bei den verschrobenen Faßbomben aber nur bei drei Prozent liege, sinke die Wahrscheinlichkeit, auf dieser Distanz getötet zu werden, auf 2,8 Prozent – für deren Opfer ein schwacher Trost. Zwischen150.000 und 470.000 Menschen sollen im Syrienkrieg bislang getötet worden sein. Aber offensichtlich war es dabei unwahrscheinlicher, einer Faßbombe zum Opfer zu fallen, als deutsche Medienberichte suggerieren wollen.

Juristische und technische Informationen zu Faßbomben der Geneva Academy:

 weaponslaw.org