© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Endlich billige Erdnüsse
Wirtschaftspolitik: Propagandaoffensive für das transatlanische Handelsabkommen TTIP
Oliver Busch

Vorige Woche begann die zwölfte Verhandlungsrunde zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) in Brüssel. Ob sich die EU und die USA bis Jahresende – und damit noch in der Amtszeit von Barack Obama – auf einen Vertragstext einigen können, ist derzeit fraglich. Daher richten sich nach dem kläglichen Aus von Jeb Bush die Hoffnungen der globalen Wirtschaftselite auf Präsidentschaftsbewerber Marco Rubio.

Der republikanische Senator für Florida ist der entschiedenste Befürworter von TTIP und des transpazifischen Gegenstücks TPP. Auch mit Ted Cruz oder der aus Wahlkampfgründen zur TTIP-Skeptikerin mutierten Hillary Clinton ließe sich leben – nur ein Einzug der „Buy American“-Verteidiger Donald Trump oder Bernie Sanders ins Weiße Haus wäre wohl das Ende von TTIP.

Geheimhaltung als Erfolgsvoraussetzung?

In Deutschland formierte sich der Widerstand anfangs nur in den politischen Rändern: Regierungsparteien, Wirtschaft, DGB und Leitmedien halten TTIP für unverzichtbar. Die Massenkundgebung gegen TTIP und das Pendant zwischen der EU und Kanada (Ceta) am 10. Oktober machte aber deutlich, daß sich immer mehr Verbraucher, Steuerzahler oder Mittelständler nicht mehr von der Posse um „Chlorhühnchen“ ablenken lassen.

Um so notwendiger erschien da eine umfassende Propagandaoffensive für TTIP – auch jenseits von FAZ oder Handelsblatt: Vom Deutschlandradio, über den Donaukurier, die Heilbronner Stimme bis hin zur Süddeutschen und dem Tagesspiegel wurde in fast gleichlautenden Beiträgen von Preissenkungen für den Verbraucher geschwärmt – beispielsweise für Autos oder Textilien.

Im wissenschaftlichen Diskurs spielen dagegen Erdnüsse (130 Prozent Zoll), Fisch von den US-Küsten (25 Prozent Zoll) oder Paprika, auf die derzeit noch 14 Prozent EU-Zoll anfallen, hingegen kaum eine Rolle. Für Frank Hoffmeister, bis 2014 Vizekabinettschef von EU-Handelskommissar Karel De Gucht und unmittelbar beteiligt an den TTIP-Verhandlungen, ist der gewachsene Widerstand ohnehin nichts weiter als eine neue Ausdrucksform der altvertrauten „German Angst“ (Archiv für Völkerrecht, 1/15). In seinem „Plädoyer für die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ versucht der heutige Referatsleiter in der Generaldirektion Handel der EU-Kommission zentrale Einwände der Anti-TTIP-Querfront zu widerlegen.

Dem Vorwurf mangelnder Transparenz wird entgegnet: Geheimhaltung sei bei völkerrechtlichen Verhandlungen allgemein akzeptiert und gehöre zu den wesentlichen Bedingungen ihres Erfolgs. Zudem hätten sich US-Regierung und EU-Kommission darauf geeinigt, nach jeder Runde die „Zivilgesellschaft“ zu informieren. Darüber hinaus würden das EU- und die nationalen Parlamente über den Fortgang in Kenntnis gesetzt. Daß das nur in „gesonderten Leseräumen“ gestattet werde, sei die Folge eines restriktiveren Verfahrens, das in den USA aber von jeher üblich sei.

Es gebe auch keinerlei wissenschaftliche Gesundheitsbedenken gegen die US-Methode, Geflügel mit Chlor zu desinfizieren. Das geltende EU-Importverbot gründe daher ausschließlich in politischen Rücksichtnahmen. Auch der Vorwurf, TTIP werde das Verbot für genmodifizierte Organismen (GMO) aushebeln sowie hormonbehandeltes US-Rindfleisch auf den EU-Markt bringen, seien gegenstandslos, denn EU-Kommission und Bundeswirtschaftsministerium würden das nicht zulassen.

Bei der weniger ökologisch, denn politisch motivierten Hauptkritik an TTIP – den sogenannte Investitionsschutzabkommen (ISDS) – gibt Hoffmeister ebenfalls Entwarnung: Bei den zu diesem Zweck eingerichteten „Schiedsgerichten“ müsse lediglich Sorge getragen werden, daß diese – wie von der EU-Kommission geplant – öffentlich tagen. Der Investitionsschutz selbst falle nicht aus dem völkerrechtlichen Rahmen, denn die Bundesregierung habe bilaterale Investitionsschutzabkommen mit osteuropäischen Ländern sogar nach deren EU-Beitritt beibehalten. Daß dank ISDS Unternehmen für mutmaßlich entgangene Gewinne gegen Staaten klagen können, ist für Hoffmeister kein Problem. Daß über den Ausgang der Klage und die vom Steuerzahler zu leistende Entschädigung Privatgerichte befinden sollen, ebensowenig.

„Sonderrechte für Konzerne“

Angesichts der Fülle von Publikationen, die dem Tenor „TTIP – das Märchen vom Wachstums- und Beschäftigungsmotor“ folgen, dürfte Hoffmeisters explizit auf juristische Fragen begrenzter Versuch, Stimmung für das Abkommen zu machen, kaum verfangen. Denn um das von ihm ausgeblendete Ökonomische mitsamt politischen Konsequenzen kreist die Argumentation der Gegner. Insoweit repräsentativ sind die „demokratischen Bedenken“, die der Staatsrechtler Andreas Fisahn (Uni Bielefeld) und sein Assistent R?dvan Çiftçi vortragen (Kritische Justiz, 3/15).

Vor allem die ISDS-Schiedsgerichte stellten ein „Sonderrecht für Konzerne“ dar, das „zentrale Errungenschaften des bürgerlichen Rechtsstaates“ beseitige. Zudem bringe schon die Möglichkeit, verbesserten Kündigungs-, Umwelt- oder Gesundheitsschutz als Gewinneinbuße geltend zu machen und vor einem Privatgericht den Staat auf Entschädigung zu verklagen, jeden nationalen Gesetzgeber unter Zugzwang – sogar „bevor ein solches Gesetz verabschiedet wird“.

Internationale Konzerne könnten damit nationale Politiken noch stärker beeinflussen als bisher. Alles in allem seien Ceta und TTIP mithin „kein guter ‘Deal’ für die Mehrheit der Bevölkerung“. Daß die beiden Autoren angesichts dessen nun mit „Rechtspopulisten“ à la Donald Trump oder gar der AfD eine Querfront bilden, ist aber nicht zu erwarten: Fisahn sitzt im Beirat des globalisierungskritischen Attac-Netzwerks, Çiftçi ist SPD-Mitglied.

Liste der möglichen Zollsenkungen:  correctiv.org/