© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

Malerei ist nicht totzukriegen
Bilderwelten im Zeitalter digitaler Reproduktion: Die Ausstellung „Painting 2.0“ widmet sich den Möglichkeiten der Ausdruckskunst im Informationszeitalter
Felix Dirsch

Noch vor der Mitte des 19. Jahrhunderts kann man einen maßgeblichen Einschnitt für die Malerei konstatieren. Mit dem Aufkommen der Fotografie war diese zu einem Funktionswandel gezwungen. Zu den vielen Folgen für die althergebrachte Gattung, die das damals neue Medium mit sich brachte, zählt auch die Entstehung des Impressionismus einige Jahrzehnte später.

Noch gravierendere Auswirkungen zeitigen seit über einem halben Jahrhundert die nachhaltigen Fortschritte der Informationstechniken, aber auch die Einflüsse anderer Massenmedien wie das Fernsehen. Das Münchner Museum Brandhorst widmet den Reaktionen der Malerei auf diese Entwicklungen eine für seine Verhältnisse umfangreiche Ausstellung. „Painting 2.0“ ist in drei große Abschnitte gegliedert: „Geste und Schauspiel“, „exzentrische Figuration“ und „soziale Netzwerke“. Eine Frage stellte sich den Initiatoren der Ausstellung vornehmlich: Läutet in unserer Epoche eines uferlosen Bildgenerierungspotentials für die Malerei das Totenglöckchen?

Wenn man die Antworten der Künstler, so verschieden sie ausfallen, mit einem Wort beschreiben will, bietet sich „Äußerung“ oder „Ausdruck“ an. Nicht zufällig gehört der Neoexpressionismus, der für seine Kritiker nationalen und patriarchalischen Beigeschmack aufweist, zu den einflußreichsten Strömungen der neueren Kunstentwicklung. Der gestische Ausdruck des kreativen Individuums mutiert zum Widerlager gegen digitale Standardisierung.

Antwort auf die Monotonie elektronischer Standards

Zu den eindrucksvollen Exponaten des Sektors „Geste und Schauspiel“ gehört die um 1990 angefertigte Installation „Heavy Burschi“ von Martin Kippenberger. Dessen Assistent Merlin Carpenter erstellte ein Kaleidoskop der vielfältigen Werke Kippenbergers, vom Selbstporträt bis zu politischen Slogans. Die so entstandenen Bildcollagen fotografierte der Meister und vergrößerte die Aufnahmen auf ihre originalen Maße. Die Bildcollagen demolierte er danach und warf sie in einen Container, in dem sie in einem der erste Räume zu sehen sind. Es bleibt der Eindruck zurück: Malerei ist tot, es lebe die Reproduktion! Diese scheint im Computerzeitalter die Oberhand zu gewinnen. Kippenberger jonglierte virtuos zwischen Original und Kopie.

Die Fülle der Exponate dieses Abschnitts kann im vorliegenden Rahmen nicht einmal angedeutet werden. Jörg Immendorffs politisches Gemälde „Wo stehst du mit deiner Kunst, Kollege?“ ist ebenso zu erwähnen wie Albert Oehlens Hirschkopf mit menschlichem Körper („Auch Einer“), der sich gegen das vermeintliche Spießertum der 1980er Jahre wendet, daneben Keith Harings charakteristische Bilder in der New Yorker U-Bahn und Beuys’ „Dürer, ich führe persönlich Baader + Meinhof durch die Dokumenta V“. Auch Yves Klein mit seiner legendär-expressiven blauen Farbe fehlt nicht.

Die Artefakte zum Thema „exzentrische Figuration“ lehnen sich an eine Ausstellung an, die 1966 in New York unter dem Titel „Eccentric Abstraction“ gezeigt wurde. Es geht um die Frage, wie das Körperliche unter dem Einfluß der neuen Medien präsentiert werden kann, welcher Stellenwert ihm zukommt. Dabei werden besonders zwei Ausprägungen deutlich: Zum einen die Karikatur, die die Transformation in biomorphe Wesen zeigt, welche die medial-technischen Einflüsse absorbieren. Zweitens flüchtige Gesten, die die Stempel der Individualität tragen. Ree Mortons ausladende Darstellung „Zeichen der Liebe“ belegt dies. Die Amerikanerin sendet diese Botschaft in eine durchrationalisierte Welt hinein. Maria Lassnig malt „harte“ und „weiche“ Körper, die analog zur Hard- und Software verstanden werden können.

Soziale Netzwerke sind heute in aller Munde. Lange vor deren technischer Realisierung haben sich Künstler mit vielfältigen Formen neuer Kommunikation befaßt. Eine Richtung stellt sie im Rahmen neuer gemeinschaftlicher Lebensweisen dar, die in Kunstwerken thematisiert werden; die andere hingegen betont den Aspekt der Vervielfältigung, etwa von Bildern, der eng mit den Möglichkeiten der Kommunikation verbunden ist. Letztere Strömung repräsentiert in besonderer Weise Andy Warhol, bei dem die Kapitalismuskritik nicht zu kurz kommt. Gern werden von ihm Geldscheine in ihrem massenhaften Auftreten gezeigt. Feministische Aspekte kommen pointiert zum Vorschein. Zu den Stars dieser Abteilung zählt Rosemarie Trockel.

Immer wieder erkennt man auf den Darstellungen eine Möglichkeit der Antwort auf die Monotonie des elektronischen Standards: die der Unmittelbarkeit. Sie äußert sich in Fotos, Holz, Kleiderstoffen und vielen anderen Materialien. Darüber hinaus finden Matratzen und Geschirr Verwendung. Massenreproduktion bedeutet einen Verlust an Aura. Der Philosoph Walter Benjamin arbeitete diesen Mangel in bleibend gültiger Weise in den 1920er Jahren heraus. Gibt es einen Weg zur wenigstens partiellen Wiederverzauberung? Ja, wenn banale Blogs gemalt werden, die nach diesem Wandel eine persönliche Note im hellen Licht erscheinen lassen.

Negativ hervorzuheben ist die Fixierung der Ausstellungsmacher auf die englische Sprache; selbst die Eröffnungsveranstaltung wurde in Englisch abgehalten. Angesichts des erheblichen Anteils deutscher Künstler an der Darbietung ist die Vernachlässigung der deutschen Sprache auffallend. Von einem Besuch der Schau sollte diese Ignoranz freilich nicht abhalten.

Die Ausstellung ist bis zum 30. April im Münchner Museum Brandhorst, Theresienstraße 35a, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 089 / 2 38 05-22 86

 www.museum-brandhorst.de