© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/16 / 12. Februar 2016

„Die Vorwürfe sind absurd“
Hat die AfD tatsächlich einen „Schießbefehl“ gefordert? Spitzenkandidat Uwe Junge, der in Rheinland-Pfalz im Wahlkampf steckt, sieht die Partei als Opfer einer Kampagne
Moritz Schwarz

Herr Junge, wieso hat Frauke Petry unlängst ohne Not davon gesprochen, Schußwaffen als Ultima ratio gegen Grenzverletzer einzusetzen?

Junge: Ich war zwar bei dem betreffenden Interview mit dem Mannheimer Morgen nicht dabei, kurz danach aber zusammen mit ihr zu einem Gespräch bei der Allgemeinen Zeitung in Mainz. Dort wurde sie mehrfach auf das Thema angesprochen – das war schon auffällig. Keineswegs kam das Thema von ihr, sie wollte darüber gar nicht sprechen. 

Wieso hat Sie es dann kurz zuvor beim „Mannheimer Morgen“ doch getan? 

Junge: Ich nehme an, daß sie auch hier intensiv darauf angesprochen wurde.

Hat Petry diesen Zusammenhang bestätigt?

Junge: Nein, das ist meine Deutung. Noch mal: Was ich sicher sagen kann, es ist nicht ihr Lieblingsthema! Schon zuvor auf einer gemeinsamen Wahlkampfveranstaltung wurde sie auf die Frage angesprochen und erklärte, es gehe nicht darum, auf Flüchtlinge zu schießen. Von einem „Schießbefehl“ war ohnehin nie die Rede. Frau Petry hat offensichtlich recht, wenn sie sagt, „man wollte die Schlagzeile ‘AfD will auf Flüchtlinge schießen’ produzieren“. Etwa, indem unterschlagen wurde, daß sie auch gesagt hat: „Kein Polizist will auf einen Flüchtling schießen. Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima ratio gehört der Einsatz von Waffen (...) So wie es im Gesetz steht.“ Und: „Entscheidend ist, daß wir es so weit nicht kommen lassen und über Abkommen und Kontrollen (...) den Flüchtlingszustrom bremsen.“ Ich finde, das ist eindeutig.

Sie sind Offizier, haben beruflich mit den Rechtsgrundlagen des Schußwaffengebrauchs zu tun. Können Sie uns erklären, ob Frau Petry in der Sache recht hat: Steht der Einsatz von Schußwaffen zur Grenzsicherung tatsächlich im Gesetz?

Junge: Ich bin kein Jurist, aber es ist vollkommen klar, daß niemand auf wehrlose Menschen schießen will oder darf. Das hat der Parteivorstand nun auch in einer Erklärung klargestellt: „Die AfD lehnt strikt ab, auf Menschen zu schießen, die friedlich Einlaß ins Bundesgebiet begehren.“ Insgesamt wird erkennbar, daß aus einer unmißverständlichen Gesetzeslage eine emotionale Scheindebatte konstruiert wird, um Frau Petry und der AfD im Wahlkampf zu schaden.

Die Kritik wird instrumentalisiert? 

Junge: Selbstverständlich! Nehmen Sie etwa den Kommentar von Rainald Becker in den ARD-Tagesthemen, in dem uns Methoden der Nationalsozialisten unterstellt und Petrys Äußerungen als „krank“ dargestellt wurden. Oder die politische Konkurrenz, die die Diskussion nutzt, zu fordern, uns vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen. Absurd.

Die Tagesthemen vermuteten hinter Frau Petrys Äußerungen eine „Strategie der Provokation“. Gibt es eine solche?

Junge: Nein, das ist wirklich der absolute Unfug. 

Im entsprechenden „Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes“ heißt es unter anderem: „Vollzugsbeamte können im Grenzdienst Schußwaffen auch gegen Personen gebrauchen, die sich der wiederholten Weisung, zu halten oder die Überprüfung ihrer Person (...) zu dulden, durch Flucht zu entziehen versuchen. Ist anzunehmen, daß die mündliche Weisung nicht verstanden wird, kann sie durch einen Warnschuß ersetzt werden.“ Hat also Frau Petry tatsächlich nur die Rechtslage wiedergegeben?

Junge: Genau das ist der Fall. Das Gesetz über die Anwendung des „Unmittelbaren Zwangs“ dient in erster Linie zum Selbstschutz und zur Durchsetzung hoheitlicher Aufgaben und zwar unter strenger Beachtung der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Frau Petry hat ausdrücklich gesagt, daß sie sich allein auf die Gesetzeslage bezieht und nichts darüber hinaus. Zudem hat sie ihre Äußerungen unter den Vorbehalt der „Ultima ratio“ gestellt und obendrein ausdrücklich von „notfalls“ gesprochen. 

Allerdings ist der Gesetzestext nur Teil der Rechtslage. Ebenso relevant dafür ist dessen Auslegung. Und demnach, da scheinen sich die Experten einig, ist der Schußwaffeneinsatz allein zur Grenzsicherung auch als „Ultima ratio“ nicht zulässig. Frau Petry hat folglich zwar die Gesetzeslage – nicht aber die Rechtslage richtig referiert.  

Junge: Ja, das ist möglich. Nun wird Frau Petry Provokation vorgeworfen, aber ist es nicht viel wahrscheinlicher, daß sie als Nicht-Juristin diesen Umstand einfach nicht bedacht hat? Übrigens hat sie ja wortwörtlich auch nicht behauptet, daß dies Rechtslage sei, sondern gesagt „so wie es im Gesetz steht“ – und da steht es ja tatsächlich so.   

Aber müßte Petry nicht klar gewesen sein, welche Vorlage sie liefert?

Junge: Wie gesagt, sie ist permanent und in schädigender Absicht befragt worden, um aus irgendeiner Erläuterung des juristischen Sachverhalts diese unhaltbaren Unterstellungen zu konstruieren. 

Frau Petry ist doch inzwischen Profi, und das Interview wurde ordentlich autorisiert. Zudem hat der AfD-Landesvorsitzende in NRW, Marcus Pretzell, erst im November mit einer gleichen Äußerung für Empörung gesorgt. Das alles spricht dagegen, daß ihr das lediglich „passiert“ ist.

Junge: Die Fragen stellen Sie bitte Frau Petry, ich kann sie nicht beantworten. 

Das haben wir getan, leider hat Frau Petry eine Antwort verweigert. 

Junge: Ich kann nur noch mal versichern: Niemand in der AfD will auf wehrlose Flüchtlinge schießen.

Sie haben auch keine heimliche Zustimmung dazu in der Partei erlebt?

Junge: Nein, überhaupt nicht.

Der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke wurde mehrfach wegen als provokativ aufgefaßter Äußerungen von Frau Petry ermahnt. Wie ist zu erklären, daß sie nun selbst eine Äußerung gemacht hat, die absehbar für einen Wirbel sorgt, der jede Aufregung um Höcke in den Schatten stellt?

Junge: Ich habe Björn Höcke als sehr intelligenten und voll auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehenden Kollegen erlebt. Dennoch waren seine Formulierungen teilweise nicht gut überlegt. Unsere Zielgruppe, die bürgerlichen Konservativen in Rheinland-Pfalz, irritiert der Stil Höckes eher. Daß Herr Höcke sich in letzter Zeit zurückgenommen hat, zeigt, daß die Rüge des Bundesvorstandes wirkt. Warum nun Frau Petry für „Wirbel sorgt“, wie Sie sagen? Eben der Verweis auf die Rüge Höckes beweist doch, wie abwegig die Annahme ist, es handele sich um eine gezielte Provokation. 

Die stellvertretende AfD-Vorsitzende Beatrix von Storch befürwortete kurz darauf auf eine Frage hin den Schußwaffeneinsatz zur Grenzsicherung gegen Frauen und Kinder – wobei sie Kinder wenig später wieder ausnahm. Frau von Storch war in keiner Interviewsituation und ist anders als Petry Juristin. Können Sie das erklären? 

Junge: Ich war darüber ebenso verwundert wie Sie. Ich kann das, ehrlich gesagt, auch nicht nachvollziehen. Allerdings, die Erklärung des Parteivorstandes, dem sie angehört, hat Frau von Storch mitgetragen. Sie hat sich also korrigiert.

Haben Frau Petry und Frau von Storch der Partei damit Schaden zugefügt?

Junge: Es war, insbesondere durch die „veröffentlichte Meinung“, zumindest nicht förderlich. Insgesamt steigt nach meiner Wahrnehmung die Zustimmung für unsere berechtigten Anliegen aber dennoch weiter an. 

Laut aktueller Umfrage steht die Partei bundesweit bei zwölf Prozent Wählerzustimmung. Allerdings befürwortete über die Hälfte der Befragten inzwischen, die AfD mittels Verfassungsschutz zu überwachen.

Junge: Das ist für mich klar die Frucht der öffentlichen Verleumdung, zu der die in Teilen berechtigte Kritik an den Äußerungen genutzt wird. Selbst der Verfassungsschutzpräsident sagt, daß er dazu keinen Anlaß sieht. Und wenn Sie sich unser Programm ansehen, aber auch unsere Mitglieder, dann ist das völlig abwegig. Wir haben sogar den Aufnahmeantrag eines ehemaligen CDU-Mitglieds abgelehnt, weil es davor einmal in der NPD war! Gerade ich habe mich als Berufsoffizier über Jahrzehnte für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, auch unter Einsatz meines Lebens, eingesetzt – mal abgesehen davon, werde ich regelmäßig vom MAD durchleuchtet. Ich fühle mich daher durch so einen Vorwurf auch persönlich beleidigt. 

Fürchten Sie Nachteile für Ihren Wahlkampf in Rheinland-Pfalz?

Junge: Ich kann mir zwar vorstellen, daß sich manch bürgerlicher Interessent, der gerade dabei war, sich uns vorsichtig anzunähern, nun abgeschreckt ist, aber selbst erlebt habe ich das bis jetzt kaum. Natürlich haben sich mir gegenüber viele Mitglieder und Sympathisanten ob der Äußerungen Petrys und von Storchs irritiert gezeigt, aber keiner hat sich deshalb endgültig von der AfD abgewendet. Die Probleme im Land, wegen derer die AfD gegründet wurde, sind eben zu schwerwiegend und nicht gelöst. 

Derzeit liegen Sie im Land bei neun Prozent. Mit wieviel rechnen Sie am Wahltag?

Junge: Mit einem zweistelligen Ergebnis; alles ab zehn Prozent wäre ein toller Erfolg.

Aber ist diese Zustimmung auch nachhaltig? Im Moment treibt die Asylkrise Ihnen die Wähler zu. Aber wie viele davon bleiben, sollte das Thema einmal abflauen?

Junge: Sicher muß man damit rechnen, daß es dann ein bis zwei Prozent weniger werden könnten. Aber unser Wahlprogramm umfaßt zwölf schwerwiegende Handlungsfelder, und Asyl ist nur eines davon. Die Euro-Rettungskrise ist noch lange nicht vorüber und schwelt latent weiter. Es ist an uns, nach der Wahl gute Oppositionsarbeit zu leisten, um unsere Wähler zu halten und aus ihnen AfD-Stammwähler zu machen, die dem breiten Ansatz einer bürgerlich-konservativen Volkspartei folgen wollen.

Interessieren sich die Bürger denn bei der AfD tatsächlich nur für die Flüchtlingskrise, wie es derzeit den Anschein hat?

Junge: Nein, im Wahlkampf ist etwa „Familien mit Kindern“ bei vielen Interessierten ein großes Thema. Außerdem Infrastruktur, Energie – Stichwort: Windräder –, Bildung, Inklusion und Direkte Demokratie, die es bisher im Land de facto nicht gibt. Aber natürlich dominiert die Asylkrise, weil die unmittelbare Betroffenheit so groß ist. Wobei uns viele Bürger bestätigen: Ihr habt schon früher vor den Fehlentwicklungen gewarnt, seid dafür übel gescholten worden, heute übernehmen die Etablierten eure Positionen. – Und das stimmt auch.

Wer ist Ihr Hauptgegner im Wahlkampf?

Junge: Unser Hauptziel lautet: Rot-Grün verhindern! Somit würde realistischerweise wohl die CDU mit Julia Klöckner die Ministerpräsidentin stellen – der wir aber als starke Opposition das Leben nicht leichtmachen werden. Insbesondere werden wir immer wieder aufzeigen, daß Frau Klöckner hier im Land zwar so redet, als würde sie viel von dem, was die Bundesregierung macht, kritisieren, tatsächlich in Berlin aber die Politik Merkels mitträgt. Sollte sie ihre noch unglaubwürdigen Wahlversprechen – etwa ihren sogenannten „A2“-Plan für die Aslykrise – einhalten wollen, könnte sie mit unserer Unterstützung rechnen, aber nur dann. Als ideologiefreie Bürgerpartei unterstützen wir jede Politik, die dem Wohl des deutschen Bürgers dient. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal.

Vom TV-Duell im SWR wurden Sie, wie FDP und Linke, ausgeschlossen. Daraufhin hat Frau Klöckner angekündigt, ebenfalls nicht zu kommen. Ein fairer Zug?

Junge: Schön wäre es, würde dahinter Fairneß stecken. Tatsächlich aber wollte die CDU damit der SPD-Konkurrentin Malu Dreyer nur eins auswischen, der so ihre Drohung – nicht in die Sendung zu kommen, wenn die AfD kommt – nun auf die Füße gefallen ist. Die CDU hatte auch nicht mit dem Ausschluß der AfD argumentiert, sondern damit, daß die FDP nicht eingeladen worden sei. Ein durchschaubares Manöver.

Ist der Wahlkampf fair? 

Junge: Nein. Wir erleben Verleumdung, Sachbeschädigung, Boykotte, Einschüchterungsversuche und Gewalt – man scheut nicht einmal davor zurück, ältere Wahlkampfhelfer und Demonstrationsteilnehmer tätlich anzugreifen. Und wenn mir von der Antifa entgegengebrüllt wird „Da ist das Schwein, schlagt ihm den Schädel ein!“ oder „Deutschland verrecke!“ skandiert wird, dann schreckt mich das zwar nicht sonderlich, weil ich relativ „schußfest“ bin, ist aber ein Niveau der politischen Auseinandersetzung, das ich früher in unserem Land nicht für möglich gehalten hätte. 

Auf einen AfD-Veranstaltungsort in Mainz soll geschossen worden sein. Stimmt das? 

Junge: Die Polizei hat ein mutmaßliches Einschußloch gefunden und ermittelt noch. Da einer unserer Wahlkämpfer in Baden-Württemberg vermutlich mit einer Gaspistole beschossen wurde, ist es aber nicht auszuschließen. Fakt ist, daß das Haus mehrfach beschmiert und auch beschädigt wurde. Noch schlimmer sind aber Angriffe gegen die Wohnhäuser und Autos unserer Parteimitglieder. All diese Angriffe führen nur dazu – das erlebe ich immer wieder –, daß die Partei noch fester zusammenhält und sich noch motivierter in den Wahlkampf stürzt. Die Zusammenarbeit mit den örtlichen Polizeibehörden ist im übrigen sehr gut. Gemessen an den von der Politik verursachten schwierigen Rahmenbedingungen, leisten unsere Polizeibeamten einen sehr professionellen Dienst. Respekt und Anerkennung dafür!  






Uwe Junge, ist Landesvorsitzender und Spitzenkandidat der AfD in Rheinland-Pfalz. Das ehemalige CDU-Mitglied trat nach 34 Jahren 2009 aus Protest gegen die Politik Angela Merkels aus der Union aus. Von 2010 bis 2011 war Junge kurzzeitig Mitglied der islamkritischen Partei „Die Freiheit“. 2013 trat er der neugegründeten Alternative für Deutschland bei, deren Landesverband in Mainz er seit Juli 2015 führt. Der Berufsoffizier im Range eines Oberstleutnants dient als Dezernatsleiter im Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr in Mayen bei Koblenz und war an mehreren Auslandseinsätzen beteiligt. Geboren wurde er 1957 in Hildesheim. 

Foto: AfD-Vorsitzende Frauke Petry und Landeschef Uwe Junge bei einer Wahlveranstaltung im Januar in Koblenz: „Es wird eine Scheindebatte konstruiert, um Petry und der AfD zu schaden“

 

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