© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/16 / 29. Januar 2016

Permanente Störungslinien für das SED-Regime
Peter Joachim Lapp über vierzig Jahre Transitverkehr durch die DDR: Trotz massiven Stasi-Einsatzes waren die „Rollbahnen des Klassenfeindes“ unkontrollierbar
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Verlief in den ersten Jahren nach 1945 der Verkehr vom späteren Bundesgebiet in die Westsektoren der ehemaligen Reichshauptstadt und umgekehrt durchweg störungsfrei, so häuften sich die Schwierigkeiten, als die DDR West-Berlin zur „Selbständigen politischen Einheit Westberlin“ erhob. Leider akzeptierten die Westalliierten bald stillschweigend die Mitverantwortung Ost-Berlins bei der Kontrolle des zivilen Verkehrs. Daran änderte auch der Bau der Berliner Mauer nichts, hinsichtlich der Transitstrecken wurde Kennedys Forderung auf das „Recht auf Zugang durch Ostdeutschland“ sichergestellt. Dennoch blieb der zivile deutsche Zugang ohne Rechtsgrundlage. Erst Ende 1971 wurde daher zwischen Bonn und Ost-Berlin ein förmliches „Transitabkommen“ geschlossen. Es legte fest, daß der Transitverkehr weitgehend kontrollfrei und unkompliziert ablaufen solle. 

Die Transitstrecken waren der Stasi ein Dorn im Auge

Wie der Historiker Peter Joachim Lapp darstellt, waren die Strecken indes keine Korridore, die DDR hatte das Recht, bei „Verdacht und Mißbrauch“ westliche Reisende zu kontrollieren – sehr dehnbare Begriffe, wie die Praxis bewies. Von 1972 bis 1999 zahlte Bonn 7,8 Milliarden Mark für Bau und Unterhalt der Transitstrecken an das SED-Regime. Den Schwerpunkt seines Buches aber legt Lapp auf die vielen Einzelheiten und den durchweg unbekannten „Krieg im Dunkeln“. MfS-Chef Mielke sah in ihnen nämlich „Rollbahnen des Klassenfeindes“ und befahl deren verstärkte Kontrolle. In der Tat kam es auf den dortigen Parkplätzen immer wieder zu heimlichen Treffen zwischen Westdeutschen und ihren DDR-Verwandten. Es dürften pro Jahr über 10.000 solcher Kontaktbegegnungen gewesen sein, wobei trotz aller Stasi-Beobachtungen die meisten unerkannt blieben. 

Scharf reagierte Ost-Berlin auf Versuche, auf den Transitwegen die DDR zu verlassen. Massiv verstärkt wurde der Einsatz von Spitzeln besonders in Raststätten und Tankstellen. Die genaue Zahl dieser „Transitflüchtlinge“ ist nicht bekannt geworden, sie dürfte immerhin mehr als 2.000 betragen haben. Bei den Fluchthelfer-Gruppen, welche DDR-Bewohner in den Westen schmuggelten, befürchtete das MfS eine Sogwirkung und reagierte nach den Worten des Verfassers mit „einem schwer vorstellbaren Masseneinsatz nachrichtendienstlicher Mittel“. Gegen verdächtigte Autos wurden unter strenger Geheimhaltung sogar sogenannte „Gammastrahlenkanonen“ eingesetzt, die einen Röntgenblick in das Innere der Fahrzeuge ermöglichten und versteckte Personen anzeigten. Daß bei den handverlesenen MfS-Offizieren, welche diese bedienten, leicht gesundheitliche Schäden entstehen konnten, war der Führung offenbar gleichgültig. Manche Fluchthelfer-Gruppe konnte das MfS mit Hilfe seiner Spitzel infiltrieren; von 1972 bis 1989 wurden 1.728 Westdeutsche bzw. West-Berliner verhaftet.

Andererseits benutzte die Stasi die Strecken zu Treffen mit ihren Spionen im Westen. Dem BND wiederum dienten sie zur genaueren Beobachtung von Manövern der Sowjettruppen und der NVA sowie zur Errichtung „toter Briefkästen“ (heimliche Verstecke) an seine Helfer im Osten. Eine totale Kontrolle der Transitstrecken erlangte die Stasi zu keinem Zeitpunkt.

Peter Joachim Lapp: Rollbahnen des Klassenfeindes. Die DDR-Überwachung des Berlin-Transits 1949 bis 1990. Helios-Verlag, Aachen 2015, gebunden, 161 Seiten, 22,80 Euro