© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

Rambo gegen Zuckerberg
US-Vorwahlen: Der Republikaner Donald Trump wird in Deutschland unterschätzt / Sein „America first“ beunruhigt Wirtschaft und strategische Verbündete
Marc Zöllner

Die New York Times (NYT) hat die Hoffnung fast aufgegeben: Sollten Marco Rubio und John Kasich nicht bald aufgeben, dann wird – trotz der Achtungserfolge von Ted Cruz – Donald Trump der Sieger bei den Vorwahlen der US-Republikaner. Denn ab 15. März bekommt der relative Sieger in den großen, entscheidenden Bundesstaaten – wie Florida, Illinois, Pennsylvania oder Kalifornien – jeweils alle Delegierten. Die NYT-Analysten stellen sich auf ein Duell Trump-Hillary Clinton ein.

In Deutschland werden indes weiter Räuberpistolen über den „umstrittenen Immobilienmilliardär“ (Spiegel) verbreitet: „Trumps Erfolg läßt Amerikaner übers Auswandern nachdenken“, titelte die FAZ. „Ungewöhnlich viele Amerikaner“ hätten nach Trumps Erfolgen bei Google nach Auswanderungsmöglichkeiten gesucht. Kanada stünde so hoch im Kurs, daß die Regierung Besucher „auf Verzögerungen in der Nutzung der Homepage“ hinweisen mußte.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen kannte kein Halten mehr: „Trumps Persönlichkeit besteht aus Maßlosigkeit, Respektlosigkeit und Selbstbezüglichkeit. Seine Mittel, mit denen er Mehrheiten erwirbt, sind das Erzeugen von Angst, Wut und Haß. Außerdem befürwortet er Fremdenfeindlichkeit und Folter“, warnte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Kölner Stadt-Anzeiger. „Die Wahl des amerikanischen Präsidenten ist keine rein innerstaatliche Angelegenheit“, erläuterte Röttgen, da das Amt eine enorme Machtfülle besitze. „Deshalb kann man in Europa nicht schweigen, wenn sich in den USA eine wirklich besorgniserregende Entwicklung zeigt.“

Doch warum konnte „der Ausländerfeind“ im hispanisch geprägten Nevada dennoch jeden zweiten Latino-Wähler für sich gewinnen? Und das ausgerechnet gegen Rubio, der kubanische Wurzeln hat und sogar etliche Jahre seiner Kindheit in Nevada verbrachte? Trump sei eben der „Held der Verbitterten“, analysierte die FAZ. Die Deutschen seien da viel vernünftiger: Laut Forsa wollten nur fünf Prozent Trump als US-Präsidenten, 79 Prozent lehnten ihn ab. „Sympathien in zweistelliger Größenordnung finden sich nur unter Hauptschülern und AfD-Anhängern.“

Großspender bevorzugen Clinton, Cruz und Rubio

Andere Blätter arbeiten mit Fotogalerien: Nicht nur die Mehrheit der Leinwandstars und -sternchen stünde hinter Clinton, auch Koryphäen wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg, Investor George Soros oder Hollywood-Größen wie Steven Spielberg oder Jeffrey Katzenberg. Oracle-Milliardär Larry Ellison oder Hedgefonds-Manager wie Paul Singer setzten auf Rubio. Der konservative Tea Party-Liebling Ted Cruz kann da bislang nicht mithalten: Der Schauspieler James Woods oder der Moderator Glenn Beck sind nur Amerika-Fans ein Begriff.

Die NYT verriet, Clinton habe bis Februar 188 Millionen Dollar an Spenden erhalten, Cruz 104 und Rubio 84 – ein Großteil davon kam von Großspendern (Political Action Committees/PAC). Bernie Sanders (96 Millionen) und Trump (27 Millionen) setzen bewußt nur auf Kleinspender – was vielleicht ihren Erfolg mit erklärt. Von Trumps verbalen Unterstützern berichten deutsche Medien kaum – dabei war schon vorigen Sommer abzusehen, daß seine Kandidatur keine One-Man-Show sein wird: „In seiner Einstellung ist er ein mutiger und kompromißloser Politiker“, erklärte der Waffennarr und frühere Metalstar Ted Nugent in der Rita-Cosby-Show seine Trump-Sympathien: „Er wird in Ärsche treten und seinen Mann stehen. Und genau das ist, was Amerika jetzt braucht.“ Auch Schauspieler Stephen Baldwin legte sich fest: „Er führt in den Umfragen, weil er sagt, was er denkt“, meinte der Obama-Gegner. Trump sei „kein Politiker, und es interessiert ihn nicht, was irgend jemand anderes meint. Ich glaube, er wäre ein großartiger Präsident.“ Ähnlich äußerte sich der TV-Moderator Jesse Gregory James.

Es sind aber vor allem Trumps Wahlveranstaltungen und TV-Auftritte, die ihn für seine Anhänger interessant machen. Sie bewundern das Durchsetzungsvermögen des 69jährigen Multimilliardärs, der mit 22 Jahren während seines Ökonomiestudiums mit einem Darlehen von einer Million US-Dollar den Grundstein für sein heutiges Imperium gelegt habe. Trumps Gegner entgegnen hingegen genüßlich, daß schon sein Vater Frederick als New Yorker Bauunternehmer reich wurde. Auch seine anfangs verschwiegene deutsche Abstammung ist gelegentlich ein Thema.

Daß er ein Konglomerat aus Wolkenkratzern, Fünfsternehotels und Golfanlagen besitzt, mehrere Yachten, eine Boeing 757, eine Chessna sowie drei Helikopter sein eigen nennt, stört seine eher unterprivilegierte Wählerbasis nicht. Auch nicht das mediale Bild eines kaltblütigen Spekulanten, der mit seiner Reality-TV-Show „The Apprentice“ regelmäßig bis zu 20 Millionen Zuschauer vor den Fernseher lockte und dafür über 213 Millionen Dollar an Honorar kassierte. Seine TV-Debatten erzielen höhere Einschaltquoten als nationale Baseball- und Basketballfinalspiele.

„Ich weiß, wie man mit komplexen Problemen umzugehen hat und wie man die verschiedensten Elemente, die für einen Erfolg vonnöten sind, zusammenbringt“, schreibt Trump in seinem Erfolgsbuch „Crippled America – How to make America great again“ (Threshold Editions 2015). „Das habe ich über viele Jahre getan und dabei eine gewaltige Firma und ein immenses Reinvermögen aufgebaut.“ Kaum jemand, so Trumps Lesart, könne seine unzähligen, die Skyline der großen Metropolen des Landes prägenden Hochhäuser übersehen.

Trump nutzt zudem die Angst seiner Wähler, ihr Zorn auf das Establishment, die Regierung in Washington und den gelähmten Kongreß, welche nicht in der Lage seien, die evidenten Probleme der einst so großen Nation zu beheben. „Über 20 Prozent der Amerikaner sind derzeit arbeitslos oder unterbeschäftigt. Und jene 45 Millionen Amerikaner, die in ihrer Armut festkleben, mußten mit zusehen, wie ihre Einkommen in den vergangenen 20 Jahren sogar noch gesunken sind“, so Trump. „Würde ich meine Geschäfte auf diese Art managen, ich würde mich selbst feuern!“

„Laßt uns Amerika wie eine Firma führen“

Das in Armut und Bedeutungslosigkeit versinkende Amerika auf der einen, Donald Trumps unaufhaltsam wachsendes Imperium auf der anderen Seite läßt viele von der etablierten Politik enttäuschte US-Bürger auf die Seite Trumps wechseln. „Laßt uns was Neues versuchen“, steuert Boxlegende Mike Tyson sein Schwergewicht zu Trumps Wahlkampf bei. „Laßt uns Amerika wie eine Firma führen, in welcher die Hautfarbe nicht von Bedeutung ist. Wer immer einen Job erledigen kann, bekommt dann den Job.“

Auch die Basketball-Legende Dennis Rodman zählt zu Trumps farbiger Gefolgschaft. Zwar veröffentlichte die NYT kürzlich erst eine eindrucksvoll bebilderte Studie, in welcher darauf hingewiesen wird, daß Trumps Wahlerfolge in jenen US-Regionen am größten seien, in welchen auch am häufigsten nach rassistischen Seiten gegoogelt würde. Dies beweise zwar nicht, daß „die meisten oder viele seiner Anhänger durch Rassenhaß motiviert sind“, aber dies zeige, „daß es zumindest einige sind“.

Trotz alledem kann Trump auf eine wachsende Anzahl afroamerikanischer Wähler zählen. Zwölf Prozent sind es jüngsten Umfragen des renommierten Quinnipiac University Polling Institute zufolge bereits. Was auf den ersten Blick gering klingen mag, ist für Trump ein immenser Erfolg: In den vergangenen Präsidentschaftswahlen stimmten stets lediglich vier bis fünf Prozent der Schwarzen republikanisch. Bei den Latinos würde wohl jeder vierte Trump wählen. Seine lautstarken Versprechen, die heimische Industrie durch Wirtschaftskriege insbesondere gegen China zu stärken sowie die dorthin ausgelagerten Fabriken in die USA zurückzuholen, tragen nicht nur im weißen Mittelstand, sondern auch unter den durch hohe Arbeitslosenquoten geprägten ethnischen Minderheiten des Landes Früchte.

Auch daß Trump kein Blatt vor den Mund nimmt, imponiert seinen Wählern. Etwa wenn er fordert, an der Grenze zu Mexiko „eine gigantische Mauer“ zu errichten, um die illegale Einwanderung einzudämmen. Oder wenn er vorrechnet, daß sich die weltweiten Militärstützpunkte für die US-Bürger nicht rechneten: Sollten deren Kosten nicht durch Länder wie Deutschland, Japan oder Südkorea übernommen werden, gehörten sie aufgelöst. Das erklärt, warum über hundert republikanische Neocons wie Eliot Cohen, Robert Kagan oder Robert Zoellick in einem offenen Brief (warontherocks.com) androhten, Hillary Clinton zu wählen und die gescheiterten Präsidentschaftsbewerber John McCain (2008) und Mitt Romney (2012) Parteifreund Trump den Krieg erklärt haben.

„America first“: Von amerikanischer Politik, argumentiert Trump, hätten zuallererst die Amerikaner zu profitieren. Trumps Doppelrolle als politisch unkorrekter Populist und akribischer Buchhalter scheint seinen Wählern glaubhaft – auch World-Music-Awards-Preisträger Kid Rock: „Laßt den verdammten Geschäftsmann dieses Land wie ein verdammtes Geschäft führen“, forderte der Rockstar im Interview mit dem Rolling Stone. „Außerdem ist sein Wahlkampf verflucht unterhaltsam.“ Es sind TV-Stars wie die Wrestlinglegende Hulk Hogan, der „Rocky“ und „Rambo“-Darsteller Sylvester Stallone, die Musiker Aaron Carter und Azealia Banks sowie Sitcom-Darsteller Lou Ferrigno, die derzeit Trumps Reputation als volksnahen Tribun, als einer von ihresgleichen, selbst als Vorbildfunktion ausbauen. „Donald Trump liebt seine Familie“, brach Kiss-Bassist Gene Simmons zuletzt eine Lanze für den Immobilienkönig. „Seine Kinder sind wundervoll geworden. Er ist gegen Drogen, gegen Alkohol.“

Perfekt choreographierte Selbstdarstellung

Bei einem Großteil des Wahlvolks kommt deren Vermittlerrolle ebenso gut an wie Trumps eigene Show; seine perfekt choreographierte Selbstdarstellung, sein martialisches Auftreten: „Ein Trump“, so Trump über Trump, „der läßt sich nicht kaufen. Ein Trump kauft selbst. Ein Trump gewinnt entweder am Verhandlungstisch, oder er verläßt diesen auf der Stelle.“ In Donald Trumps Inszenierung verkauft Trump den Wählern nicht nur den amerikanischen Traum. Er ist in dieser Inszenierung der amerikanische Traum. Konkrete politische Debatten verschwinden hinter diesem Spektakel. Und ob es Trump überhaupt möglich wäre, als Präsident seine großspurigen Versprechen von isolationistischer Außen- und binnenmarktfördernder Innenpolitik einzulösen, scheint den Wählern und Nichtwählern Amerikas – bei letzteren genießt Trump angeblich Sympathien von 80 Prozent – offenbar ebenfalls gleichgültig.

Laut der Wahlforschungsseite RealClearPolitics.com führte Clinton im Februar nur noch mit 3,4 Prozentpunkten vor Trump. Auch der Auswanderungswunsch vieler US-Amerikaner hat sich wohl gelegt: Diesbezügliche Suchan-fragen erhielt Google gerade einmal an zwei Tagen. Die meisten dieser Anfragen stammten überdies aus Kanada selbst. Daß sich bei der Greencard-Lotterie (dvlottery.state.gov) wohl fünfzigmal so viele Einwanderungswillige beim US-Außenministerium bewerben, wie letztlich 2017 genommen werden, paßt ebenfalls nicht ins Bild. Auch Röttgens scharfzüngiger CDU-Kollege Friedrich Merz, der Vorsitzende des Netzwerks „Atlantik-Brücke“, gab sich im Deutschlandfunk nachdenklich: Er wüßte derzeit nicht, wen er wählen würde, wenn er amerikanischer Staatsbürger wäre.

Foto: Republikanische Präsidentschaftsbewerber Marco Rubio (l.), Donald Trump (M.) und Ted Cruz (r.) in CNN-Wahlkampfsendung: „45 Millionen Amerikaner leben in Armut“