© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/16 / 29. Januar 2016

Nahkampf auf der Tanzfläche
Bei ihr werden selbst böse Fußball-Buben zu Bettvorlegern: Die sagenhaft erfolgreiche Schlagersängerin Andrea Berg wird fünfzig
Albrecht Klötzner

Sie hat rote Haare und singt…“, antwortet meine Frau auf die Frage, was ihr spontan zu Andrea Berg einfällt. Keine wirkliche philosophische Erklärung, um ein seit etwa 25 Jahren erfolgreiches Phänomen im deutschen Musikgeschäft zu beschreiben. Am 28. Januar wird „Die Berg“, einst Andrea Zellen und Arzthelferin in einer Krefelder Hals-Nasen-Ohren-Praxis, 50 Jahre alt.

Ja, sie hat schöne Beine, die sie auch gern zeigt. Ja, sie kann singen, und sie sieht gut aus. Aber mindestens 10.000 deutsche Frauen, die ins Showgeschäft drängen oder semi-erfolgreich darin wursteln, haben all das auch zu bieten. Wieso also füllt ausgerechnet Andrea Berg – am Niederrhein geboren, heute in Baden-Württemberg auf dem Lande lebend – seit etwa 25 Jahren erst Säle, später Hallen und Stadien. Wieso gibt es in Deutschland gefühlt keine Dorfhochzeit, keinen Bieranstich, keine Geburtstagsfeier und kein Feuerwehrfest, wo bei dem Andrea-Berg-Lied „Du hast mich tausendmal belogen“ die Tanzfläche zur überfüllten Nahkampfdiele wird? Wo Paul die Maria, der Werner die Heidi und der Walter die Gerda am Arm touchiert und mit seitlichem Kopf zur Tanzfläche nickt? Disko-Fox für alle, die nicht wirklich tanzen können, aber Spaß daran haben. Egal ob vierzehn oder fünfundsiebzig. Bergs Schlager vereinen Generationen zwischen Saßnitz und Berchtesgaden.

Was also hat diese Frau, was andere Schlagersängerinnen – mal abgesehen von Michelle und Helene Fischer – nicht haben? Die gegen Andrea Berg dastehen wie „sie haben sich stets bemüht“? Ist es der geküßte Zeigefinger, den sie den Massen entgegenstreckt? Der schmachtende Blick? Oder das beinahe immer bis zum Oberschenkelhals freigelegte linke Bein?

Berg wirkt! Warum auch immer. Trotz Schmähungen, bösen Kritiken, hämischer Kommentare in vielen Medien. Wer gegen sie anschreibt oder moderiert, hat verloren. So ätzte die Berliner Morgenpost über ihr Konzert in der Hauptstadt vor zwei Jahren: „Was mit dem griechischen Philosophen Plato einen frühen Höhepunkt erreichte, ist spätestens mit Andrea Berg bei platt angekommen.“ In der Bild-Zeitung lästerte „Shopping-Queen“-Matador Guido Maria Kretschmer: „Sie sieht immer ein bißchen aus, wie Pirat Captain Jack Sparrow aus ‘Fluch der Karibik’“. Um nachzuschieben, daß die Sängerin „eine der am schlechtesten gekleideten deutschen Frauen“ sei, die von „allem ein bißchen zu viel Bling-Bling“ habe und ihr ein „bißchen textile Zuwendung“ guttäte. Berg nahm den nörgelnden Möchtegern-Ästheten nicht weiter ernst, schüttelte sich kurz und schlug ihm vor, er solle etwas für sie entwerfen. Mediale Fliegenklatsche für einen nervigen Brummer.

In vielen Radiostationen herrscht Schlagerverbot

Es ist wohl ihre Bodenständigkeit, ihr Hang zum Unprätentiösen, der die Fans als Block hinter ihr eint. Ein Star und Multimillionär, der im Fußballstadion nicht in der VIP-Lounge, sondern im Fanblock neben Werkstatt-Schraubern, Kellnern und Arbeitslosen steht. So geschehen im Stadion des Drittligisten Sonnenhof Großaspach, als die angereisten 4.000 Dynamo-Dresden-Fans, die sonst eher durch Böller und Prügel von sich reden machen, lauthals nach Andrea Berg verlangten: „Andrea, wo bist du? Hast du Lust zu spielen …“ Als danach die Großaspacher Kicker in Dresden aufliefen, zeigten die Dynamo-Ultras den Großaspacher Fan-Touristen die Barockstadt, statt sie zu vermöbeln. Andrea Berg macht möglich, was Polizei und Politiker nicht schaffen: Böse Buben zu Bettvorlegern.

Die deutsche Medienlandschaft goutiert den sagenhaften Erfolg weniger. Insgesamt verkaufte Andrea Berg zwar etwa 13 Millionen Tonträger, erhielt über hundert Gold- und Platin-Auszeichnungen, sechs Echos, acht Goldene Stimmgabeln und zahlreiche weitere Medienpreise (Bambi, Goldene Henne, Krone der Volksmusik).

Viele deutsche Radiostationen auferlegten sich allerdings dennoch eine Art Schlagerverbot. Während beispielsweise der in Mitteldeutschland meistgehörte MDR 1 bis vor ein paar Monaten gefühlt täglich Berg, Fischer, Heino und Co ausstrahlte, dürfen dort auf deutsch lediglich noch Grönemeyer und Lindenberg nörgeln und nuscheln. Musikalische Moralapostel statt leichte Muse. Auch NDR 1 verbannte Schlager beinahe komplett aus dem Programm. Musikredakteure sind wahrscheinlich nicht oft auf Feuerwehrfesten.

Die Karriere von Andrea Berg begann Anfang der 1990er Jahre. An Wochenenden ohne Schwesternkittel scherbelte die Sängerin mit ihrer Band oder trat als Funkenmariechen im Krefelder Karneval auf. Ein Fan gab ihr dann den Tip, Produzent Eugen Römer aus Köln zu kontaktieren. Auf ihrer Fanseite antwortete Berg angeblich: „Was soll der von mir wissen wollen?“ Ihre Mutter redete ihr jedoch gut zu: „Mädchen, sei nicht dumm. Vielleicht gibt es diesen Produzenten ja wirklich, und vielleicht wird das was.“ Kurz darauf sei sie ins Studio eingeladen worden, um Titel aufzunehmen.

Shitstorm der Fans wegen retuschiertem Titelfoto

Im November 1992 erschien die erste Single von Andrea Berg: „Schau mir noch mal ins Gesicht“. Danach ging es Schlag auf Schlager. Titel wie „Kilimandscharo“ folgen sowie das Debüt-Album „Du bist frei“. Mit ihren letzten sieben Alben, von „Machtlos“ (2003) bis „Atlantis“ (2013), belegte sie jeweils wochenlang Platz eins der deutschen Charts. Heute gehört ihr laut der Internetplattform „Schlager-Planet“ ein „eigenes Dorf“. Im vergangenen Jahr eröffnete sie eine Luxus-Chalet-Anlage in Baden-Württemberg, die aus fünfzehn Landhäusern besteht. Ein Urlaubsort zum Entspannen. Zwei Jahre habe sie persönlich auf der Baustelle verbracht. Mit Ehemann Uli Ferber betreibt sie den Sonnenhof Großaspach und das „Landhaus“ als Hotels.

Tiefschläge mußte die erfolgsverwöhnte Sängerin allerdings auch einstecken. Kurz nach Weihnachten im vergangenen Jahr brach auf dem Sonnenhof ein Feuer aus. Ob es Brandstiftung war – fahrlässig oder vorsätzlich – wird noch ermittelt. Mindestens neun Autos von Hotelgästen (einige Medien vermeldeten 15) wurden durch die Hitze beschädigt. Der Gesamtschaden beläuft sich laut Polizei auf 70.000 Euro. Ein halbes Jahr zuvor vermeldeten mehrere Boulevardmedien den Tod des Bergschen Berner Sennenhundes „Ben“. Kurz vor ihrem 50. Geburtstag erlebte der Star zudem einen „Shitstorm“ der eigenen Fans. Viele fühlten sich laut Gala „betrogen“, weil Andrea Berg auf ihrem aktuellen Album „Seelenbeben“ zu intensiv am Titelfoto retuschiert haben soll – um besser, jünger, knackiger auszusehen.

Aber auch das wird ihrer Karriere wohl nicht schaden. Viele Auftrittstermine in Arenen und Hallen stehen für dieses Jahr und auch schon für 2017 fest.

Das neue Album von Andrea Berg, „Seelenbeben“, ist ab 8. April im Handel erhältlich. Konzerttermine im Internet unter: www.andrea-berg.de