© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/16 / 29. Januar 2016

Merkel stürzt an einem Dienstag
Asylkrise: In der Union wächst täglich der Druck auf die Kanzlerin, ihren Kurs zu ändern. Eine Entmachtung scheint nicht mehr ausgeschlossen
Paul Rosen

Niemand weiß, wann die Revolte gegen Angela Merkel losbrechen wird, aber es wird aller Voraussicht nach an einem Dienstag sein. Etwa alle zwei Wochen kommen die Bundestagsabgeordneten aus ihren Wahlkreisen beziehungsweise die Listenabgeordneten aus ihren Heimatorten in ganz Deutschland nach Berlin. Dann treffen sie sich zu Beginn der sogenannten Sitzungswoche des Bundestages zuerst zu den Sitzungen ihrer Landesgruppen. Legendär ist die Landesgruppe der CSU, aber auch die Abgeordneten aus anderen Ländern haben Gruppen gebildet. Es wird an irgendeinem Montag der Deckel nicht mehr auf dem Topf zu halten sein; die Sorge, bei der nächsten Bundestagswahl den Wahlkreis oder das Listenmandat zu verlieren, wird alle Treueschwüre für Merkel vergessen machen. 

Gespenstische Fraktionssitzung

Vermutlich werden die wenigen saarländischen Abgeordneten schnell mit ihrem Gespräch fertig sein, und der aus dem Saarland stammende Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) wird längst wieder in seiner großen Berliner Altbauwohnung das Essen bruzzeln, wenn das Telefon Sturm läuten wird. Alarmrufe von den Merkel-Getreuen werden eingehen. Sie werden von hellem Aufruhr berichten. Altmaier wird die Kanzlerin anrufen und die Vermutung äußern, daß die Unionsfraktion in ihrer Sitzung am Dienstag nicht mehr unter Kontrolle zu halten sein wird. Den Antrag auf eine Asyl-Obergrenze hätten bereits zu viele unterschrieben. Sie würden abstimmen wollen. Merkel wird überlegen, ob sie noch am nächsten Morgen zurücktreten oder mit der Vertrauensfrage im Bundestag Zeit gewinnen will. Aber egal, was sie machen wird: Die Ära der ersten Kanzlerin in Deutschland wird sich dann dem Ende zuneigen – mit der katastrophalsten Bilanz, die man sich vorstellen kann: Europäische Union weitgehend ein Schrotthaufen, Euro-Währung vor dem Scheitern und Hunderttausende unregistrierte Flüchtlinge, die kreuz und quer durch Deutschland ziehen. Das sind Szenen eines „failed state“, und das ist nicht mehr die Bundesrepublik, die für Wirtschaftskraft, sozialen Ausgleich und innere Stabilität stand. 

Die Fraktionssitzung der Union am Dienstag vor zwei Wochen muß bereits gespenstisch gewesen sein. Die Kritiker der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin meldeten sich in Serie, doch Merkel schwieg. Noch einmal wird sie sich das nicht erlauben können. Vorangegangen waren zwei Klausurtagungen der CSU in Kreuth, einmal von der Landesgruppe des Bundestages und von der Landtagsfraktion. Der Staatssekretär Georg Eisenreich soll gesagt haben: „Wenn wir nicht bald eine andere Flüchtlingspolitik haben, haben wir bald eine andere Regierung – und eine andere Kanzlerin.“ 

Es ist atemberaubend, mitzuerleben, wie immer mehr Staats- und Verfassungsrechtler Merkel eine permanente Verletzung des Grundgesetzes vorwerfen. Die Regierung schützt das Recht nicht mehr. Vertreter des früheren politischen Establishments distanzieren sich von dieser Kanzlerin. Ex-Finanzminister Theo Waigel, der sich für den Vater des Euro hält und Merkel wegen der Euro-Rettung eigentlich zu Dank verpflichtet wäre, verwies auf Parallelen zur britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Die „Eiserne Lady“ hatte zu ihm gesagt: „Theo, bitte denken Sie über all die Dinge nach, die ich Ihnen gesagt habe.“ Waigels Antwort: „Ich werde es tun, Premierministerin, aber denken Sie auch über die Dinge nach, die ich Ihnen erzählt habe.“ Darauf Thatcher: „Das werde ich tun, aber ich habe recht.“ Waigel zog diese Parallele zu Merkel nicht in einer geschlossenen Sitzung, sondern in einem Namensartikel im Münchner Merkur. Waigels Nachfolger im CSU-Vorsitz, Edmund Stoiber, legte in der Süddeutschen Zeitung nach und bestätigte, daß er der Kanzlerin in Kreuth an den Kopf geworfen hatte: „Du machst Europa kaputt.“ Und Stoiber fragte angesichts der wieder einmal befohlenen Alternativlosigkeit: „Wo ist der Plan B?“ 

Inzwischen ließ der amtierende CSU-Chef Horst Seehofer auch den aus Bayern stammenden Verkehrsminister Alexander Dobrindt wie einen Wachhund von der Kette. Dobrindt zog als Kabinettsmitglied Merkels Politik in Zweifel. Die hätte den Verkehrsminister entlassen müssen. Nichts geschah. Ein erstes Zeichen von Schwäche? 

In Europa wird es für Merkel einsam. Zunehmend ist Deutschland isoliert: Flüchtlinge, Währungspolitik, Energiepolitik. Europa will nicht schon wieder am deutschen Wesen genesen. Polen und Tschechen sagen es offen, Franzosen noch diplomatisch zurückhaltend. Die von Merkel angestrebte europäische Lösung der Asylkrise wird immer unwahrscheinlicher. Niemand will die Flüchtlinge von „Mama Merkel“ haben. Die wiedereingeführten Grenzkontrollen im Schengen-Gebiet sollen jetzt für zwei Jahre gelten, Österreich hat die vom Merkel-Lager so gehaßte Obergrenze eingeführt. Dobrindts Freund, der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, twitterte: „Die Österreicher machen’s. Also müssen wir es auch machen.“

Klöckners A2-Plan ist der Fehdehandschuh

Auf die CSU ist die Kanzlerin nicht angewiesen. Das ließ sie die Bayern wissen, als sie zum Schluß ihres Kreuther Auftritts hochnäsig in die Runde blaffte, die CSU-Landtagsabgeordneten hätten ihr „wenigstens Glück“ wünschen können. Über den Plan B wollte sie weiter nicht reden. Das Vertrauen ist so schwer gestört, daß Seehofer im bayerischen Kabinett einen Brief an Merkel mit Drohung einer Verfassungsklage gegen die Flüchtlingspolitik beschließen ließ.

Die rheinland-pfälzische Spitzenkandidatin Julia Klöckner bog plötzlich mit einem „Plan A2“ um die Ecke. Statt einer jährlichen Obergrenze wie in Österreich ist jetzt von einer täglichen Obergrenze die Rede. Dem CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, fiel auf, daß damit eine Jahresobergrenze – nur verklausuliert – gefordert wird. Klöckner lobt Merkel zwar noch, hat ihr aber mit „A2“ den Fehdehandschuh zugeworfen. Der Dienstag der Entscheidung rückt näher.Am Mittwoch darauf wird ihr Stuhl bei der Kabinettsstitzung frei bleiben.