© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/16 / 26. Februar 2016

Ein Sturm zieht auf
Asylkrise: Zwei Wochen vor den Landtagswahlen mehren sich bei CDU und SPD die Krisensymptome
Paul Rosen

Die Verwerfungen im Parteiensystem werden immer heftiger. Gleich drei CDU-Spitzenkandidaten aus den Ländern setzen sich von der Parteichefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel ab. „Wer solche Stellvertreter hat, braucht keine Feinde mehr“, sagt SPD-Generalsekretärin Katarina Barley über die rheinland-pfälzische CDU-Landesvorsitzende Julia Klöckner, die gegen den Willen der Kanzlerin Tageskontingente für Flüchtlinge und damit im Ergebnis die im Kanzleramt so verhaßte Obergrenze einführen will. Aber auch die SPD ist in Auflösung. In Baden-Württemberg droht ihr bei der Wahl am 13. März der dritte oder vierte Platz, in Rheinland-Pfalz der Regierungsverlust und in Sachsen-Anhalt der Fall in die Bedeutungslosigkeit. Wenn das alles so eintritt, wird die SPD am Abend des 13. März auch noch ihren Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel los – über dessen Rücktritt wird in Berlin schon spekuliert. Justizminister Heiko Maas wartet bereits. 

Merkel redet wie jemand, der fällt

Aber was wird mit Merkel? Noch vor wenigen Wochen lautete die Rechnung: In Baden-Württemberg wird die CDU stärkste Partei, und trotz ihres farblosen Spitzenkandidaten Guido Wolf kann gegen die CDU keine Regierung gebildet werden, weil kleine Parteien wie AfD und FDP eine neuerliche Mehrheit für Grün-Rot verhindern. In Rheinland-Pfalz stand Klöckner bei 40 Prozent in den Umfragen; auch hier erschien ein Regieren gegen die CDU nicht mehr möglich. In Sachsen-Anhalt sah es immerhin danach aus, als ob Reiner Haseloff mit der SPD weiterregieren kann, auch wenn es für die „Große Koalition“ nur knapp reichen würde. 

In Sachsen-Anhalt wird die dort organisatorisch nicht gerade starke AfD jetzt bei 17 Prozent und vor der SPD vermutet. Sie konkurriert damit mit der Linkspartei um den zweiten Platz im Parteiengefüge. In Rheinland-Pfalz sackt Klöckners CDU immer tiefer und der SPD entgegen, deren Spitzenkandidatin Malu Dreyer schon wieder glaubt, den ersten Platz und damit den Anspruch auf Regierungsbildung zu bekommen. Noch dramatischer ist die Lage in Baden-Württemberg. Eine erste Umfrage zeigt die Grünen vor der CDU, deren Träume, den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ablösen zu können, damit bald platzen könnten. Besonders dramatisch ist der drohende Verlust der meisten Wahlkreise für die bis dahin unangefochten wirkenden CDU-Lokalmatadore. Hier bricht Merkel die Basis weg, die alle Pirouetten der Kanzlerin von der Energiewende bis zur Flüchtlingspolitik mitgemacht hatte. Aber wenn es an die eigenen Mandate geht und Gehälter, Dienstwagen, Büros und Rentenansprüche zur Disposition stehen, dann ist es mit der Loyalität der Landvögte schnell vorbei. 

Es soll Klöckner gewesen sein, die Wolf und Haselhoff an einen Tisch holte, um eine gemeinsame Anti-Merkel-Erklärung zu unterzeichnen. Daß Haseloff dann doch nicht unterschrieb, weil in dem Papier heftige Kritik an seinem Koalitionspartner SPD geübt wird, war egal. Haseloffs Ansichten als klar gegen den Kurs von Merkel gerichtet sind bekannt. Klöckner präsentierte damit die Fortschreibung ihres Plans „A 2“, mit dem die Absetzung von Merkel begonnen hatte.

Kernsätze aus dem Papier lauten: „Ohne Asylgrund oder Schutzstatus sollte niemand mehr nach Deutschland einreisen dürfen.“  Schließlich folgt der Abgesang auf die Merkelsche Willkommenskultur: Die Flüchtlingszahlen zu reduzieren bedeute sowohl „Herz und Härte, schwierige Entscheidungen und auch Leid. Zu zögern, nicht zu handeln, wird letztlich noch mehr Schaden und Schmerz verursachen.“ Das Dokument zeigt, daß die Wahlkämpfer jede Hoffnung aufgegeben haben, ihre Ziele noch mit Merkel zu erreichen. 

Die Kanzlerin ist von der Fortune verlassen worden. Konnte sie bei der Euro-Rettung noch zusammen mit Frankreich dem Rest Europas ihren Willen aufzwingen und Griechenland die Ausgaben-Zügel anlegen, so hat Frankreich sich inzwischen vom Stabilitätsanker losgerissen und Griechenland die Zügel abgeworfen. Den europäischen Bankenstreßtest legte man in die Hände des Zentralbankpräsidenten Mario Draghi, und die Berliner Politiker wundern sich auf einmal, daß  italienische Banken, die den Streßtest so toll bestanden hatten, jetzt in die Pleite zu rutschen drohen und deutsches Steuergeld zum Stopfen der Löcher bald gebraucht werden wird. Das sind weitere Probleme, von denen jedes einzelne Merkel ins Verderben stürzen kann

In der Flüchtlingspolitik besteht Merkels europäische „Koalition der Willigen“ faktisch nur noch aus Luxemburg und Deutschland, nachdem Österreich auf einen restriktiven Kurs eingeschwenkt ist. Die Bundeskanzlerin setzt auf die türkische Regierung, damit diese in der Ägäis weitere Überfahrten von Flüchtlingsbooten verhindern möge. Doch ein Anschlag in Ankara ließ den türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu die Reise nach Brüssel zum EU-Gipfel absagen. Eine Vereinbarung mit der Türkei soll jetzt kurz vor dem deutschen Landtagswahltermin erreicht werden. Selbst wenn es gelingen würde, die Türkei einzubinden und ihre Seegrenze weitgehend zu schließen, bleibt das Problem Libyen: Dort warten angeblich 200.000 Menschen auf die Überfahrt nach Italien und die anschließende Weiterreise nach Deutschland. Die Geister, die Merkel mit ihrer Willkommenskultur rief, wird sie nicht mehr los. 

Die Kanzlerin forderte ihre Partei am vergangenen Montag auf, die Forderung nach nationalen Grenzmaßnahmen zurückzustellen. Dies sei geboten, um den Erfolg kommender Gipfel nicht zu gefährden. So redet niemand mit Führungsstärke. So redet jemand, der fällt.