© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/16 / 26. Februar 2016

Zeitschriftenkritik: Spiegel Geschichte
Werdegang einer neuen Lehre
Christian Vollradt

Egal ob der Papst als Ungeheuer mit Eselskopf und schuppiger Haut oder der Teufel mit einem Mönchskopf als Dudelsack: zimperlich ging es nicht zu, als in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts um den wahren Glauben gerungen und eine neue Lehre gegen Rom in Stellung gebracht wurde. Die Flugschriften und Karikaturen jener Zeit wären in heutigen sozialen Netzwerken und neuen Medien sicherlich ein Fall für die Hüter der Nettiquette. Insofern ist es lobenswert, daß die Macher des Spiegel Geschichte-Themenheftes „Reformation“ diesem Phänomen einen ansprechend bebilderten Abschnitt widmen.

Auf knapp 140 Seiten behandelt das Magazin im besten Sinne populärwissenschaftlich die wesentlichen Kernpunkte dieser aufgewühlten Epoche. Von den Anfängen des unbekannten Mönchs Martin Luther, der in Wittenberg gegen die Ablaßpraxis aufbegehrt und an der Suche nach dem gerechten Gott fast verzweifelt; über die politischen Kämpfe um die Reformation im Reich bis zum Religionsfrieden und der konfessionellen Spaltung. Schlaglichtartig werden Handelnde und Ereignisse kapitelweise vertieft: Kaiser Karl V. genauso wie Sachsens Kurfürst Friedrich, Franz von Sickingen wie der Jesuit und Gegenreformator Peter Canisius. Die konkurrierenden Reformatoren werden vorgestellt, die bizarre Herrschaft der Wiedertäufer von Münster ebenfalls.

Informativ sind eine Infografik zur Wartburg, auf der Luther als Junker Jörg versteckt die Bibel übersetzte und – als historisches Dokument – ein in der Handschriftenabteilung der Wolfenbüttler Herzog-August-Bibliothek bewahrtes Ablaßschreiben. Die Bauernkriege hätten eine etwas ausführlichere Behandlung verdient, nicht zuletzt, weil sie sehr unterschiedlich ins deutsche Geschichtsbild West und Ost (Stichwort: frühbürgerliche Revolution) eingegangen sind. Arg oberflächlich geriet zudem der „Stammbaum“ der größten christlichen Gemeinschaften; die Frage, wer sich warum von wem abspaltete, ist eben nichts, das sich für eine solch stark vereinfachte Grafik eignet.

Um die Frage nach den Ursachen für die weitreichende Wirkung Luthers und die, was von seiner Reformation heute bleibt, dreht sich ein Doppelinterview mit dem Historiker und Luther-Forscher Heinz Schilling sowie Margot Käßmann, der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden und Botschafterin des Reformationsjubiläums 2017. Dabei läßt sich aus den Ausführungen des Frühneuzeitlers ein größerer Erkenntnisgewinn ziehen als aus denen der Theologin. Denn während Schilling im wesentlichen beim historischen – und damit vielfach auch sperrigen – Luther bleibt, läuft Käßmann gelegentlich Gefahr, zu stark auf eine aktuellen Bezügen geschuldete Glättung aus zu sein. Immerhin hebt sich davon wohltuend das Gespräch mit dem Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann ab, der das „düstere Kapitel“ Luther und die Juden in seinen historischen und vor allem biographischen Kontext einordnet und so erhellt.

Kontakt: Spiegel-Verlag, Ericusspitze 1, 20457 Hamburg. Das Heft kostet 7,80 Euro.

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