© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/16 / 18. März 2016

Annäherung an Facebook
Twitter: Das Netzwerk kommt zehn Jahre nach seiner Gründung wirtschaftlich ins Straucheln
Christian Schreiber

Jack Dorsey ist bemüht, ein bißchen Wasser ins Feuer zu gießen: „Selbstverständlich wird Twitter auch seine gewohnten Funktionen behalten“, teilte er auf seinem eigenen Kurznachrichtendienst mit. Zuvor waren die Wogen mächtig hochgegangen. Denn das soziale Netzwerk plant, sein Alleinstellungsmerkmal aufzugeben. Künftig soll es Nutzern der Internetseite möglich sein, Nachrichten mit mehr als 140 Zeichen zu verschicken. Als Zeichenlimit gelten demzufolge in Zukunft 10.000 Zeichen.  Mehr als doppelt soviel wie dieser Text. 

Kommerzielle Dienste von Twitter werden raffinierter

„Bei dem Dienst geht es um einen einfachen Weg, etwas zu sagen, an jeden gerichtet und zwar so, daß es die ganze Welt sofort sehen kann“, teilte Dorsey mit. Twitter sei ein Live-Medium. Schnell und auf Gespräche ausgerichtet. Das werde sich nicht ändern. 

Doch die Zukunft gestaltet sich alles andere als rosig. Auf rund 15 Euro notiert die Aktie derzeit, vor rund einem Jahr waren es noch mehr als 50. Twitter ist das Baby von Jack Dorsey, er sendete im Jahr 2006 den ersten „Tweet“ ab, seitdem hat sein Dienst rund 300 Millionen Nutzer weltweit gesammelt. Doch zuletzt fiel die Wachstumskurve rapide ab, die Anmelderzahlen stagnierten. 

Anfang des Jahres verließen vier Topmanager die Firma, ein halbes Jahr zuvor war der zwischenzeitlich ausgeschiedene Dorsey wieder an die Konzernspitze zurückgekehrt. Besonders bitter für ihn: Einer seiner besten Leute hat sich dem Fotoanbieter Instagram angeschlossen, der zur Gruppe des Twitter-Konkurrenten Facebook gehört. 

Twitter galt immer als Forum für Mini-Botschaften, die in Echtzeit ausgetauscht werden, noch heute sagen Branchenkenner, daß der Dienst die wohl schnellste Möglichkeit  sei, um an Neuigkeiten zu gelangen. Während die Nutzerzahlen stagnieren, geht der Umsatz nach oben. Ende 2015 stieg er im Vorjahresvergleich um 48 Prozent auf knapp 711 Millionen Dollar. Doch das Unternehmen schreibt nach wie vor rote Zahlen. Existenzgefährdend sei die Situation nicht, da in den vergangenen Jahren eine regelrechte Goldgräberstimmung in der Internetbranche geherrscht habe, schreibt das Wall Street Journal. 

Twitter habe von Beginn an finanzkräftige Investoren gehabt, zudem habe das Unternehmen mit dem Börsengang viel Geld verdient. Doch irgendwann müsse Dorsey die Trendwende schaffen, wolle Twitter nicht den Anschluß an Facebook und Instagram verlieren. Das größte soziale Netzwerk meldete kürzlich einen Gewinn von 1,56 Milliarden Dollar bei 5,84 Milliarden Dollar Umsatz im letzten Quartal. Bei den Nutzerzahlen hat Facebook Twitter längst hinter sich gelassen, mehr als 1,6 Milliarden Nutzer sind dort registriert. Es ist diese unerbittliche Konkurrenz, die Twitters Aufschwung lähmt. 

Die Konkurrenz             wird immer schneller

Bis vor einigen Jahren schien es eine regelrechte Arbeitsteilung zwischen den beiden Netzwerken zu geben. Facebook war für den Austausch mit Freunden, für das Hochladen von Urlaubsfoto und für Veranstaltungspräsentationen zuständig. Twitter kam eher trocken daher, mehr Nachrichtenportal als soziales Netzwerk. 

Doch der große Konkurrent hat in der Vergangenheit eine Menge Neuerungen eingeführt, die geeignet sind, Twitter das Wasser abzugraben. So können Nutzer mittlerweile in den Einstellungen verschiedene Neuigkeiten gezielt filtern und abonnieren. Nachrichten werden dem Nutzer zeitnah auf seiner Seite angezeigt. Wirklich schneller ist Twitter auch nicht mehr. Facebook hat zudem recht zeitnah ein weitreichendes Marketingkonzept auf die Beine gestellt. Auf den Nutzerseiten werden gezielt Werbeanzeigen eingespielt, auch hier kann der Anwender eine Auswahl treffen. Twitter hat irgendwann nachgezogen, allerdings ohne nur ansatzweise die Umsätze von Facebook zu erreichen. 

Während der Kurznachrichtendienst laut dem Marktforschungsunternehmen eMarketer im laufenden Jahr auf neun Prozent der weltweiten Werbeerlöse in den sozialen Netzwerken hoffen darf, dürfte Facebook auf 65 Prozent kommen. Im vergangenen Herbst hatte Dorsey erste einschneidende Maßnahmen getroffen. Twitter präsentierte seine neue Funktion namens „Moments“. Zu einem bestimmten Ereignis präsentiert der Dienst seitdem Nutzern ausgewählte Tweets, Videos, Bilder oder Texte. Dazu muß dieser nur auf den neuen „Moments“-Button klicken. 

Über die Resonanz schweigt sich das Unternehmen bisher aus, was als Zeichen gewertet werden kann, daß der Erfolg auf sich warten läßt. Daß Twitter sich nun von seinem Alleinstellungsmerkmal – der kurzen Nachricht – verabschiedet, werten Beobachter als fast schon verzweifelten Akt, das Ruder herrumzureißen. Dorsey beschwichtigt, daß ein Großteil der Tweets weiterhin kurz und prägnant bleiben werde. Er habe aber beobachtet, daß viele Nutzer längere Texte in Screenshots packen, die nicht durchsuchbar sind. Diese Möglichkeit wolle Twitter nun schaffen. Doch damit nähert sich der Dienst noch weiter dem großen Konkurrenten Facebook an.