© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut
Ein internationales Architektenteam hegt den Traum der Rekonstruktion des Koloß von Rhodos / Sponsoren gesucht
Claus-M. Wolfschlag

Sieben antike Weltwunder wurden überliefert. Nur eines von diesen existiert heute noch – die Pyramiden von Gizeh. „Aus eins mach zwei“, erklärte nun ein junges internationales Architektenteam und beschloß, ein weiteres Weltwunder zu rekonstruieren. Der Koloß von Rhodos soll demnächst wieder die über dem griechischen Mittelmeer aufgehende Sonne grüßen.

Die antike Bronzestatue des Sonnengottes Helios wurde nach zwölfjähriger Bauzeit um das Jahr 292 vor Christus errichtet. Lange hielt das knapp 35 Meter große Bauwerk nicht, denn schon 66 Jahre später, etwa 226 v. Chr., stürzte es durch ein Erdbeben ein. 

Zwar gab es Unterstützung für einen Wiederaufbau aus ganz Griechenland, doch die Rhodier sahen aus Furcht vor einem erneuten Sturz davon ab. Dafür sollen noch 890 Jahre lang die übriggebliebenen Trümmer öffentlich zu besichtigen gewesen sein. 

Als die Araber im 7. Jahrhundert die Insel Rhodos besetzten, sollen die Metallteile von ihnen angeblich abtransportiert und an einen jüdischen Händler verkauft worden sein.

Drei Arten der Rekonstruktion verschwundener historischer Gebäude sind zu unterscheiden. Die klassische Rekonstruktion stellt Bau- und Kunstwerke her, die noch im historischen Gedächtnis der Lebenden existieren, sei es durch reales Erleben, Fotografien, Grafiken oder Erzählungen. 

Die kritische Rekonstruktion orientiert sich nur an überlieferten Strukturen, stellt jedoch nicht die historische Gestalt optisch wieder her. So entstehen beispielsweise verschwundene alte Gassenverläufe stadtplanerisch neu, werden aber mit modernen Neubauten gefüllt. Die archäologische Rekonstruktion hingegen erbaut seit vielen Jahrhunderten verlorene Gebäude neu, von denen keine Überlieferung mehr im historischen Gedächtnis der Bürger existiert. Antike Römervillen, wie im saarländischen Perl-Borg, oder das bekannte Sonnenobservatorium Goseck gehören in diese Kategorie. 

In Frankreich läuft nach den Prinzipien der experimentellen Archäologie noch bis 2023 das ambitionierte Projekt Guédelon. In einem stillgelegten Steinbruch bei Auxerre wird eine Ritterburg frei rekonstruiert, wobei nur historische Baumaterialien und Arbeitsweisen zum Einsatz kommen.

Das Projekt „Koloß von Rhodos“ hat etwas von allen drei Rekonstruktionsformen. Das seit Jahrtausenden verschwundene Weltwunder existiert immer noch im historischen Bewußtsein. Doch die Quellenlage ist schlecht. Der exakte historische Standort ist umstritten. Originalfragmente sind nicht verfügbar. 

Großsponsoren konnten noch nicht gefunden werden 

Die Vorstellung von der Gestalt der Statue ist von antiken Münzbildern und späteren Erzählungen der Renaissancezeit geprägt. Daß der Koloß mit gespreizten Beinen das Tor zum Hafen bildete, wird heute als technisch nicht möglich erachtet. Dennoch ist das Bild populär und liegt auch dem jetzigen Rekonstruktionsprojekt zugrunde.

Das „Colossus of Rhodes Project“ möchte eine freie Neuinterpretation des historischen Vorbilds errichten. Mit 150 Metern soll die Riesenstatue mehr als viermal so hoch wie das Original werden. In der Feuerschale, die der Koloß über den Kopf hält, soll ein Touristen-Café entstehen. Zudem sind eine Bibliothek, Ausstellungsräume und ein mit Solarzellen betriebener Leuchtturm geplant. 240 Millionen Euro soll der Museumskomplex kosten, für den indes bislang kein Sponsor gefunden wurde. So hofft das Team mittels Crowdfunding, die stolze Summe sammeln zu können. Angesprochen sind Privatpersonen, Banken und staatliche Institutionen. Die Namen der Spender sollen in die Spalten des Gebäudes geschnitzt werden.

Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden. Auch ein Blick auf Antoni Gaudís Kathedralenprojekt Sagrada Família in Barcelona offenbart den nötigen langen Atem baulicher Höchstleistungen. 1882 wurde der Bau begonnen und soll nach derzeitiger Planung 2026 fertiggestellt sein. Ob wir auf den Koloß von Rhodos so lange werden warten müssen und ob er überhaupt je kommt, ist momentan nicht vorhersagbar. Ein Wahrzeichen für den gesamten Mittelmeerraum, das es locker mit der amerikanischen Freiheitsstatue aufnehmen könnte, wäre die Figur aber allemal.