© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

Am Abend wird geschlemmt
Nestlé-Studie: Die Digitalisierung verändert unser Eß- und Einkaufsverhalten / Für gute Qualität zahlen Deutsche mehr
Christian Schreiber

Flexible Arbeitszeiten, unterschiedliche Tagesabläufe und verschiedene Lebensmodelle haben die Eßgewohnheiten der Deutschen verändert. Dies geht aus einer Studie hervor, die vom Lebensmittelkonzern Nestlé in Auftrag gegeben wurde. Der Genußfaktor beim Essen sei wichtiger geworden, und Ernährung zunehmend Ausdruck  des persönlichen Lebensstils. „Das gute Gewissen kauft mit“, sagte die Leiterin der Nestlé-Marktforschung, Katja Popanda, bei der Vorstellung der repräsentativen Umfrage mit dem Titel „So is(s)t Deutschland 2016“. Für 95 Prozent der Befragten ist demnach gutes Essen und Trinken ein wichtiger Faktor der Lebensqualität. Fast zwei Drittel belohnen sich mit einer guten Mahlzeit, bei der letzten Befragung  im Jahr 2011 waren es lediglich 42 Prozent.

Die Anzahl der gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten zu Hause ist einem gesamtgesellschaftlichen Trend zufolge rückläufig. Die sozialen Funktionen des Essens blieben hiervon jedoch unberührt: „Nach wie vor befriedigen die Menschen bei einer gemeinsamen Mahlzeit ihr grundlegendes Bedürfnis nach Zusammenhalt, Nähe und Austausch“, heißt es in der Studie.

Ein Drittel bestellt Lebensmittel per Mausklick

Ein Grund für die veränderten Eßgewohnheiten ist die Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche. Ob in Blogs, auf Facebook, Twitter oder Instagram: Mehr als 17 Prozent der Verbraucher teilen Fotos ihrer Mahlzeiten regelmäßig über das Internet. „ Insgesamt nutzt fast jeder zweite Deutsche diese Möglichkeit gelegentlich. 29 Prozent haben schon einmal ein „Food-Video“ ins Internet gestellt, und jeder siebte veröffentlicht mehrmals im Monat Zubereitungshinweise oder ganze Rezepte“, heißt es in der Studie. Langsam in Fahrt komme auch der Online-Handel mit Lebensmitteln. Dieser bringe den Menschen auf Wunsch bequem Lebensmittel via Mausklick ins Haus: „Nach Zahlen bestellt heute ein Drittel der Verbraucher mehr oder weniger regelmäßig Lebensmittel oder Tiernahrung über das Internet.“ 

Auch hierbei könne sich der Konsument informieren oder anderen seine Erfahrungen weitergeben, beispielsweise durch Bewertungen und Kommentare. Zudem sei ein regelmäßiger Austausch von Rezepten entstanden. „Wir rechnen damit, daß der Online-Einkauf von Lebensmitteln schon bald ganz selbstverständlich zu den alltäglichen Einkaufskanälen gehören wird“, erklärt Béatrice Guillaume-Grabisch, Vorstandsvorsitzende der Nestlé Deutschland AG. Danach befragt, welche Merkmale für sie kennzeichnend für eine hohe Lebensmittelqualität sind, nennen Verbraucher am häufigsten den guten Geschmack (70 Prozent), eine hohe Lebensmittelsicherheit (63 Prozent) und einen natürlichen Geschmack, der möglichst ohne Geschmacksverstärker und ohne künstliche Aromen auskommt (55 Prozent). 

Doch dann folgen, für jeweils 53 Prozent der Befragten, bereits ethische Kriterien wie eine artgerechte Tierhaltung und eine gentechnikfreie Herstellung. Experten sehen hier einen ähnlichen Trend wie in den Vereinigten Staaten, wo Fast-Food-Ketten und Hersteller klassischer Fertiggerichte zum Teil dramatische Einbrüche zu verzeichnen haben. Zudem sei bei den Konsumenten immer noch eine starke Markenfixierung zu erkennen. So lasse sich erklären, warum in der Vergangenheit Discounter wie Aldi oder Lidl zunehmend Markenprodukte ins Sortiment aufgenommen haben. „Die meisten Deutschen verlassen sich auf die Qualitätsversprechen etablierter Marken. 71 Prozent gehen davon aus, daß die Lebensmittel bekannter Marken eine hohe Qualität haben, während 67 Prozent dies auch Handelsmarken zusprechen“, heißt es. 

Durch die Studie wird zudem ein weiterer Trend belegt: Immer mehr Deutsche seien bereit, für gute Qualität und Produktion mehr zu zahlen. 46 Prozent der Menschen in Deutschland (gegenüber 34 Prozent 2011) betonten 2015, einen höheren Preis für eine artgerechte Tierhaltung zahlen zu wollen. Ihre Ausgabebereitschaft für gentechnikfreie Lebensmittel stieg von 28 auf 38 Prozent. Deutlich mehr ausgeben würden 32 Prozent der Verbraucher heute auch für regionale Lebensmittel, 29 Prozent für Lebensmittel ohne künstliche Zusatzstoffe und 26 Prozent für Bio-Lebensmittel. Besonders beeindruckt die Entwicklung bei Lebensmitteln aus fairem Handel: Nachdem 2011 nur 16 Prozent dieser soziale Aspekt mehr Geld wert war, gilt das heute für mehr als doppelt so viele (35 Prozent). 

Warmes Abendessen ist inzwischen die Hauptmahlzeit 

Offen sei noch, ob sich die Frage nach mehr Qualität mit dem Wunsch, Nahrungsmittel per Mausklick zu bestellen, verbinden lasse. „Bei frischen Lebensmitteln wollen die Leute selber sehen und entscheiden“, sagte Hanni Rützler vom Zukunftsinstitut in Wien gegenüber der Deutschen Presseagentur. Ob sich dafür der Kauf im Internet rechne, hänge von der Qualität und der Organisation ab.

Gute Nachrichten hat die Studie für die Gastronomen. „Der Außer-Haus-Markt ist in Deutschland eine wichtige Größe und wird zukünftig vermutlich einen noch höheren Stellenwert erlangen.“ Die Ausgaben der Menschen in Deutschland für Besuche in der Gastronomie und Kantinen sowie für Essen und Trinken „auf die Hand“ stiegen zwischen 2010 und 2014 um mehr als zehn Prozent von 64,3 Milliarden auf 71,1 Milliarden Euro. Hauptmahlzeit der Deutschen ist übrigens das Abendessen geworden. Dies werde immer häufiger warm und in Gesellschaft eingenommen. „Es ist das Resultat einer sich verändernden Gesellschaft“, sagte Katja Popanda.