© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/16 / 26. Februar 2016

Eine Frage der Perspektive
Kriminalität: Die Zahl der von Einwanderern begangenen Straftaten ist 2015 deutlich gestiegen, die der potentiellen Täter allerdings auch
Bernd Hierholzer

Mehrere Araber stehen in einem Pulk an der Kasse eines Fallingbosteler Supermarkts. Kein seltenes Bild in der Kleinstadt in der beschaulichen Lüneburger Heide. Die junge Kassiererin sieht sich hilfesuchend nach ihrer Kollegin um. Doch die ist zwei Gänge weiter beschäftigt. Sonst ist niemand im Laden. Die Araber reden auf die Kassiererin ein. Es geht um ein Fleischprodukt, das einer der Flüchtlinge zurückgeben möchte. Doch eine Rücknahme ist ausgeschlossen, wie stets, wenn bei Fleischprodukten die Kühlkette unterbrochen ist. Die Stimmung droht zu kippen, doch dann verlassen urplötzlich gleich mehrere der Araber das Geschäft.  Der verzweifelte Blick der Verkäuferin folgt den Männern. Ein paar Minuten später ist klar, weshalb: Ladendiebstahl ist hier an der Tagesordnung. 

Ladendiebstahl, das gab es vor der Einrichtung des Flüchtlingslagers im September 2015 im gemeindefreien Oerbke auch schon, schließlich stehlen nicht nur Flüchtlinge. Doch deutsche Täter treten meist einzeln auf und lassen sich leichter stellen. Für den Beobachter wird schnell ersichtlich: Die beiden Damen im Geschäft können unmöglich jeden beobachteten Ladendieb zur Rede stellen, festhalten, die Polizei rufen und warten, bis diese eintrifft, ohne daß die zielorientiert handelnden Männer schlicht und ergreifend das Geschäft verlassen. Natürlich seien nicht alle Flüchtlinge Diebe, versichert eine der Verkäuferinnen. Doch die Angestellten des Supermarktes haben kein Mittel in der Hand und lassen vermeintliche oder tatsächliche Ladendiebe dann auch schlichtweg ziehen.

Dunkelziffer bei Ladendiebstählen

Für den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) ist die Welt allerdings in Ordnung. Ja, es habe einen Anstieg bei den typischen Flüchtlingsdelikten gegeben, sagte er bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik 2015 (PKS). Die Diebstahlsdelikte hätten sich auf 6.331 verdoppelt, die Rohheits- und Körperverletzungsdelikte auf knapp 3.500 ebenfalls fast verdoppelt, und auch bei den Vermögens- und Fälschungsdelikten wie etwa der Beförderungserschleichung ist ein Anstieg von 3.105 auf 5.182 Fälle zu verzeichnen. Doch die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge begehe keine Straftaten, so Pistorius. Der Anstieg sei zudem ins Verhältnis zu den von Niedersachsen aufgenommenen 100.000 Flüchtlingen zu setzen. Für Ladendiebstähle ist unklar, wie hoch angesichts des zuvor beschriebenen massierten Auftretens der Flüchtlinge in Gruppen die Dunkelziffer ausfällt.

Nach den Silvesterereignissen in Köln und Hamburg ist auch ein Blick auf Straftaten gegen die „sexuelle Selbstbestimmung“ sinnvoll. Hier steigen die Zahlen seit 2009 (4.855 Fälle) kontinuierlich auf jetzt 5.227 Fälle an. Ein Zusammenhang mit der Flüchtlingswelle kann allerdings – zumindest in Niedersachsen – nicht hergestellt werden. Bei der Polizei beklagt man eine hohe Dunkelziffer und geht davon aus, daß gerade einmal vier bis fünf Prozent der Delikte überhaupt zur Anzeige kommen. 

Einen vertiefenden Blick auf den nationalen Hintergrund der tatverdächtigen Flüchtlinge und Migranten gibt die PKS des Landes Niedersachsen nicht. Das hingegen offenbart zumindest tendenziell auf Bundesebene ein als geheim eingestufter Lagebericht des Bundeskriminalamts (BKA), den die Bild-Zeitung in der vergangenen Woche auszugsweise veröffentlicht hat. Aus dem Papier mit dem Titel „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ ergibt sich, daß die Zahl der Straftaten von Flüchtlingen deutschlandweit um 92.000 Fälle auf 208.344 gestiegen ist (plus 79 Prozent). Doch das BKA verweist gleichzeitig darauf, daß die „weit überwiegende Mehrheit der Asylsuchenden keine Straftaten“ begehe. 

Übergriffe von Köln fehlen in der Statistik

Denn im selben Zeitraum sei die Zahl der Flüchtlinge um 440 Prozent gestiegen. Bis Ende 2015 seien 1.091.894 Asylsuchende registriert worden und damit fast 900.000 Menschen mehr als im Vorjahr. 

Insbesondere Serben, Albaner, Kosovaren, Mazedonier und Nigerianer werden, gemessen am Gesamtaufkommen der neuen Zuwanderer, überdurchschnittlich straffällig, während das insbesondere bei Syrern deutlich unterdurchschnittlich der Fall ist. Syrer machen inzwischen 47 Prozent aller Zuwanderer aus, ziehen aber „nur“ einen 24-Prozent-Anteil der registrierten Straftaten auf sich.

Wie die Bild weiter berichtet, hatten mit 32 Prozent Vermögens- und Fälschungsdelikte (52.167 Fälle) und die Beförderungserschleichung (28.712 Fälle) einen großen Anteil an den Straftaten. Auch der Diebstahl durch Zuwanderer mache laut BKA mit 33 Prozent einen erheblichen Anteil der Zuwanderer-kriminalität aus: Mit 85.035 Fällen habe sich die Zahl im Vergleich zu 2014 (44.793) fast verdoppelt. Ebenfalls verdoppelt haben sich die Rohheitsdelikte (Körperverletzung, Raub, räuberische Erpressung) und die Straftaten gegen die persönliche Freiheit (Nötigung) – von 18.678 Fällen (2014) auf 36.010 Fälle (2015).

Der Anteil von Sexualdelikten liege laut BKA-Lagebild bei unter einem Prozent: 1.688 Fälle von Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung (zum Beispiel sexueller Mißbrauch), darunter 458 Vergewaltigungen oder sexuelle Nötigungshandlungen, seien registriert worden. Allerdings sind die massenhaften sexuellen Übergriffe aus der Silvesternacht in Köln und anderen Städten in dieser Statistik noch nicht erfaßt.