© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

Loyal im Schatten
Der Sohn und Privatsekretär des Reichskanzlers: Winfried Baumgart hat die Memoiren Herbert von Bismarcks herausgegeben
Jürgen W. Schmidt

Otto von Bismarcks ältester Sohn Herbert kam am 28. Dezember 1849 in Berlin zur Welt. Gleich dem Vater legte er in Berlin das Abitur ab und begann danach ein Jurastudium. Bei Kriegsausbruch 1870 meldete sich Herbert als Kriegsfreiwilliger und machte den ganzen Krieg als Leutnant in einem Berliner Garde-Dragoner-Regiment mit. Nach Kriegsende nervte ihn allerdings die öde „Gamaschenknopferei“ im Friedensdienst und freudig begrüßte er deswegen seine Abkommandierung ins Auswärtige Amt, welche der allmächtige Vater für ihn zustande brachte. 

Etwas für die berufliche Entwicklung von Verwandten zu tun, das galt damals in Preußen als völlig normal und hatte nicht den Ruch von „Vetternwirtschaft“. Ab 1874 diente Herbert seinem Vater als Privatsekretär, „persönlicher Referent“ würde man es wohl heute nennen. Der Vater führte auf diesem Wege seinen intellektuell gut veranlagten, fleißigen Sohn schnell und direkt in die „Arkana“ der Politik ein. Gleichzeitig konnte er sich auf die Loyalität und Verschwiegenheit in allen heiklen Dingen vollauf verlassen, wie sich auch der Sohn trotz seines stolzen, heftigen Charakters stets und ständig dem Willen des Vaters beugte. 

Herausgeber Winfried Baumgart spricht gar von einer „vollständigen Symbiose“ zwischen Vater und Sohn. Selbst als Herbert einmal im Leben aufbegehrte – es ging um seine beabsichtigte Heirat mit der geschiedenen Fürstin Elisabeth Carolath –, gelang es dem Vater mit ganz grobem Geschütz (Androhung des Selbstmords), die Eheschließung zu hintertreiben. Dem Vater war es ein inneres Bedürfnis, den als Diplomaten gut veranlagten Herbert zu seinem Nachfolger im Auswärtigen Amt aufzubauen. Immer dann, wenn in Berlin gerade keine Haupt- und Staatsaktionen anstanden, wurde Herbert deswegen an die Brennpunkte damaliger Politik (Wien, London, Paris, Petersburg) abgeordnet, wo man den jungen Bismarck gemäß seinen Memoiren immer besonders aufmerksam empfing und wo Herbert von Bismarck manche Spezialaufträge seines Vaters auszuführen hatte und wertvolle persönliche Kontakte knüpfte. 

Daß Herbert das volle politische Vertrauen seines Vaters genoß, war in Europa allgemein bekannt und seine, gleich dem Vater exzellenten, Sprachkenntnisse erwiesen sich für ihn als sehr hilfreich. Als Vater Bismarck später vom jungen Kaiser Wilhelm II. zum Rücktritt genötigt wurde, war für Sohn Herbert seine bis dahin erfolgreiche dienstliche Karriere jäh beendet. Er verzichtete auf das ihm vom Kaiser angebotene Amt des Außenministers und trat aus Solidarität zum Vater gleichfalls in den Ruhestand über. Es ist verständlich, daß Kaiser Wilhelm II. in den mit Anekdoten gefüllten Erinnerungen ganz schlecht wegkommt. 

Polemik und Anfeindungen gegen Gegner des Vaters

So taucht der zu einsamen, unmotivierten Entscheidungen neigende Wilhelm II. als „Wilhelm der Plötzliche“ auf und süffisant wird von Herbert von Bismarck die Meinung empörter deutscher Generäle über Wilhelm II. zitiert: „Es endet wie mit Ludwig II.“ Jener Bayernkönig war bekanntlich im Wahnsinn gestorben. Auch über manchen Diplomatenkollegen, wie etwa den deutschen Botschafter Graf Münster, äußert sich Herbert stets nur spöttisch, und selbst die verwickelten Frauengeschichten des späteren Reichskanzlers Bülow finden Erwähnung. Wenn es in den Memoiren hingegen um Geheimpolizeisachen geht, etwa um die engen Beziehungen des Berliner Polizeipräsidenten von Madai zu gewissen jüdischen Großbankiers in Berlin, so haben neue Forschungen erwiesen, daß Bismarck junior damit keineswegs unrecht hatte. Es ist dem Herausgeber sehr zu danken, daß er im Archiv der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh nicht nur die hinterlassenen Erinnerungen von Otto von Bismarcks Sohn Herbert aus dessen Nachlaß ausgrub, sondern auch fünf von dessen Aufzeichnungen, den Sturz des Vaters betreffend, und diese gleichfalls im Buch publizierte. 

Wie die Memoiren waren jene Aufzeichnungen nicht zur späteren Publikation bestimmt, sondern sollten wohl Lothar Bucher bei der Endredaktion der „Gedanken und Erinnerungen“ Otto von Bismarcks helfen. Die Aufzeichnungen zeigen deutlich, in welcher gedanklichen Wagenburg sich zu Ende der Amtszeit Otto von Bismarck befand und daß der Sohn dabei alle Vorurteile des Vaters teilte. Als einer der Hauptschuldigen am Sturz des Vaters wird von ihm dessen amtlicher Stellvertreter Heinrich von Boetticher verortet und ihm folglich eine ganze Reihe vorgeblicher Intrigen zugeschrieben. 

Unter dem unverdienten Haß der Familie Bismarck hat Heinrich von Boetticher bis zu seinem Tod 1907 schwer gelitten und deswegen insgeheim eine Rechtfertigungsschrift verfaßt, welche nach dem Sturz der Monarchie 1922 erschienen ist. Ohne die ihm in den Erinnerungen Herbert von Bismarcks gemachten Vorwürfe in den Details zu kennen, hat sie von Boetticher in seiner Rechtfertigung überzeugend widerlegt. Wenngleich man in den Erinnerungen Herbert von Bismarcks meist vergeblich nach bislang unbekannten Fakten oder brisanten politischen Enthüllungen sucht, so geben sie doch ein sehr anschauliches Bild diplomatischer Tätigkeit aus der Sicht eines dem großen Reichskanzler nahestehenden Mitarbeiters. 

Winfried Baumgart (Hrsg.): Herbert Graf von Bismarck. Erinnerungen und Aufzeichnungen 1871–1895. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2015, gebunden, 226 Seiten 34,90 Euro