© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/16 / 04. März 2016

Reformer kehren zurück auf die Bildfläche
Iran: Nach den Wahlen herrscht im liberalen Lager der Gesellschaft Aufbruchstimmung / Erzkonservative in Teheran weit abgeschlagen
Marc Zoellner

Vergangenen Freitag blieben die Teheraner Wahlkabinen geöffnet wie lange nicht mehr in der Geschichte des Iran: Bis Mitternacht konnten die Bürger der Hauptstadt ihre Stimme zu den zwei bedeutendsten Wahlen des Landes abgeben. Denn das iranische Nationalparlament, wurde ebenso gewählt wie der Expertenrat, jene Kommission, die nach dem Rücktritt oder Verscheiden des Obersten Religionsführers, dem jetzigen Ayatollah Ali Chamenei, dessen Nachfolger bestimmen wird.

Das Interesse der Iraner, an dieser Abstimmung teilzunehmen, war dementsprechend groß. Zumindest was die Einwohner Teherans betraf. Schon vor der eigentlichen Öffnung der Wahllokale – im Iran wird vorzugsweise in den Moscheen gewählt – bildeten sich lange Schlangen vor den Gebetshäusern.

Teheran entwickelt sich zur Hochburg der Reform

Insgesamt gaben allein in der iranischen Hauptstadt über viereinhalb Millionen Menschen ihre Stimme ab. Darunter befand sich auch Mohammed Reza Aref, der sich bei seinem Auftritt zusammen mit seiner Frau Hamideh an der Wahlurne ablichten ließ. Ein im religiös-konservativen Iran noch immer höchst untypisches Bild.

Bereits zum Wahlkampf zeigte sich der unter Mohammed Chatami als Vizepräsident dienende Spitzenkandidat der Reformisten zuversichtlich. „Wir erwarten, daß die Extremisten und Prinzipalisten nicht mehr die Mehrheit im Parlament besitzen werden“, verkündete Aref noch Anfang vergangener Woche im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. „Doch selbst wenn wir keine Mehrheit erzielen können und in der Minderheit bleiben, werden wir eine Koalition formen, um unsere Reformen voranzutreiben.“

Bis zuletzt blieb der mögliche Ausgang der Wahl im Iran unklar. Der einflußreiche Wächterrat, ein zwölfköpfiges Gremium aus Religions- und Rechtsgelehrten, hatte im Vorfeld rund die Hälfte der über zwölftausend Bewerber für einen Sitz im Parlament abgelehnt. Die meisten von ihnen galten als Reformer. In nicht wenigen iranischen Wahlkreisen traten demzufolge lediglich die Anhänger des Ayatollah Chamenei ohne Gegenkandidat an.

„Die Ayatollahs haben ein Rudel Skorpione in eine Schachtel geworfen und uns gesagt, wir hätten die volle Freiheit, unsere Hand in diese Schachtel zu stecken und uns jeden Skorpion auszusuchen, den wir mögen“, ließ ein junger Teheraner Aktivist vor dem Stimmgang seiner Wut freien Lauf.

Doch zumindest in Teheran ging die versuchte Einflußnahme der Traditionalisten auf die Parlaments- und Expertenratswahl gehörig schief. Bereits die ersten Auswertungen zeigten einen gravierenden Rückschlag für Chameneis Kleriker. Am Montag schließlich stand fest: Von den 30 der 290 für die Provinz Teheran reservierten Sitze des Parlaments fielen sämtliche an die Reformer. Allein Mohammed Aref erhielt über anderthalb Millionen Stimmen. Die Erzkonservativen hingegen fanden sich weit abgeschlagen.

Auch von den 16 Teheraner Sitzen für den Expertenrat gingen 15 ins Lager der Reformer über. Als eindeutiger Sieger des Wahlabends durfte sich Akbar Rafsandschani fühlen. Der ehemalige Staatspräsident, dessen erneute Kandidatur für das zweithöchste Amt im Land der Wächterrat vor drei Jahren noch ablehnte, konnte 2,3 Millionen Stimmen auf sich vereinen; dicht gefolgt vom in Teheran populären schiitischen Kleriker Mohammad Emami sowie Hassan Rohani, dem derzeitigen Präsidenten des Iran. Lediglich Ahmad Dschannati, der Vorsitzende des Wächterrats, konnte seine Position gegenüber den Reformern knapp auf Platz 16 verteidigen.

„Die Rückkehr der Reformer ins herrschende System ist der größte Erfolg dieser Wahl“, begrüßte Rohani das erfolgreiche Abschneiden seines Lagers. „Nun kann uns niemand mehr als Aufrührer und Spione bezeichnen.“

„Diese Wahl könnte ein Wendepunkt in der Geschichte der Islamischen Republik sein“, bestätigte der Teheraner Zehntplazierte Mostafa Kavakebian der linksliberalen iranischen Zeitung Mardomsalari. Wie Rafsandschani, so hatte auch Kavakebian sich 2013 noch um das Amt des Präsidenten beworben und wurde damals vom Wächterrat zurückgewiesen.

Verluste für Traditionalisten auch im Expertenrat 

Insgesamt konnten die Reformer 52 der 88 Sitze des Expertenrats für sich erkämpfen. Die angestrebte Mehrheit im Nationalparlament verfehlten sie trotz alledem. Gut 50 Prozent der Sitze fielen dem iranischen Innenministerium zufolge an die Traditionalisten, denen es gerade in den ländlichen Gegenden des Iran, aber auch in religiösen Hochburgen wie der Universitätsstadt Isfahan zu punkten gelang. Die Reformer kamen letzten Auswertungen zufolge auf knapp 44 Prozent, rund sechs Prozent der Mandate gingen an unabhängige Bewerber.

Trotz allem besteht noch Hoffnung für das reformorientierte Lager um Rohani, Aref und Rafsandschani: Denn im April werden die Bürger von 34 Wahlkreisen erneut an die Urnen gerufen. Keiner der Bewerber konnte in diesen Bezirken gleich im ersten Wahlgang eine Mehrheit für sich erzielen. Das Rennen ist offen. 

Die Bürger Teherans hält dies jedoch nicht davon ab, den Sieg ihres Reformlagers bereits ausgiebig zu feiern. Exemplarisch dafür ist ein Beitrag, der in den sozialen Netzwerken der Islamischen Republik seit dem vergangenen Wochenende massenhaft geteilt wird: „Achtung, liebe Mitbürger“, steht dort geschrieben. „Teheran ist endlich frei!“