© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

Frankreich und Italien kassieren extra ab
Exklusiv: Wie eine Informationsauskunftsklage ergab, dürfen einige Euroländer mehr Geld drucken als andere
Dirk Meyer

Wollten wir nicht schon alle mal am Farbkopierer ein paar Euro-Scheine drucken – nur für den persönlichen Gebrauch? Wahrscheinlich hielt uns die Strafandrohung davon ab: „Wer Banknoten nachmacht“, so stand es kleingedruckt auf jedem D-Markschein, „wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft“.

Und heute? Die Europäische Zentralbank (EZB) hält diesen Hinweis jedenfalls für nicht mehr notwendig. Doch weiter gilt der Grundsatz, daß Geld als solches nur dann Kaufkraft besitzt und als harte Währung allgemein anerkannt wird, wenn es entsprechend knapp gehalten wird. Hinzu kommt der Gedanke an die Gerechtigkeit: Nur wer die Möglichkeit zum unauffälligen Geldfälschen hat, kann sich auf Kosten der anderen Geldhalter bereichern. Den wenigsten dürfte jedoch klar sein, daß es im 19 Mitglieder starken Eurosystem zu einem Gelddrucken der nationalen Zentralbanken kommt. Im einzelnen:

Für die Europäische Währungsunion (EWU) besteht nach dem EU-Vertrag eine zentrale Zuständigkeit für die Geldpolitik. Sie wird durch den Rat der Europäischen Zentralbank ausgeübt. Dies unterscheidet die EWU von historischen Währungsunionen wie der Lateinischen Münzunion (1865), der Skandinavischen Münzunion (1872) und der Kronenzone (1918). Dort verblieb die Ausgabe der Banknoten autonom bei den Zentralbanken der Mitgliedstaaten. Entsprechend intensiv wurde diese Möglichkeit des Gelddruckens genutzt. Dieser institutionelle Mangel war die wesentliche Ursache für inflationäre Geldschöpfungen der nationalen Notenbanken zu Lasten der anderen Mitgliedstaaten. Letztendlich führte dies zum Zerfall dieser Währungsunionen.

Im Dezember letzten Jahres bekam die Fachöffentlichkeit Kenntnis von der Existenz des Anfa-Geheimabkommens (Agreement on Net Financial Assets), das die EZB erst kürzlich auf Druck veröffentlichte. Es beinhaltet Regeln und Obergrenzen von Wertpapieren, die die nationalen Notenbanken eigenständig, das heißt auf eigene Rechnung und Risiko erwerben können. Dazu ist wichtig zu wissen, daß im Gegenzug Banknoten ausgegeben werden oder ein Guthaben bei der jeweiligen nationalen Zentralbank entsteht – also die nationale Notenpresse bedient wird. De facto ist es eine Lizenz zum Gelddrucken. 

Etwa jeder zweite vom Eurosystem herausgegebene Euro beruht auf dieser Notenpresse. In absoluten Zahlen ist der Umfang dieser nationalisierten Geldschöpfung im Vergleich vor der Banken- und Staatsschuldenkrise von 222 Milliarden Euro (2005) auf 697 Milliarden Euro (2011) gestiegen und hat aktuell ein Volumen von 490 Milliarden Euro. Die EZB sichert sich durch eine jährliche Vorgabe der Obergrenzen für dieses Geld die Kontrolle über die Bilanzsumme des Eurosystems und nach eigenem Bekunden damit über ihre Geldpolitik.

Zusätzliche Einnahmequelle

Dies wäre insoweit relativ unbedenklich, wenn alle nationalen Notenbanken gleichmäßig entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil bzw. Bruttoinlandsprodukt am Gelddrucken beteiligt wären. Dem ist jedoch nicht so. Während die Bundesbank ihre Bilanz lediglich um 1,6 Prozent (2014) durch eigene Geldschöpfung verlängert, liegen die Anteile bei den Zentralbanken in Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und Portugal zwischen 15 und 25 Prozent. Einer der Vorteile: Die Zinsen der mit dem nationalen Zusatzgeld erworbenen Anleihen stellen eine zusätzliche Einnahmequelle dar, die mit den anderen Eurostaaten nicht geteilt werden muß.

Das entscheidende Problem entsteht durch die Art der angekauften Wertpapiere. Im Zeitraum 2010 bis 2012 lagen die Anteile von Staatsschuldpapieren in den entsprechenden Bilanzpositionen der Notenbanken in Italien, Griechenland, Portugal, Spanien, den Niederlanden sowie Belgien zwischen 70 und 97 Prozent. Hier auf die Idee einer versteckten monetären Staatsfinanzierung zu kommen, wäre kein ganz absurder Gedanke. Hinzu kommen weitere Fehlanreize: Die Zinsen risikoreicher Staatspapiere fließen über die nationale Notenbank zum Jahresende durch ihre Gewinnabführung an den Staat zurück – faktisch eine Nullzins-Staatsfinanzierung von Krisenländern. Die damit verbundenen Gefahren werden anhand der Griechenlandkrise zur Zeit der Aushandlung des dritten Hilfspaketes 2014/15 deutlich.

Bis zu 90 Milliarden Euro hatte die griechische Zentralbank als Notkredite an die offiziell zahlungsunfähigen, faktisch aber überschuldeten griechischen Geschäftsbanken ausgeliehen. Einerseits dienten die Kredite indirekt der monetären Zwischenfinanzierung des griechischen Staates bis zur Freigabe der Kredite des Rettungsfonds. Andererseits finanzierten sie die Kapitalflucht der Griechen, die ihre Euro-Guthaben vor dem drohenden Euroaustritt in Sicherheit bringen wollten. Bei einer Staatspleite und einem Euroaustritt Griechenlands hätten die anderen 18 Notenbanken die Verluste tragen müssen. Gewinne werden nationalisiert, Pleiteverluste europäisiert. Aus nationalem Interesse wird die Geldpolitik zunehmend mit der Fiskalpolitik verschmolzen. Die EZB macht sich zum Handlanger der EU-Kommission und des EU-Rates der Regierungschefs, denen die Anwendung bestehender Verschuldens- und Haushaltsüberwachungsregeln nicht gelingt. Das nationale Zusatzgeld verlängert die unterschwellig fortbestehende Banken- und Staatsschuldenkrise. Es mindert die Anreize für Anpassungen.

Fazit: Das nationale Zusatzgeld ist ein Sprengsatz der Währungsunion. Die Geldannahmegemeinschaft muß wieder zu einer vollständigen Geldausgabegemeinschaft werden, indem die Geldemission ausschließlich zentral durch das Eurosystem und den EZB-Rat durchgeführt und kontrolliert wird. Dies betrifft sowohl institutionelle Konstruktionsfehler als auch Managementfehler „im Krisenmodus“, die auf eine fiskalisch motivierte, die Unabhängigkeit der EZB gefährdende Geldpolitik hinauslaufen.





Anfa-Geheimabkommen

Das Agreement on Net Financial Assets (Anfa) ist eine bis vor kurzem geheime Vereinbarung zwischen der EZB und den damals 18 nationalen Zentralbanken des Eurosystems vom 19. November 2014. Es erlaubt, Anleihen des eigenen Staates aufzukaufen. „Daß europäische Notenbanken Finanzanlagen halten, die nicht mit der Geldpolitik in Zusammenhang stehen, ist ein wesentlicher Bestandteil ihrer Funktion“, argumentiert die EZB. Erst auf Druck von Medien und Wissenschaft, unter anderem mit Verweis auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), wurde das Anfa-Geheimprotokoll der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dirk Meyer, Professor für Ordnungsökonomik an der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität, wandte sich am 2. Januar mit Hinweis auf das IFG an die Bundesbank mit der Bitte um Einsichtnahme. Nachdem die per Gesetz vorgegebene Antwortfrist abgelaufen war, erlaubte der EZB-Rat am 3. Februar einstimmig die Veröffentlichung des Textes.

Englischer Text des Anfa-Abkommens: www.ecb.europa.eu