© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/16 / 05. Februar 2016

Der Flaneur
Unverwüstlich, der alte Kahn
Bernd Rademacher

Der alte Schleppkahn aus Kaisers Zeiten hält sich noch wacker über Wasser. Doch statt Frachter in den Hafen zu ziehen, ist er längst pensioniert und dient als schwimmendes Zollwarenlager.

Ein Maschinenschaden macht Kopfzerbrechen. Gestern gab es knallende Fehlzündungen und dicke Qualmwolken. Heute kommt ein Monteur. Da knirschen auch schon die Reifen des Firmenwagens auf dem Uferweg.

Erst mal „Moiiin“, Baumfäller-händedruck, Schnack und Zigarette. Dann soll’s was werden. Vom Steg über die Reling auf die Gangbord, im Gänsemarsch bugwärts zum Maschinenraum. Durch die enge Tür gezwängt (und dabei gleich den Kopf gestoßen und so als Laie enttarnt).

Funzeliges Licht erhellt die genieteten Stahlwände. Überall Rohre, Kabel und Leitungen.

Die eisernen Sprossen nach unten in den Schiffsbauch. So was sieht man nicht alle Tage. Funzeliges Licht erhellt die genieteten Stahlwände nur spärlich; überall winden sich Rohre, Kabel und Leitungen. Mittendrin steht der Motorblock von der Größe eines Kleinwagens. „Berlin-Marienfelde“ ist auf dem ölverschmierten Koloß zu lesen. Das Schauglas der Dieseleinspritzer ist tatsächlich noch aus Glas.

Die Vielzahl der Ventile und Handräder ist verwirrend. Doch der Mechaniker spielt gleichsam darauf wie ein Kirchenmusiker auf seiner Orgel. Unter den Ritzen der Bodenplatten spiegelt sich schwarzes Wasser in der Bilge. Von der Decke hängen schwere Ketten herab.

Es kommen einem unweigerlich Szenen aus Wolfgang Petersens epochalem Spielfilm „Das Boot“ in den Sinn. Und plötzlich nicht nur Bilder – eigenartige Geräusche kommen näher. Es sind Schraubengeräusche der Schiffe, die draußen vorbeifahren. Der Maschinenraum liegt unterhalb der Wasserlinie. Wie ein Ventilatorsurren zieht es auf der anderen Seite der stählernen Wand vorbei. Als das Schiff in die Wellenlinie des Vorbeifahrenden gerät, schwankt der Raum leicht.

Der Monteur ist fertig. Er sagt, ein moderner Motor hätte den Schaden nicht überlebt.