© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Was wir brauchen, ist eine tätige Bruderschaft von Pessimisten (ich meine dabei die kurzfristigen Pessimisten). Sie werden nicht auf sofortige radikale Lösungen hinzielen, weil sie wissen, daß diese im Wellentale nicht erreicht werden können; sie werden den Gesellschaftskörper nicht mit dem Chirurgenmesser bearbeiten wollen, weil sie wissen, daß ihre eigenen Instrumente verunreinigt sind. Sie werden mit offenen Augen und ohne sektiererische Scheuklappen nach den ersten Anzeichen der neuen horizontalen Bewegung Ausschau halten: wenn sie dann kommt, werden sie bei ihrer Geburt Hilfe leisten; wenn sie aber nicht zu ihren Lebzeiten kommt, werden sie nicht verzweifeln. (…)  inzwischen wird ihr Hauptziel die Schaffung von Oasen in der Wüste des Zwischenzeitalters sein.“ (Arthur Koestler, 1943)

˜

Man sollte die Vorgänge um den ehemaligen Welt-Journalisten Günther Lachmann, der sich insgeheim der AfD als Medienberater angedient hatte, zurückgewiesen wurde, daraufhin besonders „kritisch“ berichtete und nun nach Aufdeckung der Vorgänge seinen Posten los ist, auch unter dem Aspekt bewerten, daß Journalisten von Berufs wegen Witterung haben müssen, für „das, was geht“.

˜

Die Einwände der Grünen gegen eine Asylobergrenze zeigen, wenn sonst nichts, dann doch deren defizitären Begriff von Ökologie.

˜

Einer neueren Untersuchung zufolge scheitern etwa fünfzig Prozent aller Patchwork-Familien nach relativ kurzer Zeit. Daran ändert auch die Dauerpropaganda für die Bastelsozialform nichts und nichts die Umbenennung von Stiefmutter und Stiefvater in „Bonuseltern“. Aber immerhin kommt mancher Beobachter dahin, daß es doch die verfemte und belächelte und totgesagte „bürgerliche Kleinfamilie“ ist, die den besten Rahmen für das Aufwachsen von Kindern bietet.

˜

„Ein kluger Gedanke, schon bist du ein Verfassungsfeind“ (Aufkleber der Jusos, 1980er Jahre)

˜

In Schweden wurde der Zugriff auf die Netzseite der britischen Zeitung Daily Mail blockiert, nachdem die berichtet hatte, daß der Mörder einer jungen Frau – ein Somali aus einem Aufnahmelager für unbegleitete Minderjährige – keineswegs als Jugendlicher, sondern als Erwachsener zu betrachten sei. Der Vorgang soll einmalig gewesen sein, allerdings berichten andere Quellen, daß auch ein Beitrag, in dem ein schwedischer Polizeibeamter über das explosionsartige Anwachsen der Ausländerkriminalität sprach, gesperrt wurde. Im einen wie im anderen Fall machte die Obrigkeit geltend, daß es darum gehe, das Entstehen von „Vorurteilen“ in der Bevölkerung zu verhindern.

˜

Die Bilder von der Festnahme Christian Piquemals bei einer illegalen Demonstration gegen den „Dschungel“ von Calais haben in Deutschland kein Echo gefunden, aber in Frankreich erhebliches Aufsehen erregt. Denn Piquemal, Jahrgang 1940, ist General der französischen Armee in Ruhe, weiland Kommandeur der Fremdenlegion, hochdekoriert. Immerhin macht der Vorgang deutlich, wie entschlossen der französische Staat gegen Bedrohungen des inneren Friedens vorgehen kann, wenn es wirklich darauf ankommt.

˜

Bei der Debatte um den dramatischen Mitgliederverlust der evangelischen Kirchen wird eine Ursache selten diskutiert: die Qualität des geistlichen Personals. Darunter sind nicht nur die Pastoren zu fassen, sondern alle Berufschristen, von der Gemeindeschwester und dem Diakon über den Superintendenten und die noch höheren Ränge der Hierarchie bis zum Theologieprofessor und zur EKD-Ratsvorsitzenden. Wenn ich meine eigenen Erfahrungen im Umgang mit den Betreffenden über vier Jahrzehnte rückblickend betrachte, fällt die Bilanz deprimierend aus. Das Kriterium durchschnittlicher Anständigkeit zugrunde gelegt, wird das nur von einer Handvoll übererfüllt, von der Masse gerade so erreicht und von einer erschütternd großen Zahl in jeder Hinsicht unterboten.

˜

Bildungsbericht in loser Folge LXXXV: „Johannes der Täufer? – Der war voll intolerant und hat die Pharisäer und Sadduzäer gedisst.“ (NN, 11 Jahre, Religion „sehr gut“).

˜

„Gilt Freizügigkeit ohne Einschränkungen auch für Zugewanderte und Flüchtlinge? Dann wäre es theoretisch denkbar, daß sich plötzlich alle Ausländer in einem bestimmten EU-Land niederlassen. Schon jetzt gibt es das Thema ‘La-

stenteilung’ (burden sharing), das vor allem Deutschland in der EU immer wieder zur Sprache bringt (…) Wer hat schon zu der Zeit, da Freizügigkeit innerhalb der EU beschlossen wurde, daran gedacht, daß man dann auch gleich eine Regelung für die Binnenwanderungen der in Europa lebenden Ausländer treffen müßte.“ (Klaus Natorp: Auf Einwanderungen schlecht vorbereitet, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. April 1998)


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 4. März in der JF-Ausgabe 10/16.