© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/16 / 18. März 2016

Im Schwungrad
Immobilien: Billiges Geld und die Asylkrise werden den Markt weiter anheizen
Markus Brandstetter

Wenn man auf ein großes Rad eine Menge Schwung gibt, dann dauert es erst mal einige Zeit, bis das Rad so richtig in Bewegung kommt – ist es dann aber richtig am Laufen, dann ist es kaum noch zu stoppen. Der deutsche Immobilienmarkt ist dieses große, mächtige Rad, das vor einigen Jahren richtig in Schwung gekommen und nun nicht mehr aufzuhalten ist. Gründe dafür gibt es einige, manche ihrer Wurzeln liegen Jahrzehnte zurück.

Beginnen wir mit der historisch frühesten Schicht: Irgendwann vor 20, 25 Jahren haben die damals Dreißig- und Vierzigjährigen aufgehört, in Scharen aufs Land zu ziehen, ihre Häuser in den Gemeinden um die großen Städte zu bauen und jeden Morgen eine Stunde ins Büro zu fahren. Man sagt immer, dahinter steckten demographische Gründe, aber die Demographie ist eine seelenlose statistische Technik, die zwar Entwicklungen beschreiben, deren Gründe aber nicht anzugeben vermag. Die Menschen, die in den neunziger Jahren begannen, in die Städte zurückzuziehen, taten dies, weil sich ihre Einstellung zum Leben verändert hatte. Die Frauen waren besser ausgebildet als früher, bekamen weniger Kinder und hatten keine Lust mehr, darauf zu warten, bis der Gatte abends nach einem harten Tag im Büro mit dem Opel Rekord in die Einfahrt einbog, um Abendessen und Tagesschau zu konsumieren. Nein, die jungen Berufstätigen wollten ihre Kinder in Kindergärten geben und abends in der Stadt auf die Piste gehen, ohne vorher 50 Kilometer fahren zu müssen. 

Der zweite Grund für die Landflucht liegt im Durchbruch der Dienstleistungs- und Informationsökonomie. Vor dreißig Jahren haben harte Standortfaktoren sich von den angebotenen Arbeitsplätzen entkoppelt. Menschen mußten jetzt nicht mehr dort arbeiten, wo es Eisen, Stahl, Kohle, Flüsse, Meere, Häfen und Bahnhöfe gab, sondern konnten nun in der Firma auf der grünen Wiese mit einem Laptop im Büro sitzen und Chemieanlagen planen, Warenströme leiten, Computerchips erfinden und Software programmieren. Das ist der Hauptgrund, warum sich Ruhrgebiet und Saarland in einem Dauerabstieg befinden, während Städte wie München, Freiburg, Regensburg und Ingolstadt zu Hightech-Zentren aufstiegen, in denen die Immobilienpreise von Jahr zu Jahr steigen, während sie in Saarbrücken, Duisburg und Oberhausen fallen.

Aber das alles war nur die Grundlage für eine Reihe ganz anderer Faktoren, die von einer neuen Seite den seit Jahrzehnten ruhigen Immobilienmarkt der Bundesrepublik durcheinanderwirbelten. 

Der erste diese Faktoren ist die Erhöhung der Baukosten. Noch zu Beginn der Nullerjahre, also 2002 oder 2003, kostete die Gesellenstunde eines Handwerkers im Schnitt 32 Euro. Heute liegt dieser Wert beim Doppelten. Oft ist es nun so, daß die Arbeit, einen Wasserhahn oder eine Heizungssteuerung einzubauen oder ein Bad zu fliesen, genau soviel kostet wie das verbaute Material – oder mehr. Spektakulär preistreibend hat sich der Dämm- und Isolierungswahn der Deutschen ausgewirkt, also die ganzen dreifach verglasten Fenster, all die Glaswolle und das ganze Styropor, ohne das es heute beim Bauen nicht mehr geht. All das hat dazu geführt, daß die Baukosten für ein neues Zweifamilienhaus, die 1991 im bundesweiten Schnitt noch bei 220.000 Euro lagen, heute mit 350.000 Euro zu Buche schlagen. Mit Grundstück kostet heute ein neues Zweifamilienhaus in normaler Lage überall an die 500.000 Euro.

Aber für sich allein genommen hätten die bislang genannten Faktoren nicht ausgereicht, die Immobilienpreise in der Bundesrepublik in Höhen zu treiben, die noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen wären. Dazu mußten mehr und neue Umstände eintreten. 

Die kamen im Jahr 2009, als die Europäische Zentralbank den Leitzins infolge der Finanzkrise auf ein Prozent senkte. Praktisch über Nacht begannen daraufhin die Zinsen für Baugeld in den Keller zu fallen. Immobiliendarlehen mit zehnjähriger Zinsbindung waren plötzlich für Zinssätze unter zwei Prozent zu haben – Werte, die es in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hatte. Da mit der Senkung der Leitzinsen die von Sparern geliebten Schuldverschreibungen der Bundesrepublik plötzlich ebenfalls keine Zinserträge mehr erbrachten, Banken bei Termingeldern die Zinssätze radikal senkten und Immobilien seit jeher als sicherer Hafen in unruhigen Zeiten galten, stürzten sich Anleger jeder Couleur, privat wie institutionell, plötzlich auf Häuser, Wohnungen und Bürogebäude. Ruckzuck waren die besten Objekte in den schönsten Lagen der gesuchtesten Städte ausverkauft oder so dermaßen teuer geworden, daß kein normaler Mensch sie mehr sich leisten konnte. Als München, Stuttgart, Frankfurt, Hamburg und Düsseldorf abgegrast waren und die Zinsen immer weiter fielen, setzte sich der Run in Ingolstadt, Erlangen, Rosenheim und Erlangen fort. 

Und genau dann, als das Immobilienrad bereits tüchtig Schwung aufgenommen hatte, wurde die ganze Chose durch die Mietpreisbremse und die Asylkrise nochmals angeheizt. Die Mietpreisbremse sorgt nämlich keineswegs für niedrige Mieten, sondern dafür, daß Immobilienkonzerne keine günstigen Wohnungen mehr bauen. Und die vielen Immigranten, die heute noch in Turnhallen, Kasernen und Containerdörfern wohnen und nie mehr nach Hause zurückkehren, werden über kurz oder lang alle billige Wohnungen brauchen. Sollten die Zinsen noch jahre- oder gar – Vorbild Japan – jahrzehntelang auf Niedrigstniveau verharren, dann wird sich das Immobilien-Karussell noch viele Jahre mit hoher Frequenz weiterdrehen.