© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/16 / 05. Februar 2016

Auf das Verborgene warten
Hingabe: Der Dokumentarfilm „Grenzbock“ taucht in die Welt der Jäger ein
Sebastian Hennig

Es gibt kaum ein Feld menschlichen Zusammenlebens, in dem sich nicht verschiedene Interessen überschneiden. So findet die abstrakte Naturschwärmerei zuweilen in der Gestalt des Jägers ihr Feindbild. Eine Haltung, die per regelmäßigem Bankeinzug und korrektem Konsumverhalten die Umwelt zu retten gedenkt, empfindet das Waidwerk als elitäres Mordhobby.

Auch dem Regisseur Hendrik Löbbert war die Jägerei fremd. Während der Arbeit am Dokumentarfilm „Grenzbock“ hat sich bei ihm eine hohe Achtung eingestellt vor der „Ernsthaftigkeit und Hingabe“, mit der sich die Jäger „um ihre Reviere und Wälder kümmern“. Vor den Dreharbeiten hat er an mehreren Jagden teilgenommen und sich dabei als stiller Begleiter zurückgehalten oder als Treiber nützlich gemacht. Es ist ihm schließlich geglückt, eine Wirklichkeit abzubilden, die den Betrachter anrührt.

Trotz vieler Bemühungen gelangen keine spektakulären Tieraufnahmen. Gerade dadurch entsteht ein wahres Bild des Wartens auf das Verborgene. Löbbert bezeichnet „Grenzbock“ als einen „Tierfilm über Jäger, der ein paar grundsätzliche Fragen über Kultur, Wildnis und unsere Rolle als Menschen stellt“. Dem Betrachter wird Empathie nahegelegt, ohne für die Haltung der Protagonisten eigentlich zu werben. Im Jäger erscheint der Mensch im Naturzustand. Verdeckt zehrt er überall von seiner Hegemonie über die belebte Natur, die nur in der Jagd direkt in Erscheinung tritt.

Die Möglichkeiten des Films, Zeit und Raum, Nähe und Ferne zu vermengen, Gegensätze auszuspielen, nutzt Löbbert nicht. Nichts wird thematisiert oder zugespitzt. Die Protagonisten werden weder vorgestellt, noch werden ihnen Fragen gestellt. Nur indirekt in den Gesprächen untereinander dringt etwas durch. Es sind allesamt schweigsame Männer. Keiner erregt sich. Lediglich während der Jagd befinden sie sich in einer stillen Anspannung.

Der Handlungsort ist ein ehemaliger Truppenübungsplatz vor den Toren Berlins. Nur im Abspann sind die Namen der drei wichtigsten Protagonisten aufgeführt. Der 85jährige Robert Hinz ist ein Veteran der regionalen Jagd. Bei den zwei anderen handelt es sich um öffentlich bekannte Kapazitäten. Hubertus Meckelmann war Vorstandsvorsitzender der Stiftung Naturlandschaften Brandenburg und Leiter des Naturparks Nuthe-Nieplitz. Hans-Dieter Pfannenstiel ist Professor für Biologie an der FU Berlin, Autor eines Fachbuchs über das Schwarzwild und Vorsitzender eines Jagdverbandes. Der Film zeigt sie alle als Privatleute.

Meckelmann sinniert über den Begriff der Wildnis. Die Reisefreiheit nach 1989 hat er ausgiebig genutzt. Heute findet er das für ihn Wesentliche wieder vor der eigenen Haustüre. Wie ein Hirte lehnt er auf seinem langen Stab und blickt in die unspektakuläre Landschaft oder deutet auf einem Sandweg die Fährten.

Hinz kündigt am Telefon den Besuch bei einem alten Freund an und fragt ihn, ob er sich rasiert habe. Das Zimmer, in dem die beiden dann sitzen, ist voller Trophäen. Ein Fernsehgerät steht abgekehrt in die Ecke gerückt. Sie plaudern über Stellen im Wald und erinnern sich an den alten Baumschulbesitzer, der im Greisenalter auf die hohen Lärchen stieg, um Saatgut zu ernten. Die übergreifende Planung mit Volksjagdrecht wurde hier 1990 abgelöst, und das an den Besitz gekoppelte Revierrecht ist in Kraft getreten. Die zwei Alten stapfen schweigend einher. Am Waldsaum entspinnt sich ein Wortwechsel. Auf die Frage, ob das Feld auch zu ihm gehöre, erwidert der Angesprochene: „Nein, das ist feindlich.“ Seinerseits verweigert er dem Nachbarn den Schuß aus der Deckung seines Reviers.

Bei Naturschutzmaßnahmen treten die Konflikte besonders stark hervor. Der Film handelt von der letzten Jagd im Naturschutzgebiet. Wenn die Bejagung eingestellt ist, wird dort ein mächtiges Rückzugsgebiet entstehen, dessen Wildbestand auf die angrenzenden Reviere drückt. Gegen Ende des Films äußert Hinz seine Skepsis über das Vorhaben, hunderte Wolfsrudel in Deutschland heimisch zu machen. „Das wird niemals eintreten. Da gibt es vorher einen Aufschrei in der Bevölkerung.“ Er berichtet, daß er sich von einem kanadischen Freund einen Wolfsschädel besorgt hat, mit dem er die Naturschützer narrt, indem er sie in dem Glauben läßt, er hätte das Tier erlegt.

Oft entsteht unfreiwillig eine reizvolle Metaphorik. In den bildhaften Bemerkungen zu Wald und Wild werden die Jäger selbst widergespiegelt. Es ist die Rede von der Bedeutung der Alttiere für die Fortpflanzung. Alte Hirsche röhren nicht mehr, sie knören nur noch. Auch unter den Jägern und Jagdherren überwiegen ältere Herren. Doch Löbbert stellt fest: „Gerade die älteren Jäger haben einen sehr romantischen Blick auf den Wald, den ich für den Film sehr reizvoll fand.“

Zuweilen sieht es eher freudlos aus, wie die überwiegend korpulenten Männer ihren Wagen entsteigen. Die wenigen jüngeren haben diesen gesetzten Habitus bereits angenommen. Kurz nur taucht einmal in der Sitzung der Hegegemeinschaft ein Frauenkopf auf. Gleichwohl deutet sich das verborgene Wirken der Frauen an, wenn die Männer ihre Rucksäcke mit dem Proviant aufschnüren.

Kinostart: 4. Februar  www.grenzbock.de