© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

Die anfängliche Euphorie ist längst verflogen
Qualifikationsstudie: Die derzeitigen Zuwanderer aus Afrika und dem Nahen Osten sind nicht die Facharbeiter von morgen
Christian Schreiber

Erbschaft- oder Finanztransaktionssteuer, Leiharbeit, Mindestlohn, Rente mit 63, Sozialversicherung, Unternehmensabgaben, Werkverträge – in vielem liegen Bundespolitik und Wirtschaft über Kreuz. Nur in einem waren sie sich auch mit DGB-Funktionären völlig einig: „Jeder fünfte Asylbewerber bringt einen Hochschulabschluß mit, jeder dritte hat eine Qualifikation, die der eines deutschen Facharbeiters entspricht“, erklärte voriges Jahr stellvertretend Michael Hüther in der Welt. „Die Menschen, die all die Schwierigkeiten, die großen Gefahren und erheblichen Kosten auf sich nehmen, die wollen nicht im Sozialsystem landen, sondern möchten sich eine neue Existenz aufbauen“, so der Direktor des arbeitgeberfinanzierten Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

„Flüchtlinge lösen nicht unser Arbeitsmarktproblem“

Inzwischen ist die große Euphorie über die „Fachkräfte von morgen“ (Arbeitsministerin Andrea Nahles) bereits verflogen. Detlef Scheele, ebenfalls SPD-Mitglied und seit 2015 Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, glaubt, daß erst die Kinder der heutigen Flüchtlingsgeneration eine „gute Perspektive haben, die Fachkräfte von übermorgen zu werden“. Daß es den Taxi fahrenden syrischen Arzt nur deshalb gebe, weil es mit der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse hapere, behauptet nicht einmal mehr der Einwanderungslobbyist Hüther. Auch seine „rot-grüne“ These, Flüchtlingsmigration stelle ein großes Fachkräftepotential dar, wenn ein unbürokratischer Statuswechsel vom Asylbewerber zum Arbeitsmigranten ermöglicht werde, hält der Wirklichkeit nicht stand.

„Die Menschen, die flüchten, kommen nicht zu uns, um unser Arbeitsmarktproblem zu lösen“, sagte Hüther vorige Woche bei einer IW-Konferenz zum Thema „Qualifizierte Zuwanderung und Flüchtlingsmigration“. Er verwies dabei auf Daten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), wonach schon 2014 fast ein Viertel der Flüchtlinge weniger als fünf Jahre eine Schule besucht habe. 62 Prozent hätten in ihrem Leben weder ein Studium noch eine Berufsausbildung begonnen oder gar abgeschlossen. Erwerbstätig waren lediglich 36,5 Prozent der erwachsenen Flüchtlinge, und davon arbeitete nur die Hälfte in Vollzeit – sprich: der Steuerzahler mußte für den Großteil des Lebensunterhalts aufkommen. 44 Prozent der Syrer, Iraker, Afghanen oder Eritreer, die 2015 sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, hatten lediglich einen Helferjob. Nur sieben Prozent waren in „akademischen Expertenberufen“ tätig.

Vor einem Jahr erteilte Hüther einer „Umverteilung der Arbeitskräfte innerhalb Europas“ eine klare Absage, was angesichts der Gehaltsvorstellungen von EU-Bürgern für einen deutschen Unternehmervertreter verständlich war. Doch die eventuell billigeren Fachkräfte aus „demographiestarken Weltregionen wie Südostasien oder Lateinamerika“ machen in der Regel einen großen Bogen um Deutschland. Von den 67.360 Ausländern, die im Juni 2015 in einem Industrieberuf auf Expertenniveau in Deutschland tätig waren, kamen 70 Prozent aus Europa. Franzosen waren mit fast acht Prozent die größte ausländische Expertengruppe.

Auch Italiener, Spanier oder Österreicher sind mit jeweils fünf bis sechs Prozent stark vertreten. Lediglich Inder (7,4 Prozent) konnten da mithalten. „Mittel- und Osteuropäer sowie Türken kommen ebenfalls auf höhere Beschäftigungsquoten in der Industrie, allerdings weniger in akademischen Berufen, sondern mehr als Facharbeiter“, heißt es im Fachblatt IWD (9/16). „Zuwanderer aus China, Kanada, Brasilien und den USA üben zwar insgesamt weniger industrienahe Tätigkeiten aus als andere Ausländer, doch wenn sie in diesem Bereich arbeiten, dann vor allem auf der akademischen Schiene“, so das IW.

Chancen auf Einreise nach Deutschland erweitern?

Auch für den Ärztemangel sind die Asylbewerber keine Lösung: 2015 arbeiteten 29.492 Ausländer sozialversicherungspflichtig in „akademischen Gesundheitsberufen“ – fast 80 Prozent davon kamen aus Europa. Lediglich die Syrer bildeten eine Ausnahme: „Mit 1.500 Beschäftigten stellten sie im zweiten Quartal 2015 nach Rumänen, Griechen und Österreichern die viertgrößte Ausländergruppe“, konstatiert das IW. Dieser Sonderfall stehe „jedoch keineswegs repräsentativ für die syrischen Flüchtlinge insgesamt. Von den oft kolportierten Klischees des syrischen Arztes und des syrischen Ingenieurs“ halte nur ersteres einer empirischen Überprüfung stand. Zudem setzten Gesundheitsberufe ein „Mindestkompetenzniveau der deutschen Sprache“ voraus.

Über die Mehrheit der gegenwärtigen Asylzuwanderer wird daher ein vernichtendes Urteil gefällt: Unter den Flüchtlingen sei „realistisch betrachtet mit einem hohen Anteil funktionaler Analphabeten sowie Personen mit bestenfalls rudimentären mathematischen Kenntnissen zu rechnen“. Eine „nennenswerte Arbeitsmarktintegration“ sei auf mittlere Sicht „nur schwer realisierbar, sind doch die für Deutschland typischen Industriebranchen des Verarbeitenden Gewerbes (Maschinenbau, Fahrzeugbau, Elektroindustrie) in den Herkunftsländern der Flüchtlinge so gut wie nicht vertreten, so daß auch die Flüchtlinge selber nur in Ausnahmefällen über eine entsprechende Affinität oder gar Vorerfahrung verfügen“, prognostiziert das IW.

„Unter dem Strich sollte die aktuelle Flüchtlingsmigration in erster Linie als humanitäre Aufgabe verstanden werden.“ Die Qualifizierung und die Grundbildung der Betroffenen sei eine „gesellschaftliche Aufgabe“ – sprich: der Steuerzahler. Für die angeblichen Nachwuchssorgen der Wirtschaft verlangt Hüther weiterhin zusätzlich „ein modernes Einwanderungsrecht“, damit „Zuwanderungsinteressierte auch jenseits des Asylantrags eine reelle Chance auf die Einreise nach Deutschland erhalten“.

IW-Report 5/15 über „Beschäftigungsspuren der Flüchtlings- und Erwerbsmigration am deutschen Arbeitsmarkt“:

 www.iwkoeln.de/