© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

Dem Ölpreisverfall trotzen
Zentralasien: Trotz steigender Spannungen in der Region sucht vor allem Kasachstan nach Alternativen
Michael Paulwitz

Ölpreisverfall und Rußland-Sanktionen haben nicht nur das Kreml-Reich in die Bredouille gebracht. Auch in Zentralasien und am Kaspischen Meer leiden die Staatsfinanzen der Ölexporteure. Aserbaidschan sucht nach einem Rekordabsturz der Landeswährung Manat Unterstützung vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Die ärmeren zentralasiatischen Staaten Turkmenistan und Usbekistan müssen ihre Budgets kürzen. Der frühere kasachische Diplomat Bulat Sultanow, der die Forschung zur internationalen Zusammenarbeit an der Deutsch-Kasachischen Universität Almaty leitet, sieht steigende sozioökonomische Spannungen in der Region.

Hilfe vom IWF braucht Kasachstan nicht. Die größte und wirtschaftsstärkste Republik Zentralasiens hat ihren laufenden Haushalt, vorsichtiger als Rußland und Aserbaidschan, mit einem Ölpreis von 40 Dollar je Faß geplant und bereitet sich sogar auf 16 Dollar vor, die Hälfte des derzeitigen Wertes der Referenzsorte Brent. Die Staatsschuld ist niedrig, die Rücklagen in den Staatsfonds zwar gesunken, aber noch gut gefüllt. 

Diversifizierung der Wirtschaft als Allheilmittel

Um die Auswirkungen der Krisen in China und Rußland und auf den Ölmärkten aufzufangen, reichen die Reserven indes nicht. Seit die kasachische Zentralbank im August 2015 den Kurs der Landeswährung Tenge freigeben mußte, hat sich deren Außenwert gegenüber dem Dollar halbiert; soziale Kompensationen sollen die Folgen des Kaufkraftverlustes der Löhne und Renten zumindest für die am stärksten Betroffenen mildern.

Der Ölpreisverfall erhöht den Druck auf die Ölexporteure im postsowjetischen Raum, ihre Wirtschaft zu diversifizieren. Kasachstan als am weitesten entwickelte Republik Zentralasiens mit dem zweithöchsten Wirtschaftswachstum der postsozialistischen Staaten, deren Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt das Niveau Polens erreicht hat und die über eine gut ausgebildete junge Bevölkerung verfügt, fällt das leichter als seinen Nachbarn.

Der an den Universitäten Hamburg und Almaty lehrende deutsche Regierungsberater Sebastian Schiek hebt die Erfolge des Landes beim Aufbau einer modernen Verwaltung und investitionsfreundlicher Strukturen hervor. Das Land werde „autoritär, aber nicht repressiv“ regiert wie die angrenzenden, weit weniger gefestigten zentralasiatischen Republiken; die Demokratisierung werde der wirtschaftlichen Entwicklung folgen.

Mit einem ehrgeizigen Investitionsprogramm zur Stärkung der mittelständischen Wirtschaft will Kasachstan bis zur Jahrhundertmitte zu den zwanzig entwickeltsten Ländern der Welt aufschließen. Der Anteil des Ölsektors an der Gesamtwirtschaftsleistung ist deutlich niedriger als in Aserbaidschan, beträgt gleichwohl aber noch rund ein Viertel. Um notwendige Einschnitte und Anti-Krisen-Gesetze besser durchsetzen zu können, wurden im Januar das Parlament aufgelöst und die Neuwahlen um ein halbes Jahr auf den 20. März vorgezogen, auf den Termin der Lokalwahlen – vordergründig auch aus „Kostengründen“.

Für seine weitere Modernisierung braucht Kasachstan gerade in Krisenzeiten ausländische Investitionen und setzt dabei auf die EU und insbesondere Deutschland. Kritik an der Sanktionspolitik, die „allen schadet“, äußern kasachische Diplomaten allgemein, meinen aber vor allem Berlin. Die Zusammenarbeit mit Deutschland habe Priorität, betont Außenminister Erlen Idrissow. Deutschland brauche Rohstoffe, Kasachstan Hochtechnologie; nachdrücklich mahnt Idrissow an, die 2012 geschlossene Rohstoffpartnerschaft mit mehr Leben zu erfüllen und mehr zu investieren. Als weitere Vorleistung wurde die Visapflicht für deutsche Staatsbürger vergangenes Jahr abgeschafft.

Für die Europäische Union ist Kasachstan als Erdöl- und Rohstofflieferant und perspektivreicher Absatzmarkt von Bedeutung – die EU ist wichtigster Handelspartner noch vor Rußland und China –, aber auch als regionaler Stabilitätsanker. Folgerichtig konnte Außenminister Erlen Idrissow kurz vor Weihnachten mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini in der Hauptstadt Astana ein umfangreiches „Rahmenabkommen über die erweiterte Partnerschaft und Kooperation“ zwischen der EU und der größten zentralasiatischen Republik unterzeichnen.

Die Unterzeichnung ist ein Paradebeispiel für die „multivektorale Außenpolitik“ Nasarbajews, der parallel zum EU-Termin seines Außenministers in Moskau den sicherheitspolitischen Schulterschluß mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin demonstrierte, während Regierungschef Karim Massimow in Peking beim dritten Treffen des Kazakhstan-China Business Council bilaterale Projekte in Milliardenhöhe bekanntgab.

Kasachstan Kandidat für Weltsicherheitsrat

In geopolitischer Mittellage zwischen den Schwergewichten Rußland und China sucht Kasachstan durch intensivere Zusammenarbeit mit der EU seinen Bewegungsspielraum vor allem gegenüber Rußland zu erhalten und zu erweitern. Seit dem Beitritt zur von Putin forcierten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) vor einem Jahr hatte Staatspräsident Nursultan Nasarbajew auf Ausbau und Vertiefung des seit 1999 bestehenden Partnerschaftsabkommens mit der EU gedrängt.

„Wir sind enge Partner Rußlands, aber wir wollen auch gute Beziehungen zur Europäischen Union“, unterstreicht Vizeaußenminister Alexej Wolkow. Auf keinen Fall wolle man in eine „Entweder-Oder“-Situation geraten wie die Ukraine. Bislang mit Erfolg: Obwohl das Abkommen mit der Europäischen Union inklusive  seinen umfangreichen handels- und sicherheitspolitischen Vereinbarungen weit über vergleichbare EU-Partnerverträge hinausgeht, hielt Moskau still.

Das Spiel mit mehreren Bällen beherrscht die rohstoffreiche Republik mit einem Staatsgebiet von der Ausdehnung Westeuropas aber nur einer Bevölkerung von der Größe Nordrhein-Westfalens geschickt. Als weiteres Gegengewicht treibt Kasachstan den Ausbau von Schnellzug- und Autobahntrassen im Rahmen der chinesischen „Neuen Seidenstraße“ voran – der erste Containerzug aus der Ukraine traf dieser Tage in Peking ein – und hebt zugleich die Vorteile für Europa aus einer direkten Landverbindung von China nach Westeuropa mit einer geplanten „Endstation in Duisburg“ hervor.

UN-Insider geben der Bewerbung Kasachstans als nichtständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat für 2017 und 2018 gute Chancen. Nach den Pariser Terroranschlägen stellte Staatschef Nasarbajew auf Uno-Ebene seinen „globalen Anti-Krisen-Plan“ vor, der ein weltweites Anti-Terror-Abkommen und eine supranationale Regulierung der Finanzmärkte vorschlägt und Kasachstan als Vorbild für freiwillige nukleare Abrüstung und für die Überwindung von Krisenursachen durch wirtschaftliche Entwicklung sieht.