© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/16 / 11. März 2016

Merkel verzockt sich
Asylkrise: Das Gipfeltreffen der EU mit der Türkei in Brüssel endet für die Bundeskanzlerin mit einer Niederlage
Paul Rosen

Nicht einmal zum gemeinsamen Abendessen hat die Solidarität der Europäer bei ihrem jüngsten Gipfeltreffen noch gereicht. Nur Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach nach dem Treffen der Staats- und Regierungschefs am Montag in Brüssel noch von einem „Durchbruch“ bei den Bemühungen zur Lösung der Flüchtlingskrise in Europa. In Wirklichkeit sahen sich die völlig zerstrittenen europäischen Politiker einem entschlossen auftretenden türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu gegenüber, der – befördert durch die Unterstützung der deutschen Kanzlerin – knallharte und unerfüllbare Forderungen stellte sowie im eigenen Land die Presse zensiert. Merkel hat sich in Brüssel verzockt. Die Quittung dürfte die CDU bei den drei Landtagswahlen am kommenden Sonntag erhalten. 

Orwellsche Sprachumgestaltung

In Berlin wurde versucht, das Scheitern des EU-Gipfels in Orwellscher Sprachumgestaltung zu verniedlichen und in einen Erfolg zu verdrehen. Merkel blieb dabei unerreicht: „Viele waren sich einig, daß das ein Durchbruch ist“, sagte sie und konnte damit bestenfalls sich selbst und den EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker meinen, der in der Nacht zum Dienstag von einer grundsätzlichen Einigung mit der Türkei auf ein neues Verfahren zur Eindämmung der illegalen Migration gesprochen hatte. Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel lobte am Dienstag vor der Presse geplante Vereinbarungen, die (vielleicht) erst bei einem Gipfel Ende kommender Woche und damit nach den drei wichtigen Landtagswahlen in Deutschland (Seite 7) geschlossen werden könnten: „Endlich gibt es konkrete Fortschritte für eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik. Dafür treten wir Sozialdemokraten seit dem Sommer des letzten Jahres ein.“ Ein Rücknahmeabkommen für Flüchtlinge mit der Türkei kombiniert mit Kontingenten, durch die Flüchtlinge auf legalem Weg nach Europa kommen könnten, sei der beste Weg, um den Menschenhändlern und Schleppern das Handwerk zu legen. 

Merkel hat sich in Brüssel in die Hände der Türken begeben und die deutschen Nachbarländer verprellt. Die hatten in die vorbereitete Abschlußerklärung einen Satz hineinschreiben lassen, der eine unmißverständliche Botschaft an Zuwanderer aus dem Nahen und mittleren Osten war: „Die Balkan-Route ist nun geschlossen“, sollte es heißen. Merkel war wütend: „Es kann nicht darum gehen, daß irgendetwas geschlossen wird“, so ihr Diktum. Jetzt heißt es stark abgeschwächt in der Abschlußerklärung: „Irreguläre Ströme von Migranten entlang der Route des westlichen Balkans müssen nun enden.“ Vergeblich hatte der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann geworben: „Ich bin sehr dafür, mit klarer Sprache allen zu sagen: Wir werden alle Routen schließen, die Balkan-Route auch.“ 

Eine definitive Erklärung zur Schließung der Balkanroute statt der jetzt getroffenen Absichtserklärung wäre eine letzte Chance gerade für die im Wahlkampf stehende CDU gewesen, in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und in Sachsen-Anhalt zwar nicht mehr Boden zu gewinnen, aber wenigstens den freien Fall zu stoppen. Doch selbst die ersten Ergebnisse der Kommunalwahlen in Hessen, wo die AfD im zweistelligen Prozentbereich abschnitt und den für offene Grenzen eintretenden Parteien CDU, SPD und Grüne bis zu 15 Prozentpunkte abnahm, ließen Merkel unbeeindruckt: Die Entwicklung in Europa nehme „keinerlei Rücksicht auf nationale politische Termine“. Ebensogut hätte sie ein Zitat von Helmut Kohl verwenden können: „Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter.“ 

Das angebliche Grundgerüst einer Vereinbarung mit der Türkei erinnert mehr an ein Kartenhaus, wobei die Spielkarten aber zu den teuersten der europäischen Geschichte gehören würden. Davutoglu will jeden illegal über die Ägais nach Griechenland gelangten Migranten in die Türkei zurücknehmen. Dafür hatten die Europäer der Türkei bereits drei Milliarden Euro angeboten, die Davutoglu gern auf sechs Milliarden Euro verdoppelt sehen möchte. Dies ist um so unverständlicher, als es zwischen Griechenland und der Türkei ein Rücknahmeübereinkommen gibt, das die Türkei nicht einhält und auf dessen Einhaltung auch die Griechen so lange nicht bestanden, wie sie am ungehinderten Weiterzug der Flüchtlinge nach Norden ordentlich mitverdienten. Jetzt, wo sich ein Rückstau von Zehntausenden Migranten an der griechischen Nordgrenze bildet, wird die Regierung in Athen nervös. 

Die nächste Eurokrise wartet schon

Im Gegenzug soll Europa für jeden von der Türkei zurückgenommenen Flüchtling eine Person aus der Türkei aufnehmen, die dann offiziell eingeflogen werden soll. Wo die Flugzeuge landen sollen, ist unklar. Denn eine europäische Lösung zur Kontingentierung der Flüchtlinge ist bisher gescheitert. Tschechien, Polen, die Slowakei und andere verweigern die Aufnahme grundsätzlich, die Skandinavier haben ihre Grenzen geschlossen. Und selbst innerhalb Deutschlands funktioniert die Kontingentierung nicht: Das rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen schickt zunächst keine Flüchtlinge mehr in kleine Gemeinden: Zu groß wurde der Widerstand vor Ort. Schließlich würde diese Einigung mit der Türkei nichts bringen, weil die Migrantenströme wieder über das Mittelmeer nach Italien erfolgen würden, sobald das Wetter in der Region besser geworden ist. 

Angenommen, es würde tatsächlich zu einer Einigung mit der Türkei und zu einer Lösung der Flüchtlingskrise kommen, Merkel hätte nichts gewonnen in Europa. Die Eurokrise wartet als nächstes, und Griechenland hat keines seiner Probleme gelöst. Im Dauer-Krisenmodus kann aber nirgendwo vernünftige Politik gemacht werden. Die CDU hat nicht begriffen, daß der Kern des Problems sich nicht in Europa, Griechenland, der Türkei oder Syrien befindet, sondern im Berliner Kanzleramt. Das könnte ihren Untergang bedeuten.