© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

Lügenpresse unter direkter staatlicher Aufsicht
Alle Versuche zur Schaffung einer „Pseudowirklichkeit“ scheiterten: Pekka Roisko über das schmähliche Ende der sowjetischen Zensurbehörde 1981 bis 1991
Konrad Faber

Die Schaffung einer volkspädagogisch wertvollen „Pseudowirklichkeit“ ist aktuell einigen deutschen Medien in der Flüchtlingsfrage nicht fremd. Aber was in Deutschland in mancher Zeitungsredaktion freiwillig geschieht, das mußte seinerzeit in der Sowjetunion durch eine staatliche Organisation namens Glavlit (Abkürzung für „Hauptverwaltung für Literaturfragen“) mittels Druck durchgesetzt werden. Presseerzeugnisse und literarische Werke wurden durch die amtlichen Zensoren von Glavlit vor Erscheinen zensiert. Glavlit verstand sich als ein „Machterhaltungsinstrument“ der Kommunistischen Partei und arbeitete deshalb Hand in Hand mit dem KGB, weshalb wahrscheinlich immer noch so viele Archivalien mit Bezug auf die Zensur in russischen Archiven unzugänglich sind. 

Was der Kommunikationswissenschaftler Pekka Roisko in russischen Archiven und durch Befragung von Zeitzeugen trotzdem herausgefunden hat, ist einerseits empörend, andererseits erheiternd zu lesen. So erstickten die Zensoren, überwiegend Absolventen geisteswissenschaftlicher Fächer, fast an ihrer vielen Arbeit und konnten häufig Artikel auf die Schnelle nur „querlesen“. Außerdem fehlte es in der multinationalen Sowjetunion an sprachkundigen Zensoren, so daß einmal nur durch Zufall herauskam, wieviel „Schädliches“ über den alltäglichen Antisemitismus gerade in jiddischsprachigen Presseorganen veröffentlicht wurde. Ansonsten mußte ein Zensor ungemein viel darüber wissen, was in der Sowjetunion nicht in der Presse erscheinen durfte. 

Informationen über Karate waren beispielsweise ab 1973 streng verboten, ebenso wie Informationen über das traurige Eheleben des bekannten Stoßarbeiters Aleksej Stachanow. Selbst die Gesamtzahlen über die Absolventen allgemeinbildender Schulen wurden nicht veröffentlicht, konnte doch hieraus der „Klassenfeind“ die künftige Zahl an Wehrpflichtigen hochrechnen. Mitunter glitt die gewohnte sowjetische Geheimniskrämerei in blanken Unsinn ab. 

Im September und Oktober 1982 wurde die führende Parteizeitung Prawda gleich zweimal streng von der Zensur gerüffelt, weil sie zwei Reden von Leonid Breschnew und Erich Honecker abdruckte. Breschnew hatte darin mitgeteilt, daß man in der Aserbaidschanischen Sowjetrepublik jährlich 14 Millionen Tonnen Erdöl förderte, und Honecker hatte die Zahl von 10.300 ostdeutschen Arbeitern genannt, welche die Sowjetunion beim Bau der Erdgasleitung „Drushba“ unterstützten. Diese Zahlen galten als „Staatsgeheimnis“. 

Die zu Sowjetzeiten stets straffe Zensur wurde nach dem Machtantritt von Parteichef Juri Andropow Ende 1982 sogar noch etwas angezogen, um dann im Rahmen des „Glasnost“-Konzepts von Michail Gorbatschow ab 1985 allmählich heruntergefahren zu werden. Als der nunmehrige Präsident Gorbatschow Ende 1990 angesichts der unübersehbaren Erosionsprozesse im Land die Zensurschrauben wieder anspannen wollte, funktionierte das einst so bewährte Mittel der Zensur nicht mehr. Es hatte sich mittlerweile innerlich aufgelöst, weil sich selbst unter den Zensoren mehr und mehr Anhänger von „Glasnost“ und „Perestroika“ fanden. Erst Präsident Wladimir Putin gelang es ab dem Jahr 2000 in mühevoller Tätigkeit, die russische Presse wieder zu domestizieren. Doch selbst heute ist in Rußland der Geist noch nicht ganz in die Flasche zurückgekehrt. Immerhin in einer Hinsicht war die sowjetische Zensur damals sehr fortschrittlich: 69 Prozent ihrer Mitarbeiter waren Frauen.

Pekka Roisko: Gralshüter eines untergehenden Systems. Zensur der Massenmedien in der UdSSR 1981–1991. Böhlau Verlag, Köln 2015, gebunden, 413 Seiten, 49,90 Euro