© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/16 / 19. Februar 2016

Meister des Theaterdonners
CSU: Horst Seehofers Äußerungen zur „Herrschaft des Unrechts“ waren der gescheiterte Versuch, eine Drohkulisse aufzubauen
Paul Rosen

Wenn der Vorsitzende einer Koalitionspartei der Regierung bescheinigt, sich nicht mehr an das Recht zu halten, sondern eine „Herrschaft des Unrechts“ zu installieren, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder der Urheber der Äußerung zieht sich und seine Partei aus der Regierung des Unrechts zurück. Oder der amtierende Regierungschef wirft den bisherigen Partner wegen übler Nachrede raus. Passiert nichts, dürfte der Urheber der Äußerungen wahrscheinlich ein politischer Altenteiler in spe sein, der auf dem Weg in sein Austragshäusl noch einmal laut gegrummelt hat.

EU-Gipfel fest im Blick

„Hotte“ hatten sie Horst Seehofer in der CSU früher mit spöttischem Unterton genannt. In dem Wort schwingt Bewegung mit, auch Eigendrehung. In der Tat zeichnet sich das Verhalten des CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten sein Politikerleben lang durch Rastlosigkeit aus – vom Privaten bis ins Politische. Menschen mit Hang zur feinen Ironie pflegen Seehofer wegen dessen hoher Umdrehungsgeschwindigkeit Unabhängigkeit von den eigenen Positionen zu attestieren. Bayern mit Hang zur deutlichen Aussprache sprechen lieber vom „Hallodri aus Ingolstadt“. 

Und nun kommt Seehofer mit der „Herrschaft des Unrechts“. Wird aus dem Pirouettendreher etwa ein abendländischer Kreuzritter, der mit dem Schlachtruf „Deus vult“ (Gott will es so) gen Berlin zieht? In einem Interview mit der Passauer Neuen Presse hatte er sich in deren Aschermittwochsausgabe zunächst selbst für einen Platz in der Walhalla empfohlen, der in Donaustauf bei Regensburg gelegenen Ruhmesstätte für große Gestalten der Geschichte: „Wissen Sie, seit jeher formuliere ich meine Politik nicht danach, wie jemand auf mich zu sprechen ist, sondern nach dem, was notwendig ist zur Erreichung eines Ziels, das unserem Land dient.“ Gemeint war das zentrale Thema, die Begrenzung der Masseneinwanderung. Um dann listig wie Odin und zugleich donnernd wie Thor mit Blick auf die ungeliebte Kanzlerin Angela Merkel in Berlin zwei Sätze wie Speere hinterherzuwerfen: „Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts.“ 

So wie die Berliner Koalitionspartner der CSU und deren Chefkritik begegneten, war schnell klar, daß sie die Sache auf Ebene der Landvögte und nicht der Fürsten und Herzöge ansiedelten und erledigen lassen wollten. Schließlich kamen aus der CSU selbst Signale, im Ritter Seehofer lieber einen späten Nachfahren des Spaniers Don Quichote zu sehen: „Nicht besonders glücklich“ seien seine Äußerungen, befand die CSU-Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt. 

Um Ereignis und Reaktion zu verstehen, ist Kenntnis der Hintergründe nicht unwichtig. Traditionell gibt der CSU-Vorsitzende am Aschermittwoch ein Interview. Traditionell gibt er es der Passauer Neuen Presse, weil schon Franz Josef Strauß dort in der Nibelungenhalle mit dem „Politischen Aschermittwoch“ eine gewaltige Bier-Gaudi abzuhalten pflegte – mit der in Bayern üblichen verbalen Kraftmeierei. 

Die Nibelungenhalle steht nicht mehr. Die CSU-Vorsitzenden nach Strauß mußten in der Dreiländerhalle am Passauer Stadtrand vor die Massen treten. Und da bekam die CSU in den vergangenen Jahren zunehmend Probleme. Die „reine Lehre“ wollten selbst am Aschermittwoch, wo es an der Zeit ist, die Seele zu reinigen und noch einmal Kraft für die lange Fastenzeit zu tanken, nicht mehr viele hören. Der nicht CSU-unfreundliche Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter bescheinigte Seehofer im vergangenen Jahr, eine „stinklangweilige“ Rede in Passau gehalten zu haben. Sogar Seehofers Vorvorgänger Edmund Stoiber mußte für Passau reaktiviert werden, um die Zuhörer in Stimmung zu bringen, was dann auch gelang. Seitdem wird Seehofer seinen Vorvorgänger nicht mehr los. Wie im Märchen der Greis in der Höhle der Zeit sich an den jungen Prinzen Eisenherz klammert, zieht Stoiber an Seehofers Fäden, bringt ihn sogar zu einer Reise zu Wladimir Putin nach Moskau.  

Europa ist tief zerrissen. Die Bemühungen der Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn zeigen, daß im kollektiven Gedächtnis ihrer Völker die Schlachten der Europäer gegen die Türken 1529 und 1683 um Wien noch nicht vergessen zu sein scheinen. Sie wollen dem kleinen Mazedonien, dessen Staatssouveränität von Hunderttausenden Durchreisenden möglicherweise zertrampelt werden könnte, bei der Sicherung der Grenze zu Griechenland helfen. Statt mitzuhelfen, verurteilt Merkel diese Form der Solidarität mit dem schwachen Mazedonien als „nicht europäisch“. Nur Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn steht der isolierten deutschen Kanzlerin bei und wirft den Visegrád-Staaten in einer Art Kriegsrhetorik vor, einen „Verein der Abtrünnigen“ zu bilden. Und wie es um Europa steht, macht die Äußerung des französischen Premiers Manuel Valls deutlich, sein Land werde auf keinen Fall mehr als 30.000 Migranten aufnehmen. Frankreich stellt sich damit klar gegen Merkel und ihre Kontingent-Lösung des Flüchtlingsproblems. Denn so viele Flüchtlinge kommen jede Woche unregistriert zu „Mama Merkel“. Hier ist ein tiefer Riß im deutsch-französischen Verhältnis zu sehen, der für den EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag im besten Fall faule Formelkompromisse erwarten läßt. 

Seehofer wollte für Passau eine theaterreife innenpolitische Drohkulisse aufbauen und Theaterdonner erzeugen. Nachdem der Politische Aschermittwoch wegen des Zugunglücks von Bad Aibling abgesagt wurde, blieb die „Herrschaft des Unrechts“ im Raum stehen. Keine Blaskapelle war da, um den Begriff wegzutrompeten, keine Maß Bier auf dem Tisch, um ihn runterzuspülen. Seehofer drehte sich folglich erneut und sagte im Spiegel: „Wir stehen zur Kanzlerin.“ Vor dem EU-Gipfel wolle er nichts mehr unternehmen: „Warten wir`s ab.“  Seehofers Verhalten hat durchaus etwas Positives: Der Hallodri bleibt sich wenigstens treu.