© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/16 / 29. Januar 2016

Neue Brücken bauen
Portugal: Der am Sonntag gewählte konservative Präsident Marcelo Rebelo de Sousa will die politische Krise gemeinsam mit der Linken lösen
Lukas Noll

Nur drei Monate nach der Parlamentswahl im Herbst wählten die Portugiesen einen neuen Staatspräsidenten. Klarer Sieger ist der Konservative Marcelo Rebelo de Sousa, auf den 52,4 Prozent der Stimmen entfielen, wie die Wahlbehörde CNE noch am Sonntag abend erklärte. Zweitplazierter wurde demnach der Sozialist António Sampaio da Nóvoa mit 22 Prozent, die Europaparlamentariern Marisa Matias vom Linksblock erzielte rund zehn Prozent. Eine Stichwahl in Form eines zweiten Urnengangs ist damit nicht erforderlich. Die Wahlbeteiligung stieg nach dem Rekordtief von 46,5 Prozent bei den zurückliegenden Wahlen auf 48 Prozent.

Portugals Staatspräsident fallen in den nächsten fünf Jahren zwar vor allem repräsentative Aufgaben zu – doch obliegt ihm die Machtbefugnis, im Krisenfall das Parlament aufzulösen. Das eindeutige Wahlergebnis für de Sousa kann jedoch als Protestvotum gegen die sich im Herbst zuspitzende politische Krise gewertet werden. „Brücken zwischen allen“ bauen will der 67jährige Rechtswissenschaftler, der den meisten Portugiesen als TV-Journalist bekannt ist. Grund für den Wunsch nach Ausgleich ist die Zuspitzung durch die unklaren Mehrheitsverhältnisse, die sich durch die Parlamentswahl am 4. Oktober ergeben hatten. 

Noch Ende Oktober hatte der scheidende Präsident Aníbal Cavaco Silva den seit 2011 regierenden Ministerpräsidenten Pedro Passos Coelho mit der Regierungsbildung beauftragt. Dessen wegen ihrer stringenten Austeritätspolitik in der Kritik stehende Mitte-Rechts-Regierung war zwar als stärkste Kraft aus der Parlamentswahl hervorgegangen, konnte jedoch keine Mehrheit auf sich vereinen. Bereits bei der Vorstellung ihres ersten Haushalts am 10. November wurde Portugals Minderheitsregierung von der linken Parlamentsmehrheit gestürzt. Die beiden Linksaußen-Fraktionen, der Bloque Esquerdo („Linksblock“) und die grün-kommunistische CDU, signalisierten schnell, eine Minderheitsregierung der gemäßigt linken Sozialisten zu tolerieren.

Wegen der Unterstützung durch Linksextremisten weigerte sich Staatspräsident Silva jedoch wochenlang, den Sozialisten  António Costa mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Dieser hatte eine Zusammenarbeit mit Linksaußen noch im Wahlkampf kategorisch ausgeschlossen. Mit der Begründung seiner Verweigerungshaltung stach Cavaco Silva im Krisenstaat Portugal trotzdem in ein Wespennest: Das Staatsoberhaupt begründete seine Haltung damit, „die Entsendung falscher Signale an die Finanzinstitutionen, die Investoren und die Märkte zu verhindern“. Im unter der Sparpolitik ächzenden Portugal keine wohlüberlegte Äußerung, für die sich der Präsident noch am Ende seiner zweiten Amtszeit Rücktrittsforderungen anhören mußte. Am 26. November verhalf er einer neuerlichen Minderheitsregierung von links schließlich doch ins Amt.

Sein Nachfolger scheint sich damit weniger schwer zu tun: Der als populistisch geltende Politiker ist in der konservativen PSD zwar als „militante número três“, drittes Mitglied der Partei bekannt, setzte im Wahlkampf aber auf einen klaren Wohlfühlkurs. Auch in der Staatskrise gibt er sich versöhnlich und bewußt mittig. Die linke Minderheitsregierung will er bei ihrer Arbeit unterstützen und trat mit dem Versprechen an, „Sechs-Monats- und Ein-Jahres-Regierungen“ verhindern zu wollen.

Große Hoffnung, daß die Costa-Regierung ihre volle vierjährige Legislaturperiode durchhalten wird, machen sich viele Portugiesen trotzdem nicht. Zwar sind sich die regierenden Sozialisten mit den linksextremen Parteien einig darin, die Austeritätspolitik zu beenden und auch auf radikale Forderungen wie einen Euro- und Nato-Austritt Portugals zu verzichten. Doch schon jetzt deutet sich für die neue Regierung ein quasi unhaltbarer Spagat an: die Austeritätsmaßnahmen zu revidieren und trotzdem den Stabilitätspakt mit der Europäischen Union einzuhalten. Dieser Kluft dürfte auch ein konservativer TV-Liebling im Präsidentenamt keine „Brücke bauen“ können. Kein Wunder also, daß in Portugal bereits zwei Monate vor de Sousas Amtsantritt von dessen einziger politischer Befugnis die Rede ist: der Parlamentsauflösung.