© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

Pankraz,
Jason Burke und der digitale Terror

Der Medienwandel, die sich rapide ausbreitende Digitalität, verändert auch den Terror, unter dem wir heute potentiell alle leiden, und zwar zum Schlimmeren. Er verstärkt ihn, indem er ihn immer weiter ausdifferenziert, individualisiert, brutalisiert (wenn letzteres überhaupt möglich ist). Jason Burke (45), der fleißige Islam-Korrespondent für Guardian und Observer in London, hat es auf den Begriff gebracht: Das Online-Gewerbe, notiert er in seinen Zeitungen, trägt viel Verantwortung für die aktuellen Bombenlegereien, die Kalaschnikow-Feuerstöße, die tödlichen Messerstiche.

Die Anschläge vom 11. September 2001 in New York, meint Burke, entsprachen in Logik und Inszenierung noch ganz dem „Fernsehzeitalter“. „Sie waren zentralisiert, hierarchisch und strikt kontrolliert von Osama bin Laden (…) Heute, im Zeitalter des Internet, praktiziert  der IS mit Smartphones und Handy-Kameras den führerlosen Dschihad. Die ausführenden Aktivisten werden nicht mehr von Organisationen geleitet, sondern von Texten, die jeder online finden kann, Anschläge werden in kleinsten Gruppen geplant, gemäß der sich wandelnden Struktur der Medien, deren Aufmerksamkeit die Täter suchen.“

Pankraz findet, daß Burkes Analyse in vielem auf recht wackligen Füßen steht. Sicherlich, die digitalen Medien sind mächtig, und man darf auch davon ausgehen, daß sie – gewollt oder ungewollt – manches Unheil anrichten. Einer Institution, die es möglich macht, daß auch der allerletzte Halb-analphabet, auch das allerletzte kleine Lümpchen jederzeit seine „Meinung“ ins Weltnetz rülpsen kann, ist grundsätzlich zu mißtrauen. Aber kann das Lümpchen mittels Internet tatsächlich auch veritablen Terror stiften, unangeleitet und aus eigener Verantwortung? Daran darf man zweifeln und hat sehr gute Gründe dafür.


Zunächst wäre daran zu erinnern, daß böse Tat und Terror bei weitem nicht identisch sind. Terror, das alte Wort für „Schrecken“, ist zwar nach Auffassung des gesunden Menschenverstandes in jedem Fall eine böse Tat und moralisch zu verurteilen, doch keineswegs alle (angemaßten) Moralisten stimmen dem zu. Besonders politische Revolutionäre, die sich im allgemeinen ja für äußerst tugendhaft halten, haben den Terror nur allzu oft geradezu zur Tugend hochgeredet und – falls sie die Macht dazu hatten – den Bürgern als „Staatstugend“ regelrecht verordnet.

Man denke an Robespierre, den zeitweiligen Staatschef während der Französischen Revolution von 1789, der das Volk „durch Vernunft“ zum Besseren führen wollte und der am 5. Februar 1794 in einer Regierungserklärung vor dem Konvent, dem damaligen Pariser Parlament, voller Pathos ausführte: „Terror ist nichts anderes als rasche, strenge und unbeugsame Gerechtigkeit. Er ist eine Offenbarung der Tugend. Der Terror ist nicht ein besonderes Prinzip der Demokratie, sondern er ergibt sich aus ihren Grundsätzen, welche dem Vaterland als dringendste Sorge am Herzen liegen müssen.“

Auch andere Großpolitiker, so Lenin, so Che Guevara, haben ihre Gewalttaten keineswegs verschwiegen und in dunklen Kellern versteckt, sondern sie in öffentlichen Manifesten ausdrücklich gefeiert und zur Tugend erhoben. Sie konnten sich dabei sogar auf Klassiker der Staatstheorie wie Thomas Hobbes (1588–1679) berufen, für den politische Gewaltausübung zur Erzeugung von Schrecken und Entsetzen ein zentraler Bestandteil jeglicher Gesetzlichkeit war („terror of legal punishment“). Nur durch demonstrativ entfesselte Gewalt, also durch Terror, könne stabiler Frieden hergestellt werden.

Es blieb freilich bei Hobbes in Sachen Terror stets das staatliche Gewaltmonopol. Allein der Staat, der „Leviathan“, hatte das Recht zur Terrorausübung und war demzufolge auch voll verantwortlich für die terroristischen Untaten. Die konkreten Exekutoren des Terrors, die sogenannten Einzeltäter, ob nun als Folterknechte angestellt oder als Mordpöbel aufgehetzt, mochten zwar auch straffällig sein, doch der eigentliche Terrorist war und blieb der Staat selbst – und mit ihm die Verfasser jener Texte, die Politik bewußt und planmäßig mit Terror verwechseln und diesen im Netz als Tugend verkaufen.


Jason Burke zum Trotz: Es gibt keinen „führerlosen Dschihad“, auch im digitalen Zeitalter nicht. Wer, wie Burke, das Gegenteil behauptet, liefert den eigentlichen Terroristen nur willkommene Vorwände, sich gegebenenfalls aus der Verantwortung zu stehlen. So etwas kennt man zur Genüge aus der Geschichte des bolschewistischen Terrors in der Sowjet-union. Wenn dort ein Terrorfall in der Bevölkerung oder im beobachtenden Ausland allzuviel Entsetzen auslöste, kamen regelmäßig behördliche Mitteilungen, wonach die Exekutoren etwas „mißverstanden“ oder „aus gerechtem Zorn“ ihre Kompetenz überschritten hätten.

Wer den gegenwärtigen Terror dem Internet anlastet, gleicht bestenfalls noch Papst Gregor XII. (1337–1417), welcher einst die Verwendung der damals eingeführten Feuerwaffen im Krieg zu ächten versuchte. Durch ein Verbot von Büchsen und Kanonen, argumentierte er, könne in kriegerischen Auseinandersetzungen die „alte Ritterlichkeit“, der „ehrliche Kampf  Mann gegen Mann“ wieder zum Zuge kommen und so die menschliche Würde vor Gott und der Welt bewahrt werden. Aus den Träumen dieses vornehmen Papstes ist bekanntlich nichts geworden.

Und sowenig wie Büchsen und Kanonen wird man natürlich das Internet abschaffen, „nur“ weil es den Terroristen die Gelegenheit verschafft, Verantwortung von sich zu schieben und statt dessen irgendwelche Dummköpfe mit Texten zu versorgen, die sie ganz ohne zusätzliche Organisation zu Kalaschnikow-Salven und Messerstichen auffordern. Das Internet als solches kann dafür nichts.

Terrorismus läßt sich nicht à la Papst Gregor XII. humanisieren, sondern man muß ihn ächten. Und dazu gehört nicht zuletzt, in allen Weltgegenden den Leviathan, die Staatswächter (und die Religionswächter) zu humanisieren.