© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

Schaut euch die Intellektuellen an!
Mut zur Lüge: In einem offenen Brief an die Kanzlerin fordern literarische Gesellschaften, Flüchtlinge willkommen zu heißen und zu schützen
Konrad Adam

Zusammen mit ein paar anderen literarischen Zirkeln, die sich illustren Namen wie denen von Bert Brecht, Ernst Bloch oder Carl Zuckmayer verpflichtet fühlen, hat die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft in Wuppertal Angela Merkel darum gebeten, in der Flüchtlingsfrage hart zu bleiben. In einer Regierungserklärung solle sie die Deutschen daran erinnern, daß Künstler und Wissenschaftler vom Range Thomas und Heinrich Manns, Albert Einsteins, Paul Hindemiths, Max Ernsts und Kurt Tucholskys seinerzeit, vor siebzig oder achtzig Jahren, das Land verlassen hatten, also Flüchtlinge waren. „Deshalb“, so die eigenwillige Konsequenz, müßten die Deutschen in der Flüchtlingsfrage ein Einsehen haben, die Fremden willkommen heißen und ihnen Schutz gewähren.

Für einen solchen Aufruf war es höchste Zeit. Daß sich unter den Millionen, die zu uns wollen, der eine oder andere Arzt aus Syrien befinden könnte, hatte ich schon gehört; von Schriftstellern und Musikern, Malern, Wissenschaftlern und Architekten, die da aus Eritrea, Marokko oder Afghanistan zu uns strömen, wußte ich allerdings noch nichts. Der einzige Action-Künstler, von dem ich bisher gehört hatte, war Mohammed Atta, der Mann, der mit seiner Performance die Twin-Towers in New York zum Einsturz gebracht und Tausende von Menschen in den Tod gerissen hatte.

Der Begriff „Lügenpresse“ mag überzogen sein, aber die Versäumnisse der Medien liegen auf der Hand. Warum fällt mir, wenn ich an die kulturellen Beiträge des Islam zum Europa der Gegenwart denke, nichts anderes ein als die Namen der Brüder Abdeslam, die in Paris mit der Kalaschnikow in der Hand für ihre Kultur geworben hatten? Warum Namen wie Abdelhamid Abaaoud, der den blutrünstigen Auftritt seiner Glaubensbrüder auf der Bühne des Pariser Bataclan orchestriert hatte?

Medien müssen freundliche Assoziationen wecken

Mit welchen Errungenschaften sollte der Islam unser kulturelles Leben bereichern? Mit Dönerbuden? Kopftüchern? Der Knabenbeschneidung? Dem Verzicht auf Schweinefleisch? Der Polygamie? Was mag sich Michel Houellebecq dabei gedacht haben, als er die Aussicht, sich eine ältere Frau für die Küche und eine jüngere für „etwas anderes“ zu halten, zum Einfallstor für den Sieg des Islam in Frankreich machte? Eines sanften und geduldigen, eines Euro-Islam natürlich; der nach dem Sieg aber andere Saiten aufzieht.

Wie dieser Euro-Islam aussehen könnte, haben wir in der Kölner Silvesternacht erfahren. Viele Medien haben alles getan, um das Ereignis kleinzureden. Als Angehörige einer Religion, die Frauen für minderwertige Geschöpfe hält, sich die eine oder andere der zweiundsiebzig Jungfrauen, die im Jenseits warten, schon im Diesseits greifen wollten, sprach die Presse zunächst von einer Art Fastnachtsscherz. Um auf dem Weg zum Euro-Islam weiterzukommen, muß sie freundlichere Assoziationen wecken, hellere Erinnerungen pflegen. Dazu braucht sie die Intellektuellen. 

Die Kirchenfürsten gehen mit gutem Beispiel voran, indem sie daran erinnern, daß auch Jesus ein Flüchtling war. Ob sich dieser Flüchtlingspulk, bestehend aus einem neugeborenen Kind, einer jungen Mutter und einem alten Mann, in Ägypten, ihrer Wahlheimat auf Zeit, ähnlich aufgeführt haben könnte wie die kräftigen jungen Männer, die in Köln auf ihre Art Silvester gefeiert haben? Dazu haben Kirchenvertreter nichts gesagt.

Aber das könnte ja noch kommen, das Wort „Flüchtling“ deckt schließlich vieles ab, fast alles: Jesus war ein Flüchtling, Mohammed war ein Flüchtling, Lenin war ein Flüchtling; Rudolf Heß übrigens auch. Man muß das Wort nur weit genug fassen, dann werden wir „es“ schon schaffen. Oder „es“ schafft uns. Angesichts solcher Aussichten mag man an den allzu klugen Leuten irre werden. Aber man versteht, warum August Bebel seine Genossen ermahnt hatte, sich jedes Parteimitglied genau anzusehen, aber doppelt und dreimal genau, wenn es sich um einen Intellektuellen handelt.