© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/16 / 26. Februar 2016

Auf die Dosis kommt’s an
Dialektik des Erfolgs: Die Chancen für die AfD sind glänzend – doch auch gefährlich
Werner Patzelt

Wen die Götter verderben wollen, dem erfüllen sie seine Wünsche. Was gibt es Schöneres, als für ein neues Anliegen rasch große Anhängerschaft zu finden, für eine neue Partei schnell viele Mitglieder, dann große Aufmerksamkeit der Medien – und anschließend noch weit um sich greifende Solidarisierung, wenn man unfair behandelt wird. Doch Anhängerschaft kann auch auf Mißverständnissen beruhen, Mitgliedschaft auf Karrierehoffnungen. Und für mediales Aufsehen hat schon mancher mit der Schädigung seines Rufs bezahlt. Dann kann aus einer politischen Thermik, die nach oben trug, ein Luftloch werden, in dem man abstürzt.

Durch solche Turbulenzen kämpft sich derzeit die AfD. Mühsam versucht sie, einen Trennstrich nach ganz rechts nicht nur zu ziehen, sondern auch glaubhaft zu machen. In innerparteilichen Kämpfen Unterlegene reden sie schadenfroh herunter. Die Konkurrenz findet immer wieder verwundbare Mandatsträger – oder wenigstens schwache Passagen in deren Reden. Und in Talkshows oder Interviews packt manchen Journalisten die Jagdlust nach dem verfänglichen Begriff, dem skandalisierbaren Satz. Schießt die Jagdgesellschaft zu erfolgsgewiß, dann solidarisiert sich zwar mancher Treiber mit dem wunden Wild. Doch bisweilen wird politischer Blutverlust zu stark. 

Allerdings wächst manchmal das Rettende auch, wenn die Not am größten ist. Torheit der Konkurrenz spendet dann weitere Lebenskraft – etwa wenn unliebsame Spitzenkandidaten von Wahlkampfrunden ausgeschlossen werden sollen oder wenn EU-Kommissare ein hypothetisches Eheband mit der AfD-Vorsitzenden durch Selbstmord auflösen wollen. Doch auf Stümpereien von Gegnern ist kein Verlaß.

Gar nicht stümperhaft ist es freilich, den Gegner umsichtig dorthin zu treiben, wo die Falle wartet. Die ist in Deutschland vom Typ „Radikalismus“ und steht seit langem rechts. Sogar der bis dahin untadelige Liberale Bernd Lucke durfte als AfD-Gründer Erfahrungen mit der Nazi-Riecherei und Ausschließeritis der „Anständigen im Lande“ sammeln, die durchaus nicht vergnügungssteuerpflichtig waren. Am Ende machte er den ihn zermürbenden „Kampf gegen Rechts“ zur eigenen Sache und rettete sich in politische Harmlosigkeit. Petry, Gauland & Co. befinden sich aber weiterhin im Abnutzungskrieg. Er ist auch ungewissen Ausgangs, falls in den nächsten Wochen die Bundesregierung doch noch ihre fehlerhafte Einwanderungspolitik effektiv korrigieren sollte.

Bei solchen Auseinandersetzungen kann zum lähmenden Gift werden, was vorher Aufputschmittel war. Dies ist das Alternative, das mit ihm einhergehende Radikale. Es kommt da ganz auf die Dosierung an. Der Parteiname ist in dieser Hinsicht genial. Alternativen schätzt nämlich nicht nur ein Dialektiker. Auch trägt eine Alternative „für“ etwas das Versprechen auf Synthese viel mehr in sich, als das eine Alternative „zu“ etwas, gar eine Antithese „gegen“ etwas, je leisten könnte. Und obwohl das, wozu eine Alternative geboten wurde, anfangs nur die riskante Politik der „Euro-Rettung“ war, lag in der Entwicklung eben doch, daß bald nach Alternativen zu allen etablierten Politikrezepten gesucht wurde. 

Rasch ging es dabei in jene Tiefenschichten deutscher Selbstverständlichkeiten, die zu berühren Verwegenheit oder Naivität erfordert. Ob „aus Mitleid wissend“ oder als „reiner Tor“: Einen schweren Weg geht hierzulande, wer die Familie wieder in den Mittelpunkt der Politik rücken möchte; wer Nachwuchs nicht nur der Einwanderung verdanken, sondern auch selbst zeugen oder gebären will; wer deutsche Kultur nicht als Gruselkabinett, deutsche Geschichte nicht als Lehrbuchsammlung des schlicht zu Vermeidenden versteht; und wen die Rede von deutschen Interessen nicht pflichtschuldig verstört.

Allerdings zieht eine Alternative auch merkwürdige Leute an. Zum Alternativen mag werden, wer es nicht gemocht oder geschafft hat, sich den Normalen beizugesellen. Zu ihm kann werden, wem „die ganze Richtung nicht paßt“ – weshalb er sich bei jenen eingefunden hat, die doch nur Abirrungen auf einem in die durchaus gewünschte Richtung gehenden Weg beenden wollen. Zum Alternativen kann werden, wer die Pose der Revolte liebt, es aber nur zum Habitus des Quertreibers gebracht hat. Zu ihm kann werden, wem die Lust am Maß vergangen ist, weshalb er nun einen Resonanzboden für selbstberauschende Zumutungen sucht. Und zum Alternativen kann werden, wer in so einem Soziotop nicht länger als merkwürdig, sondern endlich als passabel gilt. 

Derlei Leute sind der AfD reichlich zugelaufen. Den guten Willen derer, die tüchtige Mitstreiter suchten, beuten manche aus. Sie sind gern gefundene Leckerbissen für die Freßfeinde der AfD. Erst stellt man sie als typisch für die unliebsame Konkurrenz heraus. Das kann helfen, diesen Neubeginn unterwandern zu lassen. Vielleicht ist diese Protestpartei dann ohnehin schon so schlimm geworden, wie man sie gern hinstellte. Später greift man solche U-Boote an und zwingt redliche Parteiführer zum Feuerschutz. Der macht sie dann selbst angreifbar, so daß man auch sie zielsicher angehen kann. Am Ende vergeht die Alternative. 

Dann aber stockt auch der dialektische Prozeß hin zum Besseren, verharrt alles in konservativer Affirmation. Wie schön für das Establishment – und wie schlecht für politisches Lernen, das doch der Alternative bedarf.






Prof. Dr. Werner Patzelt lehrt Politikwissenschaften an der Technischen Universität Dresden. Er ist zudem Mitglied im Kuratorium der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.