© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/16 / 29. Januar 2016

Nur die Motivation zählt
Irak: Die Armee kann zwar Erfolge verzeichnen, doch ohne die USA geht nichts
Gabriel Burho

Stolz gratulierte der US-Botschafter in Bagdad, Stuart Jones, den irakischen Sicherheitskräften zu deren „beeindruckendem“ Sieg gegen den Islamischen Staat. Kurz zuvor war es der irakischen Armee, zusammen mit verbündeten schiitischen Milizen, Ende Dezember gelungen, die seit zwei Jahren vom Kalifatsstaat beherrschte Stadt zu befreien.  

Natürlich, so Jones weiter, sei er ebenfalls „sehr stolz“ über die Rolle, die die Anti-IS-Koalition in Zusammenarbeit mit den US-Streitkräften spiele. Er vergaß aber nicht zu betonen, daß deutlich mehr Arbeit geleistet werden müsse. Dennoch habe die Koalition einen bedeutenden Schlag gegen den IS geführt.

Marginalisierte Sunniten sind das Hauptproblem 

Vor dem Hintergrund, daß parallel dazu auch kurdische Truppen die IS Milizen aus dem Sindschar-Gebiet im Nordwesten des Landes vertrieben haben, vermitteln die Nachrichten aus dem Irak das Bild, daß die Terrorherrschaft des Islamischen Staates bald beendet werden könnte. Doch so übersichtlich wie es scheint, ist die Situation im Irak indes nicht – die sogenannte Anti-ISIS-Koalition besteht in erster Linie aus Nationen, die sich gegenseitig bisweilen untereinander mehr hassen als das Terror-Kalifat selbst.

Die gegenseitige Feindschaft der lokalen und internationalen Akteure war es auch, die den Aufstieg des IS überhaupt ermöglichte. Im Machtvakuum des syrischen Bürgerkrieges konnte sich die kleine, aber extrem radikale Islamistengruppe aus dem Irak frei entfalten und dabei die in US-Militärgefängnissen im Irak geschmiedete Allianz zwischen ehemaligen irakischen Militärs und islamistischen Hardlinern, erfolgreich einsetzen. 

Die irakische Regierung vertritt seit dem Sturz Saddam Husseins nur noch die Interessen der schiitischen Mehrheit und marginalisiert die Sunniten des Landes. War der Kampf gegen al-Qaida im Irak seitens der USA durch massive Unterstützung sunnitischer Stämme gewonnen worden – weil diesen ein größerer Einfluß in Bagdad und eine Integration in die irakische Armee versprochen worden war –, nutzte der frühere Präsident Nuri al-Maliki  den Abzug der Amerikaner, um diese Milizen aufzulösen und Sunniten aus seiner Regierung zu entfernen. Damit bleibt als einziger Vertreter dezidiert sunnitischer Interessen im Irak der IS. Die irakische Armee verfügt zwar nominell über eine Stärke von cirka 270.000 Mann – genau weiß es aber niemand. Als der IS die Stadt Mosul mit cirka 4.000 eigenen Kämpfern eroberte, standen diesen – offiziell – 60.000 irakische Soldaten gegenüber – realistische Schätzungen gehen aber eher von einem Verhältnis von eins zu drei aus. 

Im Kampf gegen den IS versagte die von den USA ausgebildete und ausgerüstete irakische Armee jämmerlich, auch, weil die mehrheitlich schiitische Armee wenig motiviert ist, bei der Verteidigung kurdischer, jesidischer oder sunnitischer Landstriche einen hohen Blutzoll zu entrichten. Daran wird auch die erneut verstärkte Ausbildung durch US-Streitkräfte wenig ändern. Laut dem Sprecher des Außenministeriums, John Kirby, soll sich die Anzahl der US-Militärausbilder bis Februar von 2.150 auf 3.100 Mann erhöhen.

Erfolgreich sind indes die mit der irakischen Regierung verbündeten und vom Iran unterstützten schiitischen Milizen (mit einer geschätzten Stärke von 120.000 Mann), die sich bei der Motivation ihrer Kämpfer auf die ganze Bandbreite der schiitischen Rachephantasien für das Leiden ihrer heiligen Märtyrerimame stützen können. Dies schlägt sich unter anderem in Facebook-Kommentaren nieder, in denen zu lesen ist, daß jede Tötung eines Einwohners von Falludscha (einer der Hauptstädte des sunnitischen Widerstandes) den direkten Zugang zum Paradies verspräche. Kein Wunder also, wenn sich viele Sunniten vor einer „Befreiung“ durch die irakische Armee oder die schiitischen Milizen mindestens genauso fürchten wie vor der Besetzung durch den IS.

35.000 IS-Kämpfer halten die Region in Schach

Sich selbst als wichtigste globale Schutzmacht des Sunnismus verstehend, ist auch das Königreich Saudi-Arabien Teil der Anti-IS-Koalition. Gleichzeitig befindet es sich seit der Iranischen Revolution von 1979  in einem beständigen Kalten Krieg mit dem Iran um die Deutungshoheit des Islam. Während Iran, also alle schiitischen oder quasi-schiitischen Gruppen unterstützt, tut Saudi-Arabien alles, um sunnitische Gruppen – auch radikale – im Kampf gegen die Schiiten zu unterstützen. Unterstützt wird es dabei durch die meisten Golfmonarchien, nicht zuletzt weil diese ebenfalls bedeutende schiitische Minderheiten beherbergen, die als fünfte Kolonne des Iran angesehen werden. 

Während also die saudischen Verbündeten die USA beim Krieg gegen den  IS unterstützen, protegieren saudische Privatiers radikalislamistische Kräfte, darunter auch den IS, um dem Königshaus zu erlauben, weiter den Spagat zwischen westlichem Bündnispartner und ultra-konservativem Islam aufrechtzuerhalten.

War der Irak auch noch nie ein wirklich homogenes Staatsgebilde, ist er seit der amerikanischen Invasion, aber spätestens mit den wechselseitigen anti-schiitischen und anti-sunnitischen Pogromen endgültig entlang religiöser und ethnischer Bruchkanten zerbrochen. Die Lage im Irak zeigt zudem deutlich, daß es nicht auf die Mannstärke von Streitkräften und nur bedingt auf deren Ausrüstung, sondern auf deren Motivation und Kampfmoral ankommt. Was die Personalstärke angeht, ist der IS mit geschätzten 35.000 Kämpfern mit Abstand die schwächste Gruppe der Region.

Foto: Irakische Truppen im Einsatz gegen den IS bei Ramadi: Ende Dezember wurden die Dschihadisten aus der zentralirakischen Stadt vertrieben